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Nikita Noemi Rothenbächer 2015
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„Transexualität und Strafvollzug“
Das bisher umfassendste Werk zu Trans*Menschen im deutschen
Strafvollzug ist das Buch „Transsexualität und Strafvollzug“. Es ist eine
juristische Arbeit, aber trotzdem lesbar für Nicht- Juristen, auch wenn einem
sicherlich die Feinheiten entgehen, wenn mensch bestimmte Formulierungen nicht
in den juristischen Kontext einordnen kann. Damit nicht alle, die am Thema
interessiert sind das ganze Buch lesen müssen, stellen wir hier eine
Zusammenfassung online:
Das Buch „Transsexualität und Strafvollzug“ ist eine
Dissertation, die im Jahr 2008 veröffentlicht wurde. Die Autorin ist durch
Presseberichte über eine Person, die in Berlin auf Verlegung in den Frauenknast
geklagt und verloren hat, auf das Thema aufmerksam geworden. Sie hat scheinbar
keinen außerjuristischen Bezug zum Thema.
Laut der Einleitung geht es der Autorin in der Arbeit darum
herauszufinden inwieweit die aktuellen Regeln des Strafvollzugs mit den
Gesetzen und Rechtsprechung zum Persönlichkeitsrecht von Trans* in Einklang
stehen oder gebracht werden können, z.B. durch eine transfreundliche Auslegung
von Normen. Die Autorin hat mit dem Werk den Anspruch für eine gewisse
Rechtssicherheit und Aufklärung bei allen möglichen betroffenen Stellen, wie
Gerichten, Verwaltungsstellen, JVAs usw. zu sorgen. Entsprechend schreibt sie
nicht nur zu ihrem Kernthema, sondern beginnt mit einem längeren Teil zu Transsexualität
an sich und der rechtlichen Situation.
Im ersten Teil versucht sie Transsexualität zu erklären. Sie
erläutert verschiedene wissenschaftliche Erklärungsmuster und versucht diverse
Erscheinungsformen von Trans* zu benennen und abzugrenzen. Sie gibt sich
insgesamt viel Mühe das Thema zu erfassen und „wohlwollend“ damit umzugehen. Es
gibt aber auch mehrere Stellen, die eher durchwachsen sind. In dem ersten Teil
geht sie auch ausführlich auf „Behandlungsmöglichkeiten“ und den
Standardprozess ein. Dies ist für das Verständnis des späteren Teils besonders
wichtig, da es darin auch um die Umsetzung des TSG-Prozesses im Knast geht,
bzw. die Lage für Trans*Leute je nach Position im Transprozess anders beurteilt
wird.
Im zweiten Teil geht das Buch auf die gesetzliche Situation
(TSG) ein und schildert sowohl die historische Entwicklung, als auch kurz die
Rechtslage in anderen Staaten. Des Weiteren zeigt dieses Kapitel, dass
Geschlecht in der Gesellschaft und im Recht sehr relevant ist und sich daraus
viele Probleme für Trans*Leute ergeben. Es werden einige Gebiete jenseits des
Strafvollzugs aufgezählt, in denen das Recht nach Geschlecht differenziert und
somit Probleme für Trans*Leute hervorbringt; darunter u.a. das Arbeitsrecht,
Familien- und Eherecht.
Im dritten Teil kommt es zum eigentlichen Thema Strafvollzug
und Transsexualität.
I. Zunächst wird die Relevanz des Themas beleuchtet. Demnach
hätte es in früheren Jahren durchaus einen spezifischen Bezug zwischen trans* und
Knast gegeben, da Trans*Leute aufgrund der gesellschaftlichen Situation von
Ausgrenzung und fehlender rechtliche Anerkennung „deliquent“ geworden sind,
z.B. durch Sexarbeit. Dabei wird auch ein Aspekt einer trans*spezifischen
Kriminalisierung aufgezeigt. Bis zur Reform des § 175 StGB 1973 waren
Transfrauen über die „normale“ Kriminalisierung von Sexarbeit hinaus von der
Kriminalisierung durch den § 175 StGB betroffen. Da es noch keine Regelung zur
Personenstandsänderung, wie die des TSG, gab, waren alle Transfrauen juristisch
männlich und damit jeglicher Sex mit Männern illegal.
In der heutigen Situation geht die Autorin von einer im
Vergleich zur Restbevölkerung durchschnittlichen Anzahl von Trans*Leuten im
Knast aus. Sie kommt auf eine geschätzte Zahl von ca. 80 inhaftierten
Transsexuellen in BRD. Dies ergibt sich aus der angeblichen Anzahl von
Trans*Leuten pro 1000 Einwohner und der Gesamtzahl der Inhaftierten. Des Weiten
wird ausgeführt, dass Transsexualität im Strafvollzug, trotz vermutlich seit einiger
Zeit gleichbleibenden Betroffenenzahlen, vermehrt thematisiert wird, weil die
Betroffenen sich vermehrt trauen ihre Rechte einzufordern, bzw. sich überhaupt
als trans* zu outen. Dadurch sei es, nach der Wahrnehmung der Autorin, auch zu
einer erhöhten Sensibilisierung von „Zuständigen“ gekommen und somit eine
Verbesserung der Situation eingetreten. So war es früher quasi unmöglich im
Bereich Kleidung und Kosmetika irgendetwas durchzusetzen. Mittlerweile liegt
dies wohl durchaus im Bereich des Möglichen.
II. Als nächstes fasst die Autorin die bisher ergangen
Entscheidungen zum Thema zusammen.
- 1981, OLG Frankfurt zur Hormonbehandlung – ziemlich
schlechtes Urteil, dass den keinerlei Trans*Rechte anerkennt und ein Recht auf
Behandlung im Knast verneint.
- 1996, BVerfG zum Recht auf die Anrede als Frau bzw. Herr,
je nach Vornamen – unabhängig vom Personenstand (Das Urteil ist nicht
knastspezifisch, sondern gilt für alle Behörden. Es wurde aber im Rahmen des
Strafvollzugs geklagt, den dort besteht ja auch mehr Kontakt zwischen
Staatsbediensteten und Betroffenen)
- 2001, OLG Frankfurt zum Recht auf medizinische Behandlung
(schon bedeutend besser als das erste Urteil; ein grundsätzliches Recht auf
Behandlung wird bejaht, aber die Durchsetzung ist von den genaueren Umständen
abhängig)
- 2002, KG Berlin verneint den Anspruch auf Verlegung in
den Frauenknast. Das Berliner Verfassungsgericht bestätigt das Urteil
III. Danach kommt der allgemeine Analyseteil, in dem die
bestehenden Probleme und mögliche und nichtmögliche Lösungen aufgezeigt werden.
Die Autorin beschreibt recht treffend, dass die Probleme die
Transsexuelle ohnehin haben sich im Knast verschärfen und das Probleme, die
Menschen im Knast ohne hin haben sich durch Transsexualität verschärfen.
Grundlage der Situation ist das Strafvollzuggesetz, welches vorschreibt, dass
Frauen und Männer getrennt unterzubringen sind (Trennungsgrundsatz). Dies
widerspricht nach Einschätzung der Autorin der freien Wahl nach
geschlechtlicher Identität (welche sie im TSG verwirklicht sieht.) Des Weiteren
widerspricht der Trennungsgrundsatz den Grundsätzen des Strafvollzugs nach
Resozialisierung. Den für diese soll eine möglichst große Angleichung der
Verhältnisse im Knast mit den Verhältnissen draußen stattfinden (Angleichungsgrundsatz).
Dabei ist die Geschlechtertrennung ein trans*unabhängiges Problem. Für
Trans*Personen ist dies im speziellen ein Problem, da in einer
eingeschlechtlichen Umgebung kein Alltagstest stattfinden kann und somit nach
der klassischen Mainstream-Meinung eine Voraussetzung für die OP fehlt.
Die verschiedenen Problemfelder:
-
medizinische und psychologische Maßnahmen
-
Verlegung in eine „andersgeschlechtliche“ Anstalt
-
sonstige „Vergünstigungen“ wie Kleidung, Kosmetik, teilweise Unterbringung in einer
„andersgeschlechtlichen“ Anstalt
Zu Beginn der Auseinandersetzung mit Einzelthemen wird
festgestellt, dass insgesamt nur grundlegende Tendenzen geklärt werden können
und keine allgemeinen Handlungsanweisungen festgelegt werden können, da
Transsexualität zu individuell für konkrete Vorgaben sei.1
Für die genauere Betrachtung der Rechte von Transsexuellen
im Knast untersucht die Autorin die einzelnen Normen des Strafvollzuggesetz,
aus denen sich Rechte ergeben könnten. Dabei werden für die Auslegung der
einzelnen Normen die Grundrechte, das TSG und die Grundsätze des
Strafvollzuggesetzes herangezogen. Bei den zu beachtenden Grundsätzen des
Strafvollzuggesetzes handelt es sich um:
§ 2 Aufgaben des Vollzuges
Im Vollzug der Freiheitsstrafe soll der Gefangene fähig
werden, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen
(Vollzugsziel) (Resozialisierung). Der Vollzug der Freiheitsstrafe dient auch
dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten.
§ 3 Gestaltung des Vollzuges
(1) Das Leben im Vollzug soll den allgemeinen
Lebensverhältnissen soweit als möglich angeglichen werden.
(Angleichungsgrundsatz)
(2) Schädlichen Folgen des Freiheitsentzuges ist
entgegenzuwirken. (Entgegenwirkungsgrundsatz)
(3) Der Vollzug ist darauf auszurichten, dass er dem
Gefangenen hilft, sich in das Leben in Freiheit einzugliedern.
Das Vollzugziel „Resozialisierung“ hängt nach der Autorin
spezifisch mit Rechten für trans*Gefangene zusammen, da die Resozialisierung
soziale Problemlösungsstrategien jenseits der Kriminalität voraussetzt und dies
unter anderem ein Selbstwertgefühl voraussetzt. Hier sieht die Autorin die
Notwendigkeit der Klärung der eigenen geschlechtlichen Identität und das
möglichst weitgehende Leben dieser Identität. § 2 StrafVollzG beinhaltet unter
anderem, dass „Defizite“ bezüglich der Ausbildung, sozialen Verhalten usw.
„behandelt“ werden. Daher sollte der Strafvollzug auch eine Lösung des
„Problems“ Transsexualität ermöglichen.
§ 3 StrafVollzG ist konkreter als § 2 StrafVollzG und beinhaltet
auch einen Anspruch der Gefangenen auf Umsetzung der Grundsätze des §
3StrafVollzG. Dies kann bei anderen Normen des StrafvollzugsG zu einer
Ermessensreduktion2 führen.
§ 3 Absatz 1 StrafVollzG:
Nach Ansicht der Autorin folgt aus § 3 Abs.1, dass die
gesellschaftlich gestiegene Anerkennung von Trans* auch im Strafvollzug mit
vollzogen werden muss. Daher müssten alle Wahlmöglichkeiten, die Trans* draußen
offen stehen, auch Trans* im Vollzug offen stehen. Dies beinhaltet die
Entscheidung, ob eine Person medizinische Maßnahmen möchte oder nicht, ob sie
eine Vornamensänderung möchte, eine Vornamens- und Personenstandänderung, sowie
die Entscheidung, ob das Thema trans* therapeutisch „bearbeitet“ werden soll
oder nicht.
§ 3 Absatz 2:
Hierin sieht die Autorin vor allem ein Recht auf Schutz vor
Übergriffen und die Verantwortung der JVA zu verhindern, dass eine durch die
Transsexualität psychisch labile Situation nicht durch den Vollzug verstärkt
wird.
§ 3 Absatz 3:
Zur Verwirklichung des Rechts aus Absatz 3 sollte den
Gefangenen über die normalen Besuchsrechte hinaus eine Möglichkeit des Kontakts
zu einschlägigen Beratungsstellen und zur Wahrnehmung von Selbsthilfeangeboten
ermöglicht werden. Dies kann entweder über erweiterte Besuchsrechte oder, im optimalen
Fall, durch „Ausgang“ umgesetzt werden.
1. Recht auf Verlegung
a) § 140 Absatz 2 StrafvollzG3 beinhaltet das sogenannte
Trennungsprinzip – also das Prinzip des geschlechtergetrennten Strafvollzugs.
Im Ergebnis verneint die Autorin einen Anspruch auf Verlegung in den
sogenannten „gegengeschlechtlichen“ Vollzug.
§ 140 Absatz 3 sieht eine Ausnahme für „Behandlung“ vor. Der
Begriff Behandlung meint in diesem Kontext alle denkbaren Formen der
Alltagsgestaltung (Arbeit, Ausbildung, Freizeit). Geschaffen wurde die Regelung
hauptsächlich um inhaftierten Frauen die Teilhabe an den Möglichkeiten des
Männerstrafvollzugs zu ermöglichen, da aufgrund der niedrigen Anzahl weiblicher
Gefangener weniger Möglichkeiten für diese zu Verfügung stehen. Zum Teil wird
von „Reformern“ dafür plädiert diese Regelung sehr extensiv zu nutzen und die
Geschlechtertrennung auf die reine Unterbringung zu beziehen. Dies würde den
Grundsätzen des § 3 entsprechen.
Der Absatz 3 beinhaltet jedoch keinen Anspruch für
Gefangene, sondern nur eine Möglichkeit für die JVA nach ihrem Ermessen vom
Grundsatz des Absatz 2 abzuweichen. So das Trans*Gefangene keinen
durchsetzbaren Anspruch aus dieser Regelung ableiten können. Darüber hinaus
geht es im Absatz 3 nur um zeitweise Ausnahmen für einzelne Maßnahmen, so dass
der Absatz nicht für einen generellen Vollzug im Knast des Wunschgeschlechts
genutzt werden kann.
b) Die Autorin prüft dann noch § 9 (Verlegung in eine
sozialtherapeutische Anstalt) und sieht auch dort keine Möglichkeiten für
trans*Gefangene eine Verlegung durchzusetzen. Denn zum einen gibt es in den
entsprechenden therapeutischen Anstalten keine Spezialisten für trans*Belange
und somit keine spezifischen Therapiemöglichkeiten und zum andern bezieht sich
die Regelung auf die therapeutische „Bearbeitung“ der strafverursachender
Defizite und diese betreffen meistens nicht die Transsexualität.
c) Nach § 854 ist eine Verlegung zum Schutz des Gefangenen
möglich. Der Paragraph spricht zwar nur von einer Gefahr für die Sicherheit und
Ordnung der Anstalt durch den Gefangenen. Die Regelung ist aber
anerkanntermaßen so zu lesen, dass die Gefahr auch mittelbar auf einer
„Reaktion“ der Mitgefangenen auf den zu verlegenden Gefangenen bestehen kann.
Ein Anspruch aus § 85 ist jedoch durch § 815 beschränkt. Nach diesem
Paragraphen muss bei jeder Verlegung die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme im
Vergleich zur Gefahr beachtet werden, unter der besonderen Beachtung der
Förderung der sozialen Integration.
2. Recht auf eine medizinische Behandlung
An sich besteht ein Anspruch des Inhaftierten gegenüber der
JVA auf medizinische Versorgung und Behandlung.6 Allerdings ist generell der
Anstaltsarzt zuständig und er beurteilt auch die Notwenigkeit einer Behandlung
bzw. die Art der Behandlung.7 Allerdings liegt es nach Ansicht der Autorin
nahe, dass der Anstaltsarzt, da er selber kein Spezialist ist, die Behandlung
an einen solchen abgeben muss.
In die Entscheidung sind nach Ansicht der Autorin aber auch
Belange der Anstalt mit einzubeziehen, da es auch bei dem Anspruch auf
medizinische Behandlung die Verhältnismäßigkeit zu beachten ist. Das heißt der
Leidensdruck des Gefangenen ist gegen Anstaltsbelange abzuwägen. Ein Interesse
der Anstalt ist dabei die Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung der Anstalt
welche durch erkennbare trans*Leute gefährdet sein kann. Der relevanteste Punkt
der Abwägung ist jedoch die Länge der Haftstrafe. Bei längeren Haftstrafen ist
eine Verweigerung der Behandlung nicht rechtmäßig, auch dann wenn bei
lebenslänglicher Haft keine Entlassung (und somit kein Leben in Freiheit in dem
Wunschgeschlecht) in Aussicht steht. Rechtmäßig verweigert werden könnte eine
Behandlung aufgrund der langen Dauer der Behandlung bei kürzeren Haftstrafen,
da es dann zumutbar sein kann die Person auf eine Behandlung in Freiheit zu
verweisen.
3. Kleidung 8
Grundsätzlich müssen die Gefangenen Anstaltskleidung
tragen.9 In den getrennten Männer- und Frauenhaftanstalten gibt es jeweils nur
Kleidung des entsprechenden Geschlechtes. § 20 Abs.2 S.2 ermöglicht eine
Ausnahme von dem Grundsatz. Bei dieser Entscheidung hat der Anstaltsleiter ein
sehr weiten Ermessensspielraum. Es ist also sehr schwer aus der Regelung ein
einklagbares Recht abzuleiten. Der Ermessensspielraum wird von verschiedenen
Komponenten beeinflusst, unter anderem von dem Vollzugziel der Resozialisierung
und dem Angleichungs- und dem Entgegenwirkungsgrundsatz aus § 3. Auch das in §
4 normierte Verbot dem Gefangenen mehr Einschränkungen als notwendig
aufzuerlegen muss beachtet werden. Die Interessen der Anstalt, insbesondere
wiedereinmal die Sicherheit und Ordnung in der Anstalt, müssen beachtet werden.
Trans*spezifisch muss die im TSG angelegte Anerkennung des Transprozesses durch
den Gesetzgebers beachtet werden. Schon der Beginn eines Verfahrens nach dem
TSG muss bei der Entscheidung berücksichtigt werden. Der Ermessensspielraum
sinkt je mehr Komponenten des Transprozesses bei der betreffenden Person
umgesetzt sind, z.B. Vornamensänderung, Hormone etc.
Allerdings muss eine Trans*Identität auch ohne
Inanspruchnahme des Verfahrens nach dem TSG bei der Entscheidung beachtet
werden, da sich die persönliche Selbstbestimmung direkt aus Art.1 i.V.m Art. 2
GG ergibt und auch der Angleichungsgrundsatz und das Ziel der Resozialisierung
es nahe legen die Trans*Identität einer Person zu beachten.
4. Kosmetika
Hygieneartikel können wie Lebensmittel in der JVA eingekauft
werden.10 Das Angebot ist an den Bedürfnissen der Gefangenen auszurichten.
Grundsätzlich muss also auch der Erwerb von „gegengeschlechtlichen“ Artikel
erlaubt sein. Bestimmte Produkte können nur untersagt werden, wenn diese „die
Ordnung und Sicherheit“ stören. Eine solche Störung könnte durch die Benutzung
femininer Kosmetika in einer Männer-JVA indirekt durch Reaktionen der
Mitgefangenen eintreten. Allerdings dürfte dies im Regelfall nicht als
Begründung für ein Verbot genügen. Laut der vorliegenden Arbeit ist aber auch
der konkrete zu erwartende Gebrauch zu beachten. Dabei soll es relevant sein,
ob die Person die Kosmetik „dezent“ benutzt oder „grell und überzogen“. Wenn
die Person sich im „Alltagstest“ nach dem Verfahren nach dem TSG befindet, muss
ihr der Erwerb der entsprechenden Produkte erlaubt werden.
5. Gemischtgeschlechtliche Unterbringung während Arbeit und
Freizeit
Wie schon weiter oben ausgeführt, gibt es nach § 140 die
Möglichkeit vom Trennungsgrundsatz für einzelne Maßnahmen eine Ausnahme zu
machen. Auch bei geltender Gesetzeslage wäre es demnach möglich die
vollzugsinterne Geschlechtertrennung weitestgehend bis auf die Unterbringung in
den Ruhezeiten auszudehnen. Dies wird zwar nicht praktiziert, die Regelung
bietet aber Möglichkeiten den Bedürfnissen von Trans* zu entsprechen und
zumindest teilweise einen Vollzug jenseits der eingeschlechtlichen Zuweisung
zum Geburtsgeschlecht zu ermöglichen. Insbesondere bei der Berufsausübung im
Strafvollzug gibt die Autorin zu bedenken, dass zumeist nur Arbeits- und
Ausbildungsplätze in geschlechtsspezifischen Berufen angeboten werden und so
nur durch eine Ausnahme der Geschlechtertrennung das Ausüben oder Erlernen
eines Berufes in der sozialen Realität des Wunschgeschlechtes ermöglicht werden
kann.
Allgemein sollte bei der Zuweisung eines Arbeitsplatzes die
psychische Situation der trans*Personen beachtet werden. Die Autorin sieht es
als zweifelhaft an, ob diese Personen eine volle Arbeitsstelle erfüllen könne,
da sie dort einen langen Zeitraum am Stück zu (oft problematischer) sozialer
Interaktion mit Mitgefangenen und „Chefs“ gezwungen ist. In diesem Abschnitt
erwähnt die vorliegende Arbeit zum ersten und einzigen Mal, dass die
Betroffenen nicht nur mit negative Reaktionen seitens ihrer Mitgefangenen,
sondern auch seitens der Angestellten der JVA konfrontiert werden (können).
Hinsichtlich der Freizeitangebote liegt es bei
Trans*Gefangenen besonders nahe von der Ausnahmeregelung Gebrauch zu machen.
Über den Vorteil des erweiterten Angebots hinaus, besteht so die Möglichkeit
mehr Selbstsicherheit im Rollenverhalten und Erprobung dieses zu erlangen.
Trotzdem bleibt es eine Ermessensentscheidung der Anstalt auf die der Gefangene
keinen Rechtsanspruch hat.
Im Abschlussteil der Arbeit plädiert die Autorin für eine
generelle Aufhebung der Geschlechtertrennung im Strafvollzug. Sie bezieht sich
dabei auf andere Arbeiten zu dem Thema. Nach ihrer Ansicht würden die positiven
Effekte für alle Gefangenen die Bedenken überwiegen, bzw. die Bedenken könnten
in der konkreten Umsetzung genügend beachtet werden. Für transsexuelle
Gefangene wäre die Geschlechtermischung besonders erstrebenswert, um spezifische
Probleme für trans*Gefangene und „Vollzugschäden“ zu vermeiden.
Ein geschlechtsgemischter Strafvollzug könnte mehr oder
weniger weitreichend ausgestaltet sein. Einschlägige Erfahrungen gibt es in
Deutschland im Bereich des offenen Vollzugs. Dort gab es mehrere Modellprojekte
in denen eine völlige Abschaffung der Trennung bestand. In anderen Anstalten
gab und gibt es eine beschränkte Mischung, z.B. im Bereich von Schule und
Ausbildung. Die bereits gemachten Erfahrungen waren überwiegend positiv.
Ähnliche und weitergehende Projekte sind aus den USA, den Niederlanden und
Dänemark bekannt.
Eine weitere Möglichkeit wäre die Schaffung spezialisierter
Trans*-Abteilungen. Dort gäbe es dann Austausch mit anderen Betroffen, die
Möglichkeit optimierter Behandlungen und das Ausbrechen aus einer
Außeneiterrolle der einzelnen Trans*Personen. Dafür entstünde dadurch eine
Separierung, die der Resozialisierung und dem Angleichungsgrundsatz entgegen
steht. Eine Orientierung in der Geschlechterrolle an CisPersonen würde unmöglich
gemacht. Des Weiteren würde es dadurch zur Behinderung von sozialen
Außenkontakten durch größere Entfernung zur „Heimat“ und mangelnde sonstige
Differenzierung zwischen den Gefangenen aufgrund der kleinen Gruppe kommen.
________________________________________________________________________________
Weitere Literatur zur Geschlechtertrennung im Strafvollzug,
die in der Arbeit zitiert werden:
Köhne, Michael, Geschlechtertrennung im Strafvollzug in
Bewährungshilfe 2002, 221
Stöckle-Niklas, Claudia, Das Gefängnis – eine
eingeschlechtliche Institution, 1989
Siekmann, Gerd, Männer und Frauen in derselben Haftanstalt.
Ein neues Modell im Hamburger Strafvollzug in Zeitschrift für
Strafvollstreckung 1985, 11
Nette Erkenntnis, wenn das mal der Gesetzgeber, die
Krankenkassen und Gutachter erkennen würden [zurück]
Ermessensreduktion bedeutet, dass ein vom Gesetz der
entscheidenden Stelle (z.B. Anstaltsleiter) gegebener Ermessensspielraum
verkleinert wird, also nicht alle denkbaren Entscheidungen rechtmäßig sind. Im
Besten Falle wird der Ermessensspielraum auf Null reduziert, so dass ein
durchsetzbares Recht auf eine bestimmte Entscheidung entsteht. [zurück]
§ 140 Trennung des Vollzuges
(2) Frauen sind getrennt von Männern in besonderen
Frauenanstalten unterzubringen. Aus besonderen Gründen können für Frauen
getrennte Abteilungen in Anstalten für Männer vorgesehen werden.
(3) Von der getrennten Unterbringung nach den Absätzen 1 und
2 darf abgewichen werden, um dem Gefangenen die Teilnahme an
Behandlungsmaßnahmen in einer anderen Anstalt oder in einer anderen Abteilung
zu ermöglichen. [zurück]
§ 85 Sichere Unterbringung
Ein Gefangener kann in eine Anstalt verlegt werden, die zu
seiner sicheren Unterbringung besser geeignet ist, wenn in erhöhtem Maß
Fluchtgefahr gegeben ist oder sonst sein Verhalten oder sein Zustand eine
Gefahr für die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt darstellt. [zurück]
§ 81 Grundsatz
(1) Das Verantwortungsbewusstsein des Gefangenen für ein
geordnetes Zusammenleben in der Anstalt ist zu wecken und zu fördern.
(2) Die Pflichten und Beschränkungen, die dem Gefangenen zur
Aufrechterhaltung der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt auferlegt werden,
sind so zu wählen, daß sie in einem angemessenen Verhältnis zu ihrem Zweck stehen
und den Gefangenen nicht mehr und nicht länger als notwendig beeinträchtigen.
[zurück]
§ 56 Allgemeine Regeln
Für die körperliche und geistige Gesundheit des Gefangenen
ist zu sorgen. (…)
§ 58 Krankenbehandlung
Gefangene haben Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie
notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung
zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern.
Die Krankenbehandlung umfaßt insbesondere
1. ärztliche Behandlung, (…)
3. Versorgung mit Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln,
4. medizinische und ergänzende Leistungen zur Rehabilitation
sowie Belastungserprobung und Arbeitstherapie, soweit die Belange des Vollzuges
dem nicht entgegenstehen. [zurück]
Der Anstaltsarzt ist an die medizinischen Standards gebunden
an die alle Ärzte gebunden sind. Allerdings sind seine Entscheidungen als
Entscheidungen des einzigen zuständigen Experten schwer überprüfbar. [zurück]
§ 20 Kleidung
(1) Der Gefangene trägt Anstaltskleidung. Für die Freizeit
erhält er eine besondere Oberbekleidung.
(2) Der Anstaltsleiter gestattet dem Gefangenen, bei einer
Ausführung eigene Kleidung zu tragen, wenn zu erwarten ist, daß er nicht
entweichen wird. Er kann dies auch sonst gestatten, sofern der Gefangene für
Reinigung, Instandsetzung und regelmäßigen Wechsel auf eigene Kosten sorgt.
[zurück]
Wie so vieles widerspricht diese Regelung den
Vollzugsgrundsätzen, insbesondere § 3 Abs.1. Sie wurde eingeführt um die Flucht
durch die eindeutige Kleidung zu erschweren. [zurück]
§ 22 Einkauf
(1) Der Gefangene kann sich von seinem Hausgeld (§ 47) oder
von seinem Taschengeld (§ 46) aus einem von der Anstalt vermittelten Angebot
Nahrungs- und Genußmittel sowie Mittel zur Körperpflege kaufen. Die Anstalt
soll für ein Angebot sorgen, das auf Wünsche und Bedürfnisse der Gefangenen
Rücksicht nimmt.
(2) Gegenstände, die die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt
gefährden, können vom Einkauf ausgeschlossen werden.
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