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Nikita Noemi Rothenbächer 2014
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In Zusammenarbeit mit der Antidiskriminierungsstelle des
Bundes
Transsexualität im Kindesalter
Wer wollte das rosa Einhorn?
Der kleine Alexander wollte schon im Kindergarten lieber
Alexandra sein. Nun wünscht sich die Elfjährige eine Hormonbehandlung. Das
Jugendamt ist dagegen.
Mädchen- und Pferdebücher? Alex liest Harry Potter -
ziemlich geschlechterneutral. Bild:
privat
"Hallo, ich bin Alex*." Das Mädchen, das lächelnd
die Tür zu einer hübschen Altbauwohnung irgendwo in Berlin öffnet, hat lange
blonde Haare, trägt enge Jeans und eine Bluse. Das soll ein Junge sein? Dieses
liebliche elfjährige Wesen, das bereitwillig sein rosa Zimmer präsentiert, mit
den weißen Möbeln und dem rosa Einhorn auf dem Bett?
Nein, nichts weist auf einen Jungen hin. Und doch ist Alex
Geschlecht zum Kampffeld geworden. Alex ist transsexuell. Ein Mädchen mit den
Geschlechtsmerkmalen eines Jungen. Und deshalb droht dem Kind jetzt die
geschlossene Psychiatrie. Das Jugendamt möchte es einweisen.
Seit wann sie denn denke, dass sie ein Mädchen ist? Alex
sieht einem in die Augen und fragt zurück: "Seit wann wussten Sie denn,
dass Sie ein Mädchen sind? Schon immer!" Für Alex ist die Lage klar. Als
sie noch kurze Haare hatte, steckte sie sich einen Haarreif darauf, an dem zwei
Wollzöpfe befestigt waren. Ihre Mutter, Anna Kaminski*, hatte damit kein Problem.
Nach dem Kindergarten habe Alexander das Geschlecht
offiziell gewechselt und sei als Alexandra in die Grundschule gegangen. Sie
wurde so akzeptiert, beteuern Mutter und Kind. Alex sei ein normales,
fröhliches Mädchen.
Ein fröhliches Mädchen
Aber das finden nicht alle gut. Der Vater sprach das Kind
weiterhin als Alexander an. Er zog seinem Sohn Jungensachen an, und wenn Alex
weinte und sich wehrte, dann, so erzählt es die Mutter, wurde er grob.
Versucht man Alexander das Jungenleben schmackhaft zu machen,
oder lässt man Alexandra als Mädchen weiterleben? Über diesen Konflikt haben
sich die Eltern getrennt. Die Gesundheitsfürsorge für Alex haben sie dem
Jugendamt übertragen. Der Vater kämpft mit aller Kraft gegen das Verhalten des
Kindes an. Die Mutter möchte Alex den Willen lassen.
Aber nun kommt Alex in die Pubertät. Ihr Körper entwickelt
sich zu dem eines Mannes. Ein Mann will sie nicht werden. Lieber sterben. Alex
möchte mit Östrogenen behandelt werden, damit sie sich weiblich entwickelt. Das
will der Vater verhindern. Er belagert das Jugendamt, schreibt 170 Seiten über
seine angeblich gestörte Frau, die dem Kind nur einrede, ein Mädchen sein zu
wollen. All dies erzählt seine Frau, der Vater selbst reagiert nicht auf
Anfragen.
Was er nicht schreibt, was aber seine Exfrau erzählt, ist,
dass auch in seiner Herkunftsfamilie schon einmal Transsexualität vorkam. Sie
wurde, wie damals üblich, versteckt und unterdrückt. Dem Sohn wolle er so etwas
"ersparen", meint Anna Kaminski. Deshalb kämpfe er so verzweifelt und
stelle doch damit erst eine Situation her, die sein Kind extrem belaste.
Wie umgehen mit transsexuellen Kindern? Nicht nur Alex
Eltern sind gespalten, auch die Fachwelt ist uneins. Kinder, die sich ins
andere Geschlecht wünschen, sind gar nicht so selten. In der Pubertät
verschwindet oftmals der Wunsch, dem anderen Geschlecht anzugehören.
Stattdessen bildet sich oft eine homosexuelle Identität.
Darauf weist etwa Klaus Beier hin, Sexualmediziner an der
Berliner Charité. "Wenn wir Kriterien hätten, die uns sicher sagen
könnten, dass eine Geschlechtsidentitätsproblematik im Kindesalter später in
eine Transsexualität übergeht, wäre die Gabe von pubertätsblockierenden
Medikamenten verantwortbar", sagt Mediziner Beier. "Diese Kriterien
haben wir aber nicht, sodass stets der denkbare Fall zugrunde gelegt werden
muss, dass sich das Unbehagen im biologischen Geschlecht im Laufe der weiteren
Entwicklung verlieren könnte."
Gegen die Natur?
Es gebe nämlich zum Beispiel auch eine von den Eltern
induzierte Störung der Geschlechtsidentität, wenn etwa die Mutter selbst eine
gestörte Beziehung zu Männern habe und ihren Sohn in die weibliche Rolle
dränge. Hat Alex Mutter, diese sehr normal und fröhlich wirkende Frau, das
Zimmer rosa gestrichen und das Einhorn gekauft - gegen die Natur des Kindes?
Schwer vorstellbar. Aber ihr Exmann ist davon überzeugt, dass die Mutter das
Problem ist und das Kind ohne sie zum Jungen würde.
Es gibt auch andere Haltungen zur frühen Transsexualität als
die von Klaus Beier. Eine niederländische Studie, für die die Entwicklung von
Kindern mit einer sogenannten Geschlechtsidentitätsstörung verfolgt wurde,
weist darauf hin, dass sich biologische Jungen, die besonders hartnäckig
behaupteten, sie seien Mädchen, später auch zu Transsexuellen entwickelten. Die
späteren Homosexuellen hatten eher geäußert, es sei ihr Wunsch, ein Mädchen zu
sein. Aber leider seien sie Jungs. Die Niederländer trauen sich eine
Unterscheidung zu und fangen in für sie eindeutigen Fällen schon in der
Pubertät mit der Hormonbehandlung an.
Auch in der Schweiz traut man sich zu, Kinder in der
Vorpubertät zu diagnostizieren und dann auch zu behandeln. "Ich würde das
Kind eine Weile begleiten", so Professor Udo Rauchfleisch von der
Universität Basel, ein anerkannter Experte und Gutachter für Transsexuelle.
Mindestens ein halbes Jahr lang müsse er das Kind wöchentlich sehen - dann
könne er eine Diagnose stellen. "Wenn es eine Transsexualität ist, dann
würde man auch bald mit der Hormonbehandlung beginnen", so Rauchfleisch.
"Es ist natürlich eine ungeheure Erleichterung, wenn
das Kind sich dann gemäß dem gewünschten Geschlecht entwickelt". Mit
Östrogenen behandelte Kinder etwa würden keinen Stimmbruch bekommen und keine
breiten Schultern, stattdessen einen Busen. Sie würden als Erwachsene wie eine
Frau aussehen und nicht wie ein verkleideter Mann.
Alex wurde nie neutral begutachtet. Vor sechs Jahren sollte
sie zu Tests in ein großes Berliner Krankenhaus: "Die haben mir erzählt,
ich würde als Mädchen später unglücklich. Da wollte ich nicht mehr
mitmachen," sagt sie.
Rollenklischees der Ärzte
Sie brach die Tests ab. Über die Rollenklischees der Ärzte
wundert sie sich: "Die stellten mich vor ein Regal: links rosa
Prinzessinnen, rechts Autos. Ich soll entscheiden, womit ich spielen will, das
ist doch lächerlich. Ich habe dann ein Puzzle gemacht." An solchen
Erzählungen merkt man erst, wie absurd es ist, dem Kind ein Rollenverhalten
zuzuweisen, das anderswo geschlechterbewusste ErzieherInnen gerade zu
relativieren versuchen.
Auch Alex spielt nicht pausenlos mit Puppen. Fußball aber
auch nicht. Ihre Hobbys sind Breakdance, Schwimmen und Lesen. Und was liest
sie? Mädchen- und Pferdebücher? Alex liest Harry Potter - ziemlich
geschlechtsneutral.
Man möchte gern mit einer neutralen Instanz sprechen. Aber
die Lehrerin lehnt ab, zu heikel sei der Fall. Im Jugendamt wird erst mal
ermittelt. Ist die Mutter das Problem? Warum gibt es dann keine professionelle
Einschätzung ihrer Psyche? Oder setzt nicht vielleicht der Vater die
Institutionen unter Druck, die einfach keinen weiteren Ärger mit ihm riskieren
möchten?
Der Chefarzt etwa sprach bei der abgebrochenen Untersuchung
vor sechs Jahren lange mit dem Vater und dann eine Stunde lang mit der Mutter.
Alex selbst bekam er gar nicht zu Gesicht. Dennoch stand die Diagnose: Die
Mutter habe dem Kind die Transsexualität eingeredet. Anna Kaminski suchte eine
Therapeutin auf. Hat sie eine psychische Störung, von der sie gar nichts ahnt?
Die Therapeutin konnte nichts dergleichen feststellen.
Nie gründlich untersucht
Aber vor allem wurde Alex bis heute nicht gründlich
untersucht. Schon gar nicht über längere Zeit, wie es Rauchfleisch für nötig
hält. Dabei wäre ein Bericht oder ein fundiertes Gutachten nun so wichtig: Denn
im Jugendamt, das jahrelang ruhig war, ist eine neue Pflegerin für Alex
eingesetzt worden. Und die glaubt dem Vater und schafft Fakten: Das Kind sei
suizidgefährdet und müsse in die geschlossene Psychiatrie. Hormone solle es
keinesfalls bekommen.
Sondern die Pubertät erleben, in der Hoffnung, dass es danach
doch als Mann leben wolle. Dazu solle es therapiert werden: Angebote für eine
"männliche" Rollenentwicklung würden gemacht. Fußball und Autos. Die
"weiblichen" Wünsche ignoriert. Später soll Alex in eine
Pflegefamilie. Hauptsache, weg von der Mutter.
"Das ist absurd. Man nimmt doch ein Kind nicht aus der
gewohnten Umgebung", sagt Professor Rauchfleisch. Und wenn man es nun
quasi umerziehen wolle, dann würde sich das Kind eher verstellen - und
todunglücklich: "Das hat nichts mit Therapie zu tun. Eine Therapie
begleitet einen Menschen bei der Selbstfindung, sie redet einem nichts ein oder
aus. Wenn das Kind wirklich transsexuell ist, dann fügt eine solche ,Therapie'
dem Kind Schaden zu."
Doch obwohl es keinerlei Gutachten gibt, setzte das
Jugendamt die Zwangseinweisung vor dem Amtsgericht durch. Anna Kaminski, völlig
entsetzt von diesem Urteil, ging in die nächste Instanz, der Fall liegt nun
beim Kammergericht. Aber das Jugendamt will die Einweisung jetzt. Per
einstweilige Verfügung. Jeden Tag können sie nun vor der Tür stehen. Und ein
fröhliches, aufgeschlossenes Mädchen ohne ein einziges Gutachten in die
Psychiatrie bringen.
Quelltext: http://www.taz.de/!85899/
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