Samstag, 15. August 2015

Self-determination and of new ways of looking at transsexuals - Who's afraid of change of perspective? Selbstbestimmung von und neue Sichtweisen auf Transsexuelle – wer hat Angst vorm Perspektivenwechsel?

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Self-determination and of new ways of looking at transsexuals - Who's afraid of change of perspective?

Selbstbestimmung von und neue Sichtweisen auf Transsexuelle – wer hat Angst vorm Perspektivenwechsel?

Die in Deutschland immer noch gebräuchlichen medizinisch-diagnostischen Behandlungsstandards sind veraltet und folgen einem starren Schema, so die Kritik in diesem Beitrag. 
Geschlechtsidentität muss getrennt von sexueller Orientierung betrachtet und die Intimsphäre von Transsexuellen  besser geschützt werden.

Einleitung und Begriffe
Wer etwas über Transsexualität  wissen will, sollte Transsexuelle  fragen. Die Problematik im bisherigen Umgang der Medizin, des Rechtes und der Politik mit transsexuellen  Menschen ist jedoch, dass die Entscheidungsträger_innen  sich von ihren Erfahrungswelten abschotteten: Weder wurden Transsexuelle bei der Erarbeitung des Transsexuellengesetzes (TSG) einbezogen (eine Reform steht nach wie vor aus), das sich vornehmlich auf medizinisch pathologisierende Modelle und »Experten«-Anhörungen stützte, noch spielten sie bei der Erarbeitung der medizinischen und kassenärztlichen Behandlungsstandards eine Rolle (Becker et al. 1997; MDS 2009).

Im Gegenteil: »auf die Anhörung von Betroffenenorganisationen« wurde im Wissen um deren Beteiligungswillen expressis verbis verzichtet (Becker 1998, S. 155; Transidentitas e.V. 1997, S. 350).
Entstanden sind aus dieser fast phobisch anmutenden Ferne zu Transsexuellen  und ihren Bedürfnissen (Güldenring et al. in Erscheinung) ein unzulässig verquicktes rechtliches und medizinisches Regulierungssystem, das an den real bestehenden Bedarfen einer Vielfalt von Transsexuellen-Identitäten vorbeigeht und von verschiedenen Seiten als nicht menschenrechtskonform eingestuft wird.
Wir skizzieren im Folgenden die Probleme, die mit den aktuellen Verfahren der rechtlichen Vornamens- und Personenstandsänderung sowie der medizinischen transsexuellen-spezifischen Versorgung für Transsexuelle  entstehen sowie abschließend den notwendigen Perspektivenwechsel, der diese Systeme und die Lebens- und Diskriminierungslagen von Transsexuellen  unmittelbar verbessern würde.

Transsexualität als psychische Störung?

Krank, ein bisschen krank oder doch gesund?

Nach dem ICD-10 gilt Transsexualität derzeit noch als psychische »Störung der Geschlechtsidentität«, nach DSM-V hat der Leidensdruck, den Transsexuellen  aufgrund der Inkongruenz von Körper und Geschlechtsidentität empfinden können, störungsartigen Charakter.

Obschon dies eine erhebliche Verbesserung zum DSM-IV darstellt, geht vielen Transsexuellen aktivist_innen und -Organisationen die Entpathologisierung durch »Geschlechtsdysphorie« nicht weit genug, da Transsexuelle ein medizinisch zu diagnostizierendes und damit krankheitswertiges Phänomen bleibt.
Gleichzeitig steht einer kompletten Streichung der Diagnostik aus den medizinischen Klassifikationssystemen die (begründete) Angst entgegen, dass es die Gesundheitssysteme aus der Pflicht entlassen könnte, für die Kosten von geschlechtsangleichenden Maßnahmen auf zukommen. Daher gehen die aktuellen Über legungen der Weltgesundheitsorganisation zum ICD-11 in Richtung der vollen Entpsychopathologisierung bei Einführung eines extra, nicht pathologisierenden Kapitels für »Geschlechtsinkongruenz« (erwartet 2017) (Sauer 2014).

Die Türsteherfunktion von Recht und Medizin

Zum Schutz der engeren persönlichen Lebenssphäre nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) gehören gemäß Auslegung des BVerfG der Sexualbereich und die sexuelle Selbstbestimmung (BVerfG 1 BvL 10/05). Damit ist das Spannungsfeld aufgezeigt, in dem sich Transsexuelle  bis heute bewegen:
Sie wollen ihre Geschlechtsidentität rechtlich und sozial anerkannt leben und brauchen dafür, anders als Homosexuelle, oft (nicht immer) medizinische Unterstützung, um ihren Körper dem Geschlechtsausdruck an zu passen, den sie für sich als stimmig empfinden.

Das »Recht auf Anerkennung der selbstbestimmten geschlechtlichen Identität« (ebd.) erreicht in der legistischen und medizinischen Umsetzung seine Grenzen. Im Verbund agieren die Instanzen Medizin und Recht als fremdbestimmende Türsteher_innen, die Trans* den Zugang zur Transition erschweren oder verunmöglichen.

Die in Deutschland immer noch gebräuchlichen medizinisch-diagnostischen Behandlungsstandards (sog. Standards of Care) sind veraltet und folgen einem starren Schema (Becker et al. 1997).
Sie wurden bereits anlässlich ihres Erscheinens als ein »anachronistisches Dokument der persistenten Hilflosigkeit« der Psychiatrie eingestuft (Hirschauer 1997). Ihre Bedeutung für das Leben von Transsexuellen ist kaum zu unterschätzen, da im Augenblick aufgrund der Verquickung
durch das Begutachtungssystem im TSG sowohl die rechtliche als auch die körperliche Geschlechtsangleichung von einer Diagnosestellung abhängig sind (vgl. Abb. 1). Als diagnostische Maßnahmen verlangen die Standards eine Erhebung der biografischen Anamnese mit den Schwerpunkten Geschlechtsidentitätsentwicklung, psychosexuelle Entwicklung (einschließlich der sexuellen Orientierung) und gegenwärtige Lebenssituation.

Hier werden Transsexuellen  Fragen gestellt, die ihr intimstes Erleben und den Sexualitätsbereich erforschen und häufig als übergriffig empfunden werden.

Es ist mittlerweile gesichert, dass Geschlechtsidentität getrennt von sexueller Orientierung zu betrachten ist. 

Eine Sexualitätsanamnese ist daher ohne Wert und bedeutet einen Eingriff in die zu schützende Intimsphäre von Transsexuellen.

Erforderlich ist auch eine körperliche Untersuchung mit Erhebung des gynäkologischen bzw. andrologisch-urologischen sowie Endokrinologische Befundes.
Dieses Vorgehen steht zweifach in der Kritik: einerseits von Seiten der Intersex-Verbände, da so körperlich zwischengeschlechtliche Menschen aus der Diagnose Transsexualität aussondiert werden sollen – selbst wenn sie für sich im Laufe ihres Lebens den Transsexuellen -Weg wählen (wollen/müssen), andererseits von Transsexuellen,  die diese oft ungewollte gynäkologische Untersuchung als traumatisierend bis hin zu vergewaltigend erleben können. Sie ist für die Diagnostik obsolet, da es sich bei Transsexuellen  um geschlechtliches Selbstempfinden unabhängig von Körperlichkeit handelt (Güldenring 2009).
Abschließend hat die psychiatrisch-psychologische Diagnostik zu erfolgen, die die Identifikation im »Gegengeschlecht« verlangt (Becker et al. 1997), was nicht-binär identifizierte Transsexuellen ausschließt.
Verpflichtend ist auch ein einjähriger sog. »Alltagstest« (Leben in der »neuen« Geschlechtsrolle ohne jede medizinische Unterstützung), der psychotherapeutisch zwangsbegleitet wird.

Weder Test noch Therapie Geschehen auf freiwilliger Basis, ihre Berechtigung und ihr Nutzen stehen in der Kritik.

Die verpflichtende »Psychotherapie« führt sich selbst ad absurdum, da Transsexuelle  in einem Abhängigkeitsverhältnis zu ihren Therapeut_innen stehen, von denen sie sich die Diagnosestellung für die Indikation somatischer Maßnahmen wünschen. Die Doppelrolle von »Türsteher_in«/Therapeut_in verunmöglicht geradezu das Vertrauensverhältnis, das für eine echte psychotherapeutische Begleitung notwendig wäre (Hamm/Sauer 2014, S. 15–19; Günther 2015).
Viele Transsexuelle  erleben zudem den Alltagstest als unzumutbaren Zwang und starke psychische Belastung (Fuchs et al. 2012, S. 15).

Er erweist sich nicht nur als Auslöser von Diskriminierungen z. B. im Arbeitsleben, weil er den Arbeitsplatzverlust geradezu provoziert (Franzen/Sauer 2010, S. 16 ff., 35 ff.; Fuchs et al. 2012, S. 93 f.), sondern ist mitunter sogar gefährlich.

Transsexuelle  in Deutschland berichten überdurchschnittlich oft von Gewalt wie verbalen und physischen Angriffen sowie expliziten und versteckten Diskriminierungen (Fuchs et al. 2012, S. 15; LesMigraS 2012; FRA 2013; Familienforschung Baden-Württemberg 2014).

Ein weiteres Hindernis auf dem Weg zu einem selbst bestimmten Leben als Transsexuelle  stellen die Begutachtungsempfehlungen des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen dar (MDS 2009).

Sie beruhen auf den alten deutschen Standards of Care (Becker et al. 1997) und schreiben seit 2009 deren standardisierte Abläufe für alle geschlechtsangleichenden Behandlungen fort, wenn es sich der Kostenübernahme durch die gesetzlichen Krankenkassen zu vergewissern gilt.

Das TSG, das in Deutschland die Verfahren für Vornamens- und Personenstandsänderung (den rechtlichen Geschlechtseintrag) regelt, wirkt auf Transsexuelle  häufig ähnlich belastend und einschränkend wie die medizinischen Standards (Adamietz 2011 und in diesem Heft).

Zwei nicht frei wählbare, vom Gericht bestellte (meist psychiatrische) Gutachter_innen  bewerten eine Transsexuelle -Person danach, ob sie alle Voraussetzungen nach § 1 TSG  erfüllt, und kontrollieren dadurch den Zugang zur rechtlichen Geschlechtsangleichung (Türsteherfunktion).

Obwohl das medizinisch-diagnostische und das rechtliche Begutachtungsverfahren formell und inhaltlich getrennt sind, werden die Prozesse in der Praxis meist vermischt.

Oft sind indikationsstellende Therapeut_innen auch gleichzeitig Gutachter_innen nach dem TSG in Personalunion, was für die betreffende transsexuelle  Person den »Vorteil« hat, nur einen diagnostischen Prozess (statt zwei getrennte Begutachtungsverfahren) durchlaufen zu müssen.

Es kommt vor, dass manche Psychotherapeut_innen die Indikation für Hormone erst ausstellen, nachdem die Person einen Antrag auf Vornamensänderung nach TSG als »Ernsthaftigkeitsnachweis« eingereicht hat. Oftmals verlangen die medizinischen Dienste der Krankenkassen, die bei Antrag auf Kostenübernahme von geschlechtsangleichenden Operationen zwingend für eine dritte sozialmedizinische Begutachtung eingeschaltet werden, über die medizinischen Gutachten hinaus die Einreichung der juristischen Gutachten nach TSG. All das ist unzulässig.

In der Praxis geben Transsexuelle  diesen Anforderungen nach, weil sie sich einen positiven Ausgang der drei Begutachtungssituationen wünschen und negative Konsequenzen befürchten. Entsprechend unzufrieden sind sie mit dem Gesundheitssystem und seinen Akteur_innen.

Die Auswirkungen dieser Türsteherfunktionen mit ihren restriktiven, standardisierten Rahmenbedingungen sind gravierend, insbesondere für transsexuelle  Menschen, deren Selbstbestimmung ohnehin vulnerabel ist, wie Kinder/Jugendliche oder Menschen mit Behinderung:

»In der Behindertenwerkstatt ham se mich voll als Mann akzeptiert.

Die Transition war allerdings schwierig. 1998 war meine erste Hormonspritze … Vornamensänderung war 2006. Die Vornamensänderung wurde ja erst abgelehnt und beim dritten Mal […] dann hab ich zwei andere Gutachter gehabt, dann ging das relativ schnell … Ja, ich habe drei Anläufe gebraucht. Mit der OP-Phase, da war es problematisch … Ja, da war es so, dass ich sehr, sehr lange auf die OP warten musste. Also, ich wartete von 1998 bis 2012 auf die OP. Nee … ich war ja dann auch in der Psychiatrie, weil ich nicht mehr konnte, ich war kraftlos. Da musste ich erstmal wieder Kraft sammeln, um wieder neu zu kämpfen. […] Ich habe mich damals nicht unter stützt gefühlt. Die haben mich vor verschlossener Tür stehen lassen« (Sauer et al. 2014, S. 25).

Bedürfnis- und menschenrechtsorientierter Perspektivenwechsel

Dass es auch anders geht, beweisen aktuelle fortschrittliche Regelungen aus anderen Staaten.

Dänemark hat als erstes europäisches Land im September 2014 alle medizinischen Hürden (Diagnose, Sterilisation und Hormonbehandlung) für eine rechtliche Anerkennung im Identitätsgeschlecht abgeschafft (Danish Parliament 2014).
Die weltweit beste Regelung findet sich in Argentinien. Dort wurde 2012 ein Geschlechtsidentitätsgesetz erlassen, das bei Vornamens und Personenstandsänderung allein auf die Selbstauskunft und -einschätzung der betreffenden Transsexuellen Person vertraut (Argentina 2012).
Es regelt zusätzlich explizit den ebenfalls freien und selbstbestimmten Zugang zu transsexuellen spezifischen Gesundheitsdienstleistungen wie Hormonen oder geschlechtsangleichenden Operationen auf Basis informierter Einwilligung (prior informed consent) – ohne Wartefristen, Begutachtung oder Therapieauflagen.

Damit hat Argentinien als erstes Land der Welt umgesetzt, was spätestens seit der 7. Version der Standards of Care des Weltverbandes für Transgender Gesundheit international als Versorgungsempfehlung für Transsexuelle  neuester Stand des Wissens ist (WPATH 2012).

Mit einer selbstbestimmten, informierten Zustimmung haben auch Gesundheitszentren in den USA langjährige gute Erfahrungen gemacht (Radix/Eisfeld 2014).
In der Folge reduzierten sich nicht nur der oft mit Wartezeiten und Fremdbestimmung zusammenhängende Leidensdruck von transsexuellen , sondern auch finanzielle Belastungen für die Gesundheitssysteme. Radix und Eisfeld können sich auf Daten von 1714 US-Patient_innen beziehen, die ihre Transition nach dem informed consent-Modell absolviert haben.

Danach ergab sich »für einen Zeitraum von zwei Jahren […] weder ein Bedauern der Entscheidung noch eine Umkehr geschlechtsangleichender Operationen« (Radix/Eisfeld 2014, S. 31).

Klinische Forscher_innen in Deutschland waren in der Vergangenheit nicht in der Lage, die sog. »Geschlechtsrückkehrer_innen«-Rate überhaupt zu beziffern, bzw. mussten eingestehen, dass es sich um Einzelfälle handelt, die sich selbst durch das bestehende paternalistische System nicht verhindern ließen.

Auf Basis dieser Empirie kann die Angst vor sog. »Rückumwandlungsbegehren« als unbegründet und psychiatrische Chimäre bezeichnet werden, die das fremd bestimmende Begutachtungsmodell und seine Türsteherfunktion rechtfertigen soll.

Es ist also endlich Zeit für einen bedürfnis- und menschenrechtsorientierten Perspektivenwechsel, dem die Leitlinienüberarbeitung unter dem neuen Namen »Geschlechtsdysphorie«, welche die alten Standards of Care ablösen wird, hoffentlich Rechnung tragen wird.

Neben 19 Vertreter_innen aus 13 medizinischen Fachgesellschaften und drei Berufsverbänden sind erstmals zwei Transsexuelle -Personen an der 21-köpfigen Leitlinienkommission beteiligt.
Im Sinne einer darüber hinausreichenden »To-do-Liste« haben wir 20 zentrale Aspekte aufgezählt, die sich auf bestehende Forderungen von Transsexuelle  selbst beziehen (TGNB/TrIQ 2009; AK TSG-Reform 2012), ihre Gesundheitsversorgung verbessern und auf ein menschenrechtskonformes Niveau heben würden (vgl. Tabelle).

In die gleiche Richtung gehen das bundesweit abgestimmte Forderungspapier zur Reform des Transsexuellen Rechts (AK TSG-Reform 2012) und die »Waldschlößchenerklärung«, ein Forderungskatalog an Politik und Medizin von 40 Repräsentant_innen aus 18 Transsexuellen -Organisationen, die sich in der Bundesrepublik für die Rechte transgeschlechtlicher Menschen und für geschlechtliche Vielfalt einsetzen (Trans*Aktiv 2014).

Transsexuelle  fordern also eindeutig und unisono einen Perspektivenwechsel in Recht und Medizin. 

Sie wollen eine grundständige Reform des Transsexuellen Rechts im Sinne und unter Beteiligung von Transsexuellen  und in Abwesenheit von medizinisch-psychiatrischen »Expert_innen«, basierend rein auf dem Selbstbestimmungsrecht der betreffenden Person.
Dass das der Weg der Zukunft ist, haben Argentinien und Dänemark gezeigt. Medizinisch betrachtet ist Transsexuell  weder eine psychopathologische Störung, noch lässt sich zwangsläufig ein medizinischer Behandlungsbedarf ableiten. Die alte binäre, pathologisierende Sicht hat ausgedient zugunsten dessen, wie sich Transsexuelle  selbst sehen.


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