Montag, 24. August 2015

Beyond man and woman - hearing the German Ethics Council about intersexuality // Gender identity in German law // Jenseits von Mann und Frau Anhörung des Deutschen Ethikrates zum Thema Intersexualität // Geschlechtsidentität im deutschen Recht

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Geschlechtsidentität im deutschen Recht

Eine "Geschlechtsidentität" haben alle Menschen, diese wird aber nur dann thematisiert, wenn sie von der Norm abweicht. Zwei große Fragestellungen der Geschlechtsidentität fordern das Rechtssystem heraus: Transgender und Intersex.

Einleitung

Das Recht ist seit jeher ein Ort, in dem Geschlechterfragen verhandelt werden, und demokratisch gesetztes Recht bewegt sich immer im Spannungsfeld zwischen Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz. Nun ist es kein Ding der Unmöglichkeit, eine Mehrheit von den schützenswerten Interessen einer Minderheit zu überzeugen. Eine Herausforderung ist es aber allemal, und dies gilt vor allem für Fragen des Geschlechts. Die historisch wie aktuell relevante gesellschaftliche Ordnungskategorie "Geschlecht" hat - vergleichbar mit der Hautfarbe - die Eigenschaft, insbesondere dann unsichtbar zu sein, wenn sie unproblematisch ist, das heißt der Vorstellung des gesellschaftlich (und rechtlich) gesetzten "Normal-Subjekts" entspricht. "Geschlecht" wird aufgrund dieser Dynamik ebenso wie gender regelmäßig mit der "Frauenfrage" gleichgesetzt. Und auch die "Geschlechtsidentität" ist eine Eigenschaft, die alle Menschen tragen, die aber nur dann thematisiert wird, wenn sie von der Norm abweicht und so zur Herausforderung für das Rechtssystem wird.

Geschlecht und Geschlechtsidentität als unbestimmte Rechtsbegriffe

Ob und wie Geschlechtsidentität ausgelebt werden darf, unterliegt rechtlicher Regulierung. Weder Geschlecht noch Geschlechtsidentität werden allerdings vom Recht definiert. "Geschlecht" ist als Rechtsbegriff von schwindender Bedeutung. Immer weniger Rechtsvorschriften knüpfen an das Geschlecht an. Dies ist natürliche Folge der Anwendung derjenigen Vorschriften, die dies noch tun, nämlich der nationalen, internationalen und europäischen Verbote von Diskriminierung "wegen des Geschlechts". Artikel 3 Absatz 3 Grundgesetz (GG) verbietet die Diskriminierung unter anderem wegen des Geschlechts, sie ist nach der seit 20 Jahren gefestigten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) aber gerechtfertigt, wenn sie auf "natürlichen Gründen" beruht. Mit natürlichen Gründen sind biologische gemeint, das heißt, gesellschaftliche Zuschreibungen und Aufgabenzuweisungen sind nach dieser Rechtsprechung keine anerkannten Differenzierungsgründe mehr sie waren es zuvor jahrzehntelang.[1] Das Recht knüpft immer seltener und aktuell nur noch an zwei Stellen an das Geschlecht an: Bei der Entscheidung, ob zwei Menschen (wegen der Verschieden- beziehungsweise Gleichgeschlechtlichkeit ihrer Verbindung) heiraten oder sich "verpartnern" können, und in Artikel 12a GG (Wehrpflicht nur für Männer).

"Geschlecht" wird im Recht also an sich nur noch mit antidiskriminatorischer Zielsetzung und so gut wir gar nicht mehr affirmativ genannt. Dennoch hält das Recht an der Bedeutsamkeit der Frage, wer eigentlich welches Geschlecht "hat", fest: Das Geschlecht eines Menschen wird auf seinem Reisepass (Paragraf 4 Absatz 1 Nr. 6 Passgesetz) sowie seiner Geburtsurkunde (Paragraf 59 Absatz 1 Nr. 2 Personenstandsgesetz (PStG)) vermerkt, und es ist im Geburtsregister (Paragraf 21 Absatz 1 Nr. 3 PStG) erfasst. Keine dieser Regelungen, auf die noch einzugehen ist, enthält eine Definition des Begriffes "Geschlecht".

Das Recht erklärt weder, was Geschlecht ist, noch, wie die Geschlechtszugehörigkeit festzustellen ist.

Da das AGG und einige Landesverfassungen[2] den Begriff "sexuelle Identität" verwenden, und damit sowohl die individuelle Geschlechtsidentität, das heißt die Frage, welchem Geschlecht sich ein Mensch zugehörig empfindet, als auch die sexuelle Orientierung meinen, ist es im deutschen Rechtsdiskurs empfehlenswert von "Geschlechtsidentität" zu sprechen, wenn tatsächlich das individuelle Geschlechtszugehörigkeitsempfinden allein und nicht (auch) die sexuelle Orientierung gemeint ist. Dies entspricht auch dem Sprachgebrauch des BVerfG. Explizit verankert ist der Schutz von "Geschlechtsidentität" nicht.

Schutz von Geschlechtsidentität

Die Annahme, dass es zwei und nur zwei Geschlechter gibt, die sich aufgrund körperlicher Merkmale auf natürliche Weise voneinander unterscheiden, und jeder Mensch (nur) einem dieser beiden Geschlechter eindeutig und unwandelbar zugehört, ist Teil des nicht hinterfragten Alltagswissens, sie prägt unsere Gesellschaft und dementsprechend unser Rechtssystem. Der Schutz von Geschlechtsidentität ist selbstredend gewährleistet, solange diese Annahme bestätigt wird, das heißt das Geschlechtszugehörigkeitsempfinden sich innerhalb dieses binären Systems der Zweigeschlechtlichkeit bewegt und nicht von dem Geschlecht abweicht, das bei Geburt zugewiesen wurde. Dass es durchaus Fälle gibt, auf die diese Annahme nicht zutrifft, gelangt allmählich ins öffentliche Bewusstsein und ist auch dem Recht nicht verborgen geblieben. Obwohl der Alltag von Personen mit "auffälliger" Geschlechtsidentität von zahlreichen Diskriminierungen geprägt ist, die teilweise traumatisierend sind, wird - in der Bundesrepublik - der Schutz von Geschlechtsidentität nicht im Antidiskriminierungsrecht, sondern anlässlich der Frage der personenstandsrechtlichen Anerkennung dieser "abweichenden" Geschlechtsidentität verhandelt. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass das Personenstandsrecht reguliert, welche Informationen persönliche Dokumente wie Ausweise, Pässe, Geburtsurkunden und - diesen entsprechend - Zeugnisse und sonstige Bescheide (zwangs-)offenbaren.
Und diese Regulierung bewirkt, dass man an das Geschlecht, das einem bei Geburt zugewiesen wurde, gebunden ist, man kann dieses "rechtliche Geschlecht" nicht ohne Weiteres, also nicht nach Belieben, ändern. Die Geschlechtsidentität eines Menschen lässt sich bei dessen Geburt jedoch nicht erkennen.
Sie entwickelt sich erst im Laufe seines Lebens und hängt vor allem von psychischen Faktoren ab. Ob und welche somatischen Faktoren dabei eine Rolle spielen, ist umstritten. Dennoch werden die beiden Hauptanwendungsfälle eines Rechts auf (ungestörtes Ausleben der) Geschlechtsidentität danach unterschieden, ob sie auf einer angeborenen körperlichen Besonderheit beruhen oder nicht: Von "Intersex" wird bei uneindeutigen Geschlechtsmerkmalen gesprochen, von "Transgender" oder "Transsexualität", wenn die Geschlechtsidentität nicht mit dem an sich "eindeutigen" Körper übereinstimmt.

Transgender

Der Schauplatz der Anerkennungskämpfe von Transidentitäten heißt in Deutschland "Gesetz über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen - Transsexuellengesetz" (TSG) und ist wie jedes Gesetz ein Kind seiner Zeit.
Die in der Regelung verwendeten Ausdrücke "Transsexuelle" und "Transsexualismus" entsprechen dem Sprachgebrauch der Entstehungszeit (1980) und lassen erkennen, dass dem TSG das damals durchaus zeitgemäße Konzept "Transsexualität" zugrunde liegt. Dieses basiert auf einer (pathologisierenden) Vorstellung von Transidentität als psychischer Störung, deren Vorliegen an die Diagnose einiger Schlüsselsymptome geknüpft ist:  der seit der Kindheit bestehende Wunsch eindeutig dem anderen Geschlecht zuzugehören, eine heterosexuelle Orientierung im empfundenen Geschlecht sowie Hass auf die eigenen Genitalien und dementsprechend der Wunsch, körperliche Angleichungsmaßnahmen vorzunehmen.
Mittlerweile haben Betroffene (mehr) Definitionsmacht eingefordert, und hat die Sexualforschung diese Diagnostik revidiert. Das Unbehagen hinsichtlich des zugewiesenen Geschlechts kann, muss aber nicht unbedingt mit dem Wunsch nach hormonellen oder chirurgischen Maßnahmen einhergehen, kann uneindeutige, auch zwischengeschlechtliche Verortungen einschließen und ist an keine bestimmte sexuelle Orientierung gekoppelt. Dies hat zum einen zur Einführung des Begriffs "Transgender" oder sogar "Trans*" geführt, um die Abgrenzung zu dem Ausschlüsse produzierenden Konzept "Transsexualität" zu verdeutlichen beziehungsweise sich der zuschreibenden Vergeschlechtlichung ganz zu entledigen, und zum anderen zu Revisionen des TSG durch das BVerfG.

Acht Mal hat sich das BVerfG bisher mit Fragen von Transidentität beschäftigt, sechs Mal ging es um Regelungen des TSG, die dann jeweils für verfassungswidrig und unanwendbar erklärt wurden. In der ersten Entscheidung des BVerfG zum Thema Transsexualität ging es um die Ermöglichung der Personenstandsänderung überhaupt:  1978 gab es noch kein TSG und damit keine gesetzliche Möglichkeit, den Geschlechtseintrag zu ändern.
Das BVerfG befand, dass das Recht auf Anpassung des rechtlichen Geschlechts bei Vorliegen einer medizinisch feststellbaren "transsexuellen Prägung" im Grundrecht des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts enthalten sei und forderte den Gesetzgeber auf, ein Verfahren dafür zu installieren. Das war 1978 eine geradezu revolutionäre Infragestellung der gesellschaftlichen Grundannahme der Unwandelbarkeit des Geschlechts.
Der nachfolgende Gesetzgebungsprozess hatte die Ressentiments und Berührungsängste zu überwinden, die allem geschlechtlich Unangepassten anhaften. Das Ergebnis war ein Gesetz, dass allein in seiner Existenz einen bahnbrechenden Fortschritt bedeutete (nur Schweden hatte bereits ein ähnliches Gesetz), in seiner Ausgestaltung aber doch recht restriktiv und vor allem deutlich von den Schlüsselsymptomen der Sexualforschung der 1970er Jahre geprägt war.
Die beiden Altersbeschränkungen ab jeweils 25 Jahren etwa waren Zugeständnisse an den schwer zu überzeugenden Bundesrat gewesen und wurden durch die zweite und dritte Entscheidung des BVerfG beseitigt.[11] Das TSG kennt zwei Verfahrensarten: Bei der "großen Lösung" (Paragraf 8 TSG) wird die Zugehörigkeit zum anderen Geschlecht gerichtlich festgestellt, das heißt, Geburtseintrag und -urkunde sowie alle anderen Dokumente werden hinsichtlich des Geschlechtseintrags geändert, ein neuer Vorname kann eingetragen werden. Die "kleine Lösung" ermöglicht die Änderung des Vornamens (Paragraf 1 TSG), ohne dass das jedoch Auswirkungen auf das "rechtliche" Geschlecht hat.
Der neue Vorname kann bei der "kleinen Lösung" in alle Dokumente eingetragen werden; eine Reform des Passgesetzes erlaubt seit 2007 sogar, dass der Geschlechtsvermerk im Pass dem Geschlecht, auf das der neue Vorname verweist, angepasst wird (also im Widerspruch zum "rechtlichen Geschlecht" steht).
Dass eine Änderung des Vornamens nur Sinn ergibt, wenn die betroffene Person gleichzeitig im empfundenen Geschlecht angeredet wird, hat das BVerfG in seiner vierten Entscheidung festgestellt.
Dies bewirkt, dass die Vornamensänderung auch Auswirkungen auf etwaige Titel hat.
Die Geburtsurkunde einer adeligen Transfrau, die lediglich die "kleine Lösung" durchlaufen hat, kann sich also so lesen: "L. I. Freifrau ..., männlichen Geschlechts".  Warum diese merkwürdige Konstruktion auseinanderfallender Geschlechtsmarker?
Die "kleine Lösung" war als Durchgangsstadium konzipiert worden, um eine erhebliche Alltagserleichterung zu bieten, bevor die Voraussetzungen der "großen Lösung" vorlagen. Denn die "große Lösung" hatte ursprünglich sehr viel höhere Voraussetzungen als die "kleine".
Beide Varianten setzen eine dauerhafte, wahrscheinlich irreversible "transsexuelle Prägung" voraus. Die weiteren Voraussetzungen des rechtlichen Geschlechtswechsels waren bis zur siebten Entscheidung des BVerfG  das Erfordernis, nicht im Ausgangsgeschlecht verheiratet zu sein, und bis zur achten Entscheidung  die Vornahme (chirurgischer) Angleichungsmaßnahmen inklusive der Beseitigung der Fortpflanzungsfähigkeit.
Das Erfordernis der Ehelosigkeit verhinderte, dass durch Änderung des rechtlichen Geschlechts eines Ehepartners dessen bestehende Ehe zur "Homo-Ehe" wurde, was vor und sogar nach Einführung der eingetragenen Lebenspartnerschaft nicht erwünscht war.
Das BVerfG fand dies ein durchaus legitimes Anliegen des Gesetzgebers, das jedoch vom individuellen Recht, nicht zur Scheidung gezwungen zu werden, übertroffen würde. Die Voraussetzungen der Fortpflanzungsunfähigkeit und der Angleichungsoperation waren Ausdruck der Relevanz, die einer körperlichen Verschiedenheit der Geschlechter(funktionen) gesellschaftlich beigemessen wird.
Der von diesen Vorschriften ausgehende "OP-Zwang" war vor der sie aufhebenden Entscheidung Gegenstand rechtspolitischer Diskussion gewesen:[  Seit Längerem schon war in Medizin und Sexualforschung die Annahme, wer transsexuell sei, brauche operative Geschlechtsangleichung, und nur, wer operative Geschlechtsangleichung anstrebe, sei transsexuell, als Zirkelschluss entlarvt  und waren vielfältigere Formen als ebenso "echte" Transidentität erkannt worden.

Bereits in seiner fünften Entscheidung  hatte das BVerfG die Notwendigkeit des "OP-Zwangs" infrage gestellt, da viele Betroffene dauerhaft in der "kleinen Lösung" verblieben, weil sie die Voraussetzungen für die "große" nicht erfüllen könnten oder wollten. Gegenstand der Entscheidung war allerdings Paragraf 7 Absatz 1 Nr. 3, nach dem im Falle einer Eheschließung im rechtlichen Geschlecht der in der "kleinen Lösung" geänderte Vorname in den alten Vornamen zurück zu ändern war. Hintergrund war zum einen die Annahme, die Eheschließung beweise, dass sich die Person nunmehr erneut in ihrem "Ausgangsgeschlecht" verorte,  und zum anderen das gesetzgeberische Anliegen, den Anschein einer "Homo-Ehe" zu verhindern, der durch Eheschließung zweier rechtlich verschiedengeschlechtlich, aber nach den Vornamen als gleichgeschlechtlich zu beurteilende Menschen entstünde.
Auch hier hielt das BVerfG die Bemühungen des Gesetzgebers, die Verschiedengeschlechtlichkeit der Ehe zu schützen, für legitim, ließ dies aber zurücktreten hinter die überwiegenden Rechte erstens auf einen Vornamen, der Ausdruck der empfundenen Geschlechtsidentität ist, und zweitens auf die Möglichkeit, mit der Person seiner Wahl irgendeine Form der rechtlich verbindlichen Partnerschaft eingehen zu können.
Die fünfte, siebte und achte Entscheidung sind Ausdruck der Verquickung von Fragen der Geschlechtsidentität und der sexuellen Orientierung: Auch die achte Entscheidung stand im Zusammenhang mit der Frage, ob einem rechtlich verschiedengeschlechtlichen, aber nach den (der Geschlechtsidentität entsprechenden) Vornamen gleichgeschlechtlichen Paar die Ehe oder die Lebenspartnerschaft offenstehen sollte.
Das BVerfG entschied sich dafür, die Änderung des rechtlichen Geschlechts auch ohne körperliche Angleichung zuzulassen, um das Eingehen einer (der empfundenen gleichgeschlechtlichen Orientierung der Beschwerdeführerin entsprechenden) Lebenspartnerschaft zu ermöglichen - und gleichzeitig den Anschein einer "Homo-Ehe" zu verhindern.

Mehrere Paradigmenwechsel haben durch diese Entscheidungen stattgefunden. Mit der Aufgabe der körperlichen Basis von Geschlecht lässt das BVerfG Menschen mit widersprüchlichen "Geschlechtsmerkmalen" zu, was geradezu revolutionär erscheint, aber der Rechtslage vieler anderer Länder entspricht, etwa Großbritanniens und Spaniens. Die Anerkennung einer gleichgeschlechtlichen Orientierung im empfundenen Geschlecht entspricht nicht nur aktueller Sexualforschung, sondern einer größeren gesellschaftlichen und rechtlichen Anerkennung gleichgeschlechtlicher Orientierung überhaupt.
Die Argumentation mit dem legitimen gesetzgeberischen Anliegen, "Homo-Ehen" oder deren Anschein verhindern zu wollen, scheint zwar eine Verteidigung der letzten Bastion der Strukturmerkmale der Ehe zu sein.
Zu beachten ist aber, dass sie in der fünften und siebten Entscheidung zugunsten der individuellen Rechte unterliegen musste und in der achten Entscheidung praktisch die Krücke war, mithilfe derer die Aufgabe der hoch umstrittenen Voraussetzungen Fortpflanzungsunfähigkeit und Angleichungsoperation gerechtfertigt wurde.
Das BVerfG meint es offensichtlich gut mit transidenten Menschen. Jedes bisher geführte Verfahren hatte Erfolg und führte zu einer Verbesserung der Rechtslage. Die sechste Entscheidung steht ebenfalls unter diesem Zeichen, sie erweiterte den Kreis derjenigen, auf die das TSG anwendbar ist.

Dennoch bleibt noch Einiges zu tun. Die Rede von "Ausgangsgeschlecht", "Geschlechtswechsel" und "Umwandlungsoperationen" suggeriert, dass das "alte" Geschlecht wirklich einmal das "wahre" Geschlecht war, das nun geändert wird. Tatsächlich wird meist durch die Änderung des Vornamens, des Personenstands und gegebenenfalls des Körpers nur einer immer schon bestehenden - psychisch begründeten - Geschlechtszugehörigkeit Ausdruck verliehen.
Gleichzeitig ist nicht zu verlangen, dass das Geschlechtszugehörigkeitsempfinden unwandelbar, also schon seit Kindheit und lebenslang bestehen müsse. Temporäre Geschlechtswechsel sollten Teil einer möglichen und anerkennungsfähigen Transidentität sein; für sie bietet das TSG mit seiner jetzigen Voraussetzung der Dauerhaftigkeit keinen Raum. Mit dem Wegfallen der weiteren Voraussetzungen ist jetzt die "große Lösung" zwar zum Preis der "kleinen" zu haben, das heißt so niederschwellig wie nie. Einfach ist ein rechtlicher Geschlechtswechsel dennoch nicht.
Die von Paragraf 4 Absatz 3 TSG vorausgesetzten Gutachten legen den Betroffenen ein langwieriges und kostspieliges Verfahren auf; dass Paragraf 1 Absatz 1 Nr. 1 verlangt, vor der Vornamensänderung bereits ganze drei Jahre lang im empfundenen Geschlecht zu leben ("Alltagstest"), ist für viele schlicht eine Zumutung und konterkariert die Idee, die Vornamensänderung solle vor der Personenstandsänderung den Alltag, insbesondere im Umgang mit Arbeitgebern und Behörden, erleichtern.
Diese Umstände, nicht ihre geschlechtliche Identität, sind für die Betroffenen Auslöser von Traumatisierungen.
Das BVerfG hat dem Gesetzgeber anheimgestellt, wie er mit der Nichtanwendbarkeit der verfassungswidrigen Voraussetzungen umgeht. Er könne etwa durch eine Veränderung der Voraussetzungen für die Nachweisbarkeit der Transidentität dafür sorgen, dass die Unterscheidung in "kleine" und "große Lösung" aufrechterhalten wird, aber auch das TSG einer Gesamtreform unterziehen.
Dies lässt befürchten, dass sich die ohnehin schon problematische Gutachterpraxis verschärft, und gleichzeitig hoffen, dass das TSG in einer Gesamtüberarbeitung noch von weiteren diskriminierenden, aber bisher noch nicht angegriffenen Regelungen bereinigt wird.

Das BVerfG sieht zu Recht den Schutz der Geschlechtsidentität im Allgemeinen Persönlichkeitsrecht verankert. Über diese individualistische Fassung hinaus wäre es angebracht, die Hürden, die Gesellschaft und Rechtssystem dem Ausleben einer normabweichenden Geschlechtsidentität entgegensetzen, als Geschlechtsdiskriminierung zu sehen, da letztlich Menschen danach bevorzugt oder benachteiligt werden, ob sie die Erwartung, sich einem von zwei vorausgesetzten und voneinander klar unterschiedenen Geschlechtern, und möglichst dem bei Geburt zugewiesenen, zuzuordnen, erfüllen oder nicht.
Diese Erwartung ist Teil der vielseitigen Zuschreibungen, welche die Kategorisierung "Geschlecht" bedingt, und die Artikel 3 Absatz 3 GG verbietet zu berücksichtigen.
Eine solche antidiskriminatorische Fassung würde die Privilegierung, die eine normkonforme Geschlechtsidentität bedeutet, in den Blick rücken und hätte im Vergleich zum Schutz über die individuelle Freiheit der Persönlichkeit ein höheres emanzipatorisches Potenzial. Dies gilt auch für die Behandlung der anderen großen Fragestellung der Geschlechtsidentität: Intersex.

Intersex

Auch hier geht es um die Anerkennung einer normabweichenden Geschlechtszugehörigkeit. Während im Rahmen der rechtlichen Behandlung von Trans*-Fragen hauptsächlich der Wechsel von einem zum anderen herkömmlichen Geschlecht (männlich oder weiblich) und zwischengeschlechtliche Verortungen bisher nur am Rande und in der Verfassungsrechtsprechung noch gar nicht thematisiert wurden, ist genau dies bei Inter*-Fragen virulent. Seit Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) ist der "Zwitter" aus dem deutschen Rechtssystem verschwunden, die Eintragung eines weder männlichen noch weiblichen Geschlechts in Geburtsregister, -urkunde und Pass ist bisher noch nicht erreicht worden.
Die Thematik hat aber öffentliche Aufmerksamkeit erlangt, Bundestag und Landesparlamente und jüngst der Deutsche Ethikrat im Auftrag der Bundesregierung beschäftigen sich mit ihr.
Mangels gesetzgeberischer Initiative bleibt zu hoffen, dass sich das BVerfG, das bisher noch nicht mit der Frage befasst worden ist, zu ihr äußert und - wie in der Geschichte von Trans*-Rechten - zum Wegbereiter wird.
Nach heutigem Recht gilt, wie bereits erwähnt, dass das Geschlecht eines Menschen registriert werden muss.
Welcher Art der Geschlechtseintrag zu sein hat, ist gesetzlich nicht vorgegeben, seit 2010 weist eine Verwaltungsvorschrift die Standesbeamt_innen erstmals an, entweder "männlich" oder "weiblich" einzutragen.

Verheißungsvoll und fortschrittlich schien die Änderung des PstG zu sein, nach der seit 2009 auf Antrag eine Geburtsurkunde ohne Eintrag des Geschlechts ausgestellt werden kann.
Dies mag eine begrenzte Alltagserleichterung bedeuten, aber keine echte "Geschlechtsfreiheit": Der Eintrag im Geburtsregister bleibt bestehen, es muss ein binär codiertes Geschlecht eingetragen werden.

Drängend sind aber auch andere Problematiken. Nach wie vor werden Kinder mit uneindeutigen Genitalien an diesen operiert, bevor sie Einwilligungsfähigkeit erlangt haben. Dies kann verhindern, dass sich die Geschlechtsidentität des Kindes (zu welchem Geschlecht auch immer) ungestört entwickeln kann. Durch die Veränderung an den empfindlichen Sexualorganen wird die sexuelle Selbstbestimmung erheblich beeinträchtigt. Das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung ist nicht nur Teil des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts, sondern wird von der Kinderrechtskonvention ebenso wie vom Strafrecht geschützt: Zu Recht wird die straf- und deliktsrechtliche Bedeutung von Operationen angenommen, die vor der entstehenden Möglichkeit einer Einflussnahme durch die Betroffenen vorgenommen werden.
Es geht dabei einerseits um die Ärzt_innen, die sich wegen Verletzung von Aufklärungspflichten und unter Umständen sogar wegen der rechtlichen Unmöglichkeit einer Einwilligung in sterilisierende Operationen nach Paragraf 1631c BGB strafrechtlich verantworten müssten, und andererseits um die Eltern, die möglicherweise gar nicht vertretungsbefugt sind, also die Zustimmung ihrer Kinder nicht ersetzen können.
 Hier besteht erheblicher Regelungsbedarf. So ist zu verhindern, dass Eltern aus Mangel an Information oder aus Furcht vor einer stigmatisierenden "Besonderheit" ihres Kindes Angleichungsoperationen geschehen lassen, ohne die möglicherweise traumatischen Folgen abschätzen zu können. Außerdem ist zu betonen, dass ein Heileingriff grundsätzlich zur Verbesserung des Wohlbefindens des/der Patient_in, nicht der Angehörigen, stattzufinden hat.
Mit seiner achten Entscheidung zur Transidentität hat das BVerfG die Rechtskategorie "Geschlecht" auf radikale Weise dekonstruiert und denaturalisiert, indem es ihr die Notwendigkeit einer körperlichen Basis abgesprochen hat. Damit könnte rechtsdogmatisch wie -politisch der Weg für eine ebenso radikale Verbesserung der Intersex-Rechtslage bereitet werden.
Wichtige Argumentationen der Entscheidung lassen sich für Inter*-Belange ins Feld führen, etwa: "Die personenstandsrechtliche Anerkennung des empfundenen Geschlechts darf nicht von Voraussetzungen abhängig gemacht werden, die schwere Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit bedingen und mit gesundheitlichen Risiken verbunden sind, wenn diese nach wissenschaftlichem Kenntnisstand keine notwendige Voraussetzung einer dauerhaften und erkennbaren Änderung der Geschlechtszugehörigkeit sind."
Dies müsste doch umso mehr gelten, wenn gar keine Änderung, sondern lediglich die Anerkennung einer von vornherein bestehenden Identität angestrebt wird. Auch die Aussage, eine "Operation, mit der die Geschlechtsmerkmale eines Menschen großteils entfernt beziehungsweise so umgeformt werden, dass sie im Aussehen dem empfundenen Geschlecht möglichst weitgehend entsprechen," stelle "eine massive Beeinträchtigung der von Art. 2 Abs. 2 GG geschützten körperlichen Unversehrtheit mit erheblichen gesundheitlichen Risiken und Nebenwirkungen für den Betroffenen dar", gilt erst recht, wenn nicht zum empfundenen Geschlecht hin, sondern eine ganz individuelle Geschlechtszugehörigkeit wegoperiert wird.

Drittes Geschlecht? Warum überhaupt Geschlecht?

In der rechtspolitischen Diskussion wird, neben der straf-, medizin- und sorgerechtlichen Regulierung der Fälle, der Ruf nach der Möglichkeit eines Geschlechtseintrags laut, der weder männlich noch weiblich lautet, eines dritten Geschlechts also. Die Forderung ist mittelfristig zu unterstützen, als sie zwischengeschlechtlichen Identifikationen die rechtliche Anerkennung verleihen würde, die sie verdienen. Dies könnte unter Umständen auch den Zuweisungsdruck nehmen, unter dem Ärzt_innen und Eltern bei Geburt eines geschlechtlich uneindeutigen Babys stehen. Die Zuweisung eines binären Erziehungsgeschlechts mag aber gesellschaftlich praktikabel bleiben. Eine solche neue Geschlechtsgruppe birgt aber die Gefahr der Essenzialisierung der herkömmlichen beiden Gruppen.

"Echte" Männer und "echte" Frauen blieben sicherlich die hegemonialen Geschlechtskategorien, das "dritte Geschlecht" ein Sammelbecken für alles geschlechtlich Abweichende und Marginalisierte. Vielversprechender scheint die (näher rückende?) Utopie, auf die Geschlechtszuweisung und -erfassung ganz zu verzichten.

Wozu braucht das Recht "Geschlecht"?

Affirmativ wie beschrieben eigentlich gar nicht mehr. Als Grund für leider nach wie vor zu befürchtende Diskriminierungen muss das Recht "Geschlecht" noch kennen. Dafür bedarf es aber keiner registerrechtlichen Erfassung - Rassismus kann schließlich auch benannt werden, ohne dass es eines "Rasseeintrags" im Geburtsregister bedarf.
Recht würde "Geschlecht" dann nur noch in diesem antidiskriminatorischen Sinne gebrauchen, und damit darauf hinwirken, dass Geschlecht gesellschaftlich als etwas ganz Persönliches, Individuelles behandelt wird, dass mit der körperlichen Ausstattung zusammenhängen kann, aber nicht muss, und vor allem von dem abhängt, was sich im Kopf abspielt, oder, wie jüngst der "Tatort" titelte: "Zwischen den Ohren".

Jenseits von Mann und Frau – Anhörung des Deutschen Ethikrates zum Thema Intersexualität

Dürfen zwischengeschlechtlich geborene Kinder medizinisch vereindeutigt werden? Viele Betroffene im Erwachsenenalter beklagen die für sie belastenden Folgen solcher meist irreversibler Eingriffe und fordern deren Verbot. Im Zuge der öffentlichen Anhörung des Deutschen Ethikrates am 8. Juni 2011 in Berlin wurden ethische, medizinische, rechtliche, psychologische und gesellschaftliche Fragen im Umgang mit Intersexualität lebhaft und kontrovers diskutiert.

Mit Intersexualität bezeichnet man unterschiedliche Formen der Uneindeutigkeit der Geschlechtszugehörigkeit eines Menschen. Sie beruht auf der fehlenden Übereinstimmung zwischen den äußeren und inneren körperlichen Geschlechtsmerkmalen und den genetischen Merkmalen eines Menschen. Intersexualität ist ein Thema, das in der Öffentlichkeit immer noch tabuisiert wird. Dabei sind grundsätzliche Fragen der Medizin und der Ethik, der Grundrechte von Betroffenen und unseres Verständnisses von Geschlechtlichkeit betroffen.

Für den Deutschen Ethikrat ist das Thema Intersexualität Anlass, erstmals eine onlinebasierte Beteiligungsplattform zu starten. Die Debatte zum Thema Intersexualität kann ab sofort auf diskurs.ethikrat.org öffentlich fortgeführt werden.

In den beiden Foren zu den Themen „Medizinische Behandlung, Indikation, Einwilligung“ sowie „Lebensqualität, gesellschaftliche Situation und Perspektiven von Menschen mit Intersexualität“ stellten Experten und Betroffene ihre Positionen zum Thema vor. Im Anschluss folgte eine Befragung durch die Mitglieder des Deutschen Ethikrates. Publikumsanwälte sammelten schließlich Fragen der anwesenden Öffentlichkeit ein und richteten sie gebündelt an die Sachverständigen.

Zu diesen zählten Mediziner, Psychologen, Juristen, Vertreter von Elterninitiativen, Betroffenenvereinen und -organisationen. Ziel der Anhörung und des sich an die Anhörung anschließenden öffentlichen Diskurses (bis 31. Juli 2011) auf diskurs.ethikrat.org ist die Erarbeitung einer Stellungnahme des Ethikrates zum Thema Intersexualität für die Bundesregierung bis Ende 2011.

Als besonders kontrovers erwiesen sich folgende Fragen: Dürfen intersexuell Neugeborene und Kleinkinder durch medizinische Eingriffe dem männlichen oder weiblichen Geschlecht zugewiesen werden? Wird damit in unzulässiger Weise in das Grundrecht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit und in sein Persönlichkeitsrecht, dass das Recht auf Selbstbestimmung, Fortpflanzung und eigene geschlechtliche und sexuelle Identität umfasst, eingegriffen? Wie weit geht das Elternrecht zur Einwilligung

Die Betroffenen betonten die Notwendigkeit, hier eine klar begrenzende Regelung zu schaffen, da intersexuelle Menschen dadurch irreversibel psychisch und physisch geschädigt werden. Zudem wurden eine bessere psychosoziale Betreuung und Beratung für Betroffene und Eltern sowie Verbesserungen in der medizinischen Versorgung und im Versicherungsbereich gefordert.

Von verschiedenen Experten wurde eine breite Aufklärung der Öffentlichkeit und Verankerung des Themas Intersexualität in der medizinischen Ausbildung vorgeschlagen. Diskutiert wurde auch die Frage einer Entschädigung der Betroffenen. Die im Personenstandsrecht geregelte Verpflichtung, mit der Geburt auch das Geschlecht des Kindes einzutragen, wurde kritisiert, da es Eltern und später auch vielen Betroffenen selbst im Erwachsenenalter nicht möglich ist, sich dem Geschlecht männlich oder weiblich zuzuordnen, sie sich vielmehr als dazwischen stehend oder als Geschlecht eigener Art empfinden und auch so leben möchten.

Interessierte können die einzelnen Redebeiträge der Anhörung unter http://www.ethikrat.org/veranstaltungen/anhoerungen/intersexualitaet nachhören und sind eingeladen, auf der Beteiligungsplattform diskurs.ethikrat.org zu diskutieren und zu kommentieren.

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