Montag, 5. Oktober 2015

Diversity and complexity // Vielfalt und Komplexität


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Geschrieben und Bearbeitet von Nikita Noemi Rothenbächer 2015
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Vielfalt und Komplexität
Vielfalt und Komplexität der Fragen erlauben es angesichts der für die Beantwortung zur Verfügung stehenden Zeit nur, in knapper Form zu einigen Punkten Stellung zu nehmen. Die Auseinandersetzung mit dem Phänomen der Intersexualität steht im deutschen rechtswissenschaftlichen Schrifttum erst am Anfang. In vielen anderen Ländern hat hingegen schon während der beiden vergangenen Jahrzehnte ein intensiver und interdisziplinär geführter Diskurs über rechtliche Fragen der Intersexualität stattgefunden, der sich vor allem auch der menschenrechtlichen Dimension widmet. Es muss daher darauf hingewiesen werden, dass es einer wesentlich intensiveren Untersuchung bedürfte, um der fundamentalen Bedeutung der Fragen für die Betroffenen wie auch für unser von einer bipolaren Geschlechterordnung geprägtes Rechtssystem gerecht zu werden.

Mit freundlichen Grüßen
Nikita Noemi 

Man schaue einfach mal in diesen Link und wird schnell erkennen, was für viele Normal ist, ist für andere nur Panik“! 


Wettkampf der Geschlechter


Auch das kennen wo möglich viele, sich darüber aber Gedanken machen schon Schwierig, wer kann sich schon einfühlen in diesen Menschen, ja Menschen das sind Intersexuelle!
 Der Fall Caster Semenya ist das größte Kuriosum der Leichtathletik-WM. Ist die 800-Meter-Gewinnerin wirklich eine Frau? Experten warnen vor vorschnellen Schlüssen - und Diskriminierung. Gendefekte oder Hormonstörungen könnten die Ursache für das maskuline Aussehen der Sportlerin sein.
"Mein Golden Girl ist kein Mann", beteuert eine, die es - eigentlich - wissen müsste. Dorcus Semenya ist die Mutter der südafrikanischen Sportlerin Caster Semenya, die bei der Leichtathletik-WM in Berlin die Goldmedaille über 800 Meter gewann - und einen Eklat auslöste.

Ist die 18-Jährige mit dem männlichen Gesicht, den schmalen Hüften und großen Muskeln, die ihre Konkurrentinnen mit einem Zwei-Sekunden-Vorsprung im Zieleinlauf deklassierte, tatsächlich eine Frau?
"Ja", beteuerte ihre Mutter auf der Titelseite der südafrikanischen Zeitung "The Star" - das ganze Land reagierte empört auf die vom Weltverband IAAF (International Association of Athletics Federations) eingeleitete Untersuchung des Falles. Eine Chromosomenanalyse soll klären, ob Semenya männlichen oder weiblichen Geschlechts ist. Frauen tragen in ihrem Genom normalerweise zwei X-Chromosomen, Männer ein X-, und ein Y-Chromosom.

Die polnische Sprinterin, Weltrekordlerin und Olympiasiegerin Ewa Klobukowska, die bei den Olympischen Spielen 1964 in Tokio beim 4mal-100-Meter-Staffellauf einen Weltrekord hinlegte und ihrer Mannschaft die Goldmedaille sicherte, hatte einen entscheidenden Vorsprung vor ihren Kontrahentinnen: Sie trug zusätzlich zu ihren beiden X-Chromosomen noch ein Y-Chromosom. Als das bekannt wurde, strich der Weltleichtathletikverband Klobukowska aus den Rekordlisten.

Theoretisch könnte der Fall Semenya genauso liegen. Dann stellte sich natürlich die Frage: Warum wurde eine solche Abnormalität nie erkannt - zumal, wenn sie sich optisch relativ deutlich bemerkbar macht?

Chromosomales Geschlecht, empfundene Identität, Aussehen

Intersexualität ist allerdings nicht auf den ersten Blick zu erkennen. Die Gründe, sagt der Hormonspezialist Jens Jacobeit vom Endokrinologikum in Hamburg, können vielvältig sein. "Nicht jeder, der 46 Chromosomen und davon ein X- und ein Y-Chromosom besitzt, sieht auch aus wie ein Mann."

Das Phänomen der Polin Ewa Klobukowska mit ihren 47 Chromosomen und der XXY-Konstellation etwa bezeichnen Ärzte als Klinefelter-Syndrom. Es entsteht schon in der frühen Embryonalentwicklung und kommt dadurch zustande, dass sich die Geschlechtschromosomen der Eltern nicht richtig teilen.

In Deutschland leben Schätzungen zufolge rund 80.000 Jungen und Männer mit dem Klinefelter-Syndrom - neun von zehn wissen jedoch vermutlich nichts von ihrem zusätzlichen X-Chromosom. Durch Chromosomenstörung sehen die Betroffenen aus wie Männer, haben aber meist sehr kleine Hoden und einen kleineren Penis. Obwohl das Sexualleben meist nicht beeinträchtigt ist, produzieren die Männer oft nur wenig funktionstüchtige Spermien.

"Man muss klar unterscheiden zwischen dem chromosomalen Geschlecht, der empfundenen Identität und dem Aussehen", sagt Endokrinologe Jacobeit. Denn nicht nur die Gene entscheiden, wie ein Mensch aussieht, auch die Hormone wirken sich auf das Äußere aus. Das männliche Geschlechtshormon Testosteron etwa zirkuliert sowohl im Blut von Männern als auch von Frauen - und ist für die Ausreifung der Geschlechtsorgane essentiell.

Nie an der eigenen Weiblichkeit gezweifelt

Wenn die Hormone allerdings nicht wirken können, entwickelt sich der Körper nicht nach dem normalen Mann-oder-Frau-Schema. Die spanische Hürdenläuferin María José Martínez Patiño etwa hätte 1985 in Kobe, Japan, nicht als Frau an den Start gehen dürfen. Denn die Sportlerin war ein Sportler. Trotzdem hatte Patiño bis zu dem genetischen Test, den die Veranstalter der Studenten-WM verlangten, nie an ihrer Weiblichkeit gezweifelt. Doch die Chromosomenanalyse ergab zweifellos: XY, männlich, disqualifiziert.

"Es gibt üppige Frauen, die extrem weiblich aussehen, aber einen männlichen Chromosomensatz haben", meint Jacobeit. Die Ursache liegt dann mitunter in der mangelnden Wirkung von Testosteron. Auch die 24-Jährige Sportlerin Patiño litt vermutlich unter einer sogenannten Androgenresistenz. Dabei sind die Rezeptoren für Testosteron an den Geschlechtsorganen defekt, so dass sie gar nicht oder nicht ausreichend für die Ausreifung der Geschlechtsorgane sorgen können. Die betroffenen Kinder sind zwar genetisch männlich, sehen aber wie Mädchen aus. Mitunter stellen die Ärzte die Diagnose schon in der Kindheit, weil sich die Hoden nicht abgesenkt haben, sondern im Bauch verblieben sind und dort zu Vorwölbungen führen können. Fällt die Störung nicht auf, bemerken die Betroffenen sie entweder in der Pubertät, weil die Menstruation ausbleibt oder wenn später ein Kinderwunsch unerfüllt bleibt.

Auch in der Literatur wurde das Phänomen unlängst thematisiert: Cal, die hermaphrodite Hauptfigur aus Jeffrey Eugenides' Roman "Middlesex", wuchs als Mädchen namens "Caliope" auf, mit einem XY-Chromosomensatz. Das Enzym 5-alpha-Reduktase arbeitete nicht ausreichend, sodass Testosteron nicht in Dihydrotestosteron umgewandelt werden konnte. Dieses Hormon ist jedoch essentiell für die Ausreifung der Geschlechtsorgane. Cal erfuhr kurz vor einer Operation, die aus ihr endgültig eine Frau machen sollte, dass ihre Gene etwas anderes über sie aussagen - und entschied sich für ein Leben als Mann.

Tiefe Stimme und große Muskeln durch Anabolika

"Historisch war es ganz häufig so, dass man bei einer schwierigen Geschlechtszuordnung Patienten zu Unrecht behandelt und sie zu Frauen umoperiert hat", meint Jacobeit. "Eine neue Vagina herzustellen ist viel einfacher, als einen Penis zu formen." Heute gehe man in Deutschland mit diesen Fragen weitaus vorsichtiger um und versuche, die Betroffenen in den Entscheidungsprozess miteinzubeziehen - oder ihnen ihr Zwittergeschlecht zu lassen.
Hat auch Caster Semenya statt zwei X-Chromosomen vielleicht ein X- und ein Y-Chromosom? Leidet sie an einem Hormondefekt? Solange das Testergebnis, das nächste Woche erwartet wird, noch aussteht, bleibt all das reine Spekulation.

Eine Sportlerin, die eine optische Vermännlichung durch die Gabe von Anabolika erfuhr, war die DDR-Spitzenathletin Heidi Krieger. Systematisches Dopinghatte den Körper der Diskuswerferin und Kugelstoßerin stark verändert, die Testosteron-Abkömmlinge senken die Stimme, vermehren die Behaarung und vergrößern die Muskelmasse. Krieger entschied sich nach ihrer Sportlerlaufbahn zu einer Geschlechtsumwandlung - und lebt heute als Andreas Krieger.

Diskriminierung intersexueller Sportlerinnen weltweit
>>> Report on Discrimination of Hermaphrodites in Sports
>>> Open Letter to IOC Chief Jacques Rogge demanding Justice for Santhi and Caster
Heute noch werden intersexuelle Menschen im Sport diskriminiert. International und disziplinübergreifend bestehen keine verbindlichen Richtlinien, die intersexuelle Sportlerinnen davor schützen. Andererseits gibt es eine Reihe von Beispielen, wie intersexuelle Menschen schikaniert oder gar willkürlich von Wettkämpfen ausgeschlossen werden. Jüngere Beispiele sind die anlässlich der XXIX Olympischen Sommerspiele 2008 in Peking wieder eingeführten Testverfahren zur Geschlechtsbestimmung, die Rufmordkampagne gegen das aufstrebende deutsche Tennistalent Sarah Gronert und die globale Rufmordkampagne gegen die südafrikanische Mittelstreckenläuferin Caster Semenya.

Das vorletzte Mal wurden Gentests zur Geschlechtsbestimmung an Olympischen Spielen 1996 in Atlanta an 3600 Athletinnen durchgeführt. Dabei wurden acht intersexuelle Sportlerinnen disqualifiziert, da sie trotz weiblichem Erscheinungsbild über einen männlichen Chromosomensatz XY verfügten (7 mit Diagnose CAIS und eine mit 5-alpha-Reduktase-Mangel). Erst nach aufreibenden und erniedrigenden Rekursverfahren konnten sie schliesslich alle doch noch teilnehmen.

Weniger Glück im Unglück hatten zahlreiche intersexuell geborene Sportlerinnen bei vielen anderen Wettkämpfen:

Wegen eines Gentests wurde 1967 die polnische Sprinterin Ewa Klobukowska von Wettkämpfen ausgeschlossen.

1985 wurde die spanische Hürdenläuferin María José Martínez-Patiño ebenfalls nach einem Gentest disqualifiziert, alle ihre früheren Medaillen wurden ihr aberkannt. Als sie sich nach anfänglichem Kooperieren weigerte, stillschweigend nicht mehr anzutreten, wurde sie durch Indiskretionen an die Presse als Betrügerin denunziert. Erst nach 2 1/2 Jahren Kampf vor Gericht auf eigene Kosten wurde sie wieder zu Wettkämpfen zugelassen, doch nach der Zwangspause erreichte sie nicht mehr ihre frühere Form. Sie schrieb darauf eine Doktorarbeit über Frauen im Sport und lehrt heute an der Universität von Virgo (Spanien). Mehr Informationen auf Englisch:
>>> María José Martínez-Patiño's Story in her own Words (PDP) (Lancet Vol 366, 2005)
>>> Maria's Story auf aissg.org
>>> Artikel aus Latino-Perspektive auf Anygüey

Bei den Olympischen Spielen 2000 in Sydney wurde die intersexuell geborene brasilianische Judokämpferin Edinanci Silva zwar nicht von den Spielen ausgeschlossen, jedoch von einer unterlegenen Konkurrentin aufgrund ihres Geschlechts öffentlich diffamiert.

Wegen eines Gentests wurde der indischen 800-Meter-Läuferin Santhi Soundarajan bei den Asien-Spielen 2006 nach einem erniedrigen öffentlichen Verfahren nachträglich die Silbermedaille aberkannt. Das Verfahren war willkürlich und von Rufmordkampganen in den Medien begleitet. Santhi Soundarajan wurde von den Verantwortlichen im Stich gelassenund unternahm einen Selbstmordversuch. Wenigstens erhielt sie schliesslich vom Staat Tamil Nadu einen Geldpreis und eine Anstellung als Trainerin. Santhi Soundarajan solidarisiserte sich öffentlich mit Caster Semenya: "Sie soll den Kampf nicht aufgeben."  Der indische Athletikverband AFI beobachtet das Verfahren um Caster Semenya und erwägt je nach Ausgang eine Beschwerde gegen den Olympic Council of Asia, Santhi Soundarajan zu rehabilitieren und ihr die Medaille zurückzugeben.
>>> Gerechtigkeit für Santhi Soundarajan!
Mehr Informationen auf Englisch:
>>> Artikel in der Times of India (16.9.09)
>>> Älterer Artikel Times of India (9.1.2007)
>>> Artikel auf BBC (14.9.09)

Ein weiterer Fall spielte sich 2008 in Deutschland ab. Die erfolgreiche Tennisspielerin Sarah Gronert sieht sich aktuell einer entwürdigenden Rufmordkampagne ausgesetzt, die sie jüngst zu einer öffentlichen Richtigstellung zu Handen der Presse zwang. Aufgrund der Belastung durch diese diskriminierenden und ihre Intimsphäre verletzenden Vorwürfe sieht sich die 22-jährige Sarah Gronert zur Zeit ausser Stande, ihre Karriere fortzusetzen und legt bis auf weiteres eine Pause ein. Erst nach knapp einem Jahr kündete Sarah Gronert an, ihre Karriere fortzuführen.
>>> Sarah Gronert: Diskriminierung von Zwittern im Sport
>>> FAZ 25.8.08

Zwischengeschlecht.org solidarisiert sich mit allen ungerecht behandelten und geschädigten zwischengeschlechtlich geborenen Sportlerinnen und verurteilt ihre Diskriminierung aufs Schärfste. Sportverbände sowie Gesetzesgeber sind aufgefordert, diese menschenrechtswidrigen Diskriminierungen endlich international und disziplinübergreifend konsequent abzuschaffen.

Daniela Truffer (Gründungsmitglied Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org, Gründungsmitglied Schweizerische Selbsthilfe intersex.ch, Mitglied XY-Frauen, Mitglied Intersexuelle Menschen e.V.)


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