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Genitale Korrekturen an intersexuellen
Menschen
Allgemein wird angenommen, daß ausschließlich zwei biologische
Geschlechter existieren, Frau und Mann. Diese Einstellung wird nicht näher
differenziert und reflektiert, ist doch die Zuordnung nach den
Geschlechtsorganen angeblich eindeutig beim jeweiligen Geschlecht angelegt:
Eierstöcke oder Hoden. Genetisch werden Frauen und Männer auf die Chromosomen
XX oder XY (Karyotyp) festgelegt. Dabei gab es schon immer Menschen, deren
biologisches Geschlecht keine eindeutigen Merkmale trägt: seit nahezu 50 Jahren
werden sie einem der beiden Geschlechter chirurgisch und hormonell zugewiesen.
Eltern sollen nicht in Verlegenheit kommen, sich mit gesellschaftlich
definierten Abnormalitäten auseinandersetzen zu müssen. Für die Betroffenen
hingegen entstehen massive Folgeschäden.
Von Hermaphroditen zu Intersexuellen
Bereits in griechischen Sagen tauchen zweigeschlechtliche
Mischwesen auf, die sogenannten Hermaphroditen (eine Mischung aus der Göttin
Aphrodite und dem Götterboten Hermes). Hermaphroditen wurden in den Göttersagen
bewundert. Im alten Rom jedoch wurden die menschlichen Hermaphroditen als
Monster betrachtet und in einem 'Reinigungszeremoniell' verbrannt.
Im Laufe der Jahrhunderte wandelte sich das Verständnis vom
Hermaphroditen zu einem Syndromkomplex mit Krankheits- und letztendlich
pränatalem Abbruchswert. Im 6. Jahrhundert hatte der Vater das Geschlecht zu
bestimmen, eine spätere Umentscheidung des Erwachsenen wurde mit dem Tode
bestraft. Langsam milderten sich die Strafen, eine Neuorientierung im
Erwachsenenalter wurde im 17. und 18. Jahrhundert möglich. Gleichzeitig wurde
die Feststellung des Geschlechts von der juristischen an die medizinische Hand
abgegeben. Diese fühlte sich zunehmend berufen, das 'wahre Geschlecht'
herauszufinden, denn es herrschte alsbald die Meinung, Hermaphroditen kämen nur
bei Pflanzen und niederen Tieren vor, bei Menschen ließe sich entweder das
wahre Geschlecht erkennen oder die Geschlechtsorgane seien stark
unterentwicklt. Im 19. Jahrhundert wurde die Möglichkeit einer standesamtlich
unauffälligen Änderung des Geschlecht per Randvermerk eingeführt. Ab dem 20.
Jahrhundert wurden seitens der Medizin bis dato existierende diagnostische
Möglichkeiten durch Hormon- und Chromosomenanalysen erweitert. In diesem Rahmen
wurde auch der Begriff 'Intersexualität' (1) entwickelt, mit den Untergruppierungen
feminine und maskuline 'Scheinhermaphroditen'. Als dritte Gruppe wurden die
'echten' Hermaphroditen beibehalten. Doch dabei blieb es nicht: Man(n)
untersuchte die Ursachen dieser medizinerseits verstandenen Abnormalitäten und
kreierte etwa 13 verschiedene Syndrome, welche allesamt als
behandlungsbedürftig erklärt wurden. Die bekanntesten Gruppen lauten:
Turner-Syndrom, Hermaphroditismus Verus, Sweyer-Syndrom, Noonan-Syndrom,
Klinefelter-Syndrom, Adrenogenitales Syndrom, Androgeninsuffizienz-Syndrom (auch
testikuläre Feminisierung genannt), progestin-induzierte Intersexualität und
sind u.a. aufgrund gonadaler, chromosomaler und/oder hormoneller Varianzen
vorzufinden. MedizinerInnen schufen sich hier selbst einen Markt und erklärten
sich zu Spezialisten.
Ab 1930 wurden zur Therapie der vielfältigen Krankheiten -
Hermaphroditen als eigenständige Gruppe waren inzwischen abgeschafft -
zeitgleich chirurgische und hormonelle Korrekturmöglichkeiten entwickelt.
Zunächst wurden diese 'Korrekturen' Erwachsenen angeboten, die jedoch oftmals
dankend ablehnten. Daraufhin griff man ab Ende der 40er Jahre auf Kinder
zurück. Eine geschlechtliche Zuweisung richtet sich bis heute primär nach der
chirurgischen Machbarkeit, 'it's easier to make a hole than to build a pole'
(es ist leichter ein Loch zu machen als einen Stab zu bauen), statt der noch im
18. Jahrhundert gültigen juristischen Richtlinie 'in dubio pro masculo' (im
Zweifel für die Männlichkeit).
Nur wenige erfüllen die geschlechtliche Norm
Medizinisch entspricht ein Mensch der Norm, wenn er auf dem
23. Chromosomenpaar die Chromosomen X und X - oder X und Y - trägt und bei der
Geburt eine Klitoris kleiner als 1 cm oder einem Penis über 2,5 cm hat. Dabei
existieren alle Längen des Lustorgans dazwischen sowie verschiedene
Ausprägungen - von einer doppelten bis zu keiner Vagina; gleich verhält es sich
hinsichtlich der Uterusstruktur; Gonaden (Eierstöcke oder Hoden) können sehr
komplex und gemischt angelegt sein; hormonelle Werte verursachen verschiedene
Behaarungsausprägungen.
Die Gesellschaft und Medizin definieren hiervon diverse
Personengruppen als 'intersexuell' (0,4 - 4 Prozent der Gesamtbevölkerung -
Statistiken wurden bezeichnenderweise nie erhoben). Unter weiblichen Menschen
werden 5-15 Prozent als genital fehl- und mißgebildet angesehen. Davon gelten
70 Prozent gelten als virilisiert, also vermännlicht. Für männliche Menschen
gibt es genitale Fehl- und Mißbildungen nur in sehr geringem Umfang, etwa 1-7
Prozent, eine Verweiblichung wird z.B. körperlich bisher nicht als krank
angesehen. Allen geschlechtlichen Ausprägungen zufolge existieren mindestens
4000 Geschlechter, oder sogar so viele, wie es Menschen gibt. Keinesfalls
jedoch ist Intersexualität das 3. Geschlecht (dies ist ein Synonym für Lesben
und Schwule aus den 20er Jahren). Oft wird Intersexualität auch mit Androgynie
verwechselt. Androgyn ist eine Frau mit männlicher Ausstrahlung oder ein Mann
mit weiblicher. An den Problemen, die die Gesellschaft mit Intersexuellen
haben, wird klar, wie sehr sie sich einem dichotomen (zweigeteilten) Denken
verpflichtet fühlt. Es fällt der Gesellschaft nichts anderes ein als die
Stereotypen zweier Geschlechter.
Die Sexualmedizin unterscheidet nachfolgende sechs
Definitionen von Geschlecht:
chromosomales Geschlecht: Karyotypen
Definition: weiblich 46,XX
männlich 46,XY
intersexuell 45,X0
47,XXY
Mosaik 45,X0/46,XY
u.a.
gonadales Geschlecht:
Definition: männlich 2 Hoden
weiblich 2
Ovarien
intersexuell Ovotestis
oder Ovar und Testis
phänotypisches Geschlecht:
definiert durch das Erscheinungsbild des äußeren Genitale
bürgerliches Geschlecht:
definiert durch die standesamtliche Eintragung, wobei es
kein intersexuelles Geschlecht gibt
praktikables Geschlecht:
Geschlechtsrolle, in der ein intersexueller Patient sexuell
und sozial am ehesten ein befriedigendes Leben findet. Ausbildung von Penis und
Vaginalanlage sind hier entscheidende Faktoren.
psychosexuelles Geschlecht:
Geschlechterrolle, die ein Individuum aufgrund seines
Geschlechtstriebes übernimmt
(Vgl. Knorr 1982, S. 138)
Zuweisungsrichtung als medizinische Willkür
Wird eine Person mit sichtbar ambivalenten Genitalien
bereits nach der Geburt erkannt, so richtet man sich nur nach dem chromosomalen
Befund. Bei XX oder X0 wird fraglos feminisiert, befindet sich ein Y im
Chromosomensatz, richtet sich eine Zuweisung nach der diagnoseabhängig zu
erwartenden Penisgröße mit zufriedenstellender Penetrationsfähigkeit. Diese hat
zwar ideellen Vorrang, setzt jedoch hohe Maßstäbe und führt daher in der Praxis
eher selten zu einer Maskulinisierung. Das gonadale Geschlecht spielt hier eine
untergeordnete Rolle, ein psychosexuelles Geschlecht konnte sich bei einem Baby
noch nicht entwickeln. Syndromabhängig gibt es in medizinischen Fachbüchern
haarsträubende Zuweisungstabellen.
Fällt ein Kind erst in späteren Jahren auf und lebte
beispielsweise bereits mehrere Jahre als 'Frau', so ist dies nach der Medizin
beizubehalten und eine entsprechende 'Korrektur', trotz u.U. gegenläufigen
chromosomalen Befundes, zur Fixierung des bisher gelebten Geschlechtes
einzuleiten. Sofern ein Individuum als 'Mann' definiert wurde, ist wiederum die
tatsächliche oder noch auszureifende Penislänge das entscheidende Kriterium und
kann durchaus ein Grund zur Feminisierung des Kindes in späteren Jahren sein.
In jedem Falle kann das bürgerliche Geschlecht nachträglich verändert werden.
Manchmal werden Intersexuelle unter Vorspielen eines
Pornofilmes auch selbst nach ihrer genitalen Wunschrichtung befragt:
"Willst du ficken oder gefickt werden?" (2) Zusammengefaßt bedeutet
dies, daß die geschlechtliche Zuordnung bei gleichem Phänotyp (äußeres
Erscheinungsbild) in verschiedenen Kliniken unterschiedlich gehandhabt wird,
zumal manche Ärzte Penisaufbauplastiken favorisieren und daher vermehrt
Intersexuelle männlichen Geschlechtes produzieren. Generell ist jedoch eine
starke und weiter steigende Feminisierungstendenz auszumachen, egal wie
schlecht das chirugische Ergebnis ästhetisch und funktionell ausfällt. Es
"herrscht die soziale Anschauung vor, daß es für ein weibliches Individuum
mit reduzierter Genitalfunktion leichter sei 'im Leben ihren Mann zu stehen'
als für ein männliches Individuum mit verminderter Geschlechtsfähigkeit"
(Bolkenius 1982, S. 249).
Medizinische Intervention ohne Zustimmung
Heute werden etwa 90 Prozent aller ehemals Intersexuellen zu
Frauen korrigiert und gesellschaftlich zumeist auch als solche wiedererkannt,
bei etwa 30 Prozent der sogenannten genitalen Fehl- und Mißbildungen wird
chirugisch interveniert. Je nach Abweichung vom ärztlicherseits definierten
Geschlecht werden Hormone verabreicht, chirurgisch ein Penis vergrößert,
Hodenimplantate eingesetzt oder eine Klitoris verkleinert, neue Vaginen
konstruiert, Gonaden (Eierstöcke, Hoden) entfernt oder Venuslippen (auch: Schamlippen,
Labien) wegoperiert. (3) Es können dutzende gynäkologische Untersuchungen
folgen, in dessen Rahmen Körpergröße, Phänotyp, Gewicht, Regelmäßigkeit der
Hormoneinnahmen kontrolliert und fotografische Abbildungen von Genitalregionen
erstellt werden.
Da Diagnosestellungen inbesondere im Rahmen der
Intersexualität oftmals bereits ab Geburt erfolgen, beginnen zu diesem
Zeitpunkt auch medizinische Maßnahmen. Geschlechtliche Korrekturen sollten in
den 80er Jahren vor Ende des 2. Lebensjahres vorgenommen werden,
zwischenzeitlich verspricht man sich bessere Erfolge bei einem Eingriff in der
6. Lebenswoche. Hormonelle Substitutionen ('Ersatzhormongabe') werden sofort
eingeleitet.
Sofern sich eine Chromosomenvariation bereits pränatal
feststellen ließ, wird im Rahmen der medizinischen Indikation zu einem Abort
geraten. Bei bereits aufgetretenen Fällen von Intersexualität in der Familie
werden der Mutter hohe Hormondosierungen während der Schwangerschaft
verabreicht, um intrauterin [in der Gebärmutter, Anm.] eine Virilisierung des
Embyos zu vermeiden. Diese Methode zeitigt einen 'Erfolg' von 66 Prozent. Alle
anderen Kinder werden dennoch zugewiesen.
Eine Erwägung, das Kind bis zum entscheidungsfähigen Alter
zu belassen, wie es auf die Welt gekommen ist, findet nicht statt. Eltern
werden nicht über Intersexualität informiert, sondern nur über befundene
Abweichungen. So wird ausschließlich im diagnostischen Krankheitsbild und
oftmals in nicht verständlicher Sprache referiert. Kontakte zu kritischen
Gruppen intersexueller Erwachsener werden nicht angeboten. Eltern haben somit
keine autonome Entscheidungsmöglichkeit. Auch fehlt eine
Kommunikationsmöglichkeit mit unkorrigierten Intersexuellen, da unseres
(organisierte Intersexuelle) Wissens nach in Europa keine belassen wurden.
Erfahrungen Zugewiesener
Niemand kontrolliert MedizinierInnen bei ihren Eingriffen.
Somit kann keine repräsentative Aussage getroffen werden, ob und in welchem
Ausmaß Folgeschäden aus den 'Behandlungen' entstehen. Doch in zunehmendem Maße
gruppieren sich ehemals Intersexuelle in Selbsthilfeorganisationen, um auch
Öffentlichkeit herzustellen. Begonnen hat 1993 die Intersex Society of North
America (ISNA), welche mittlerweile ca. 150 Mitglieder umfaßt und neben einem
intensiven Austausch untereinander Kontakte zu WissenschaftlerInnen, Medien
sowie vereinzelten, kritischen ÄrztInnen pflegt. Allen derzeit existierenden
Organisationen ist gemeinsam, daß sich hieran Angeschlossene trotz korrigierter
Genitalien und Körper als Intersexuelle oder HermaphroditInnen definieren.
Unserer Recherchen ergaben, daß etwa 60 Prozent der
Intersexuellen Suizidversuche vorgenommen haben. Viele bewegen sich unerkannt
im Rahmen des zugewiesenen Geschlechtes. Allen ist gemeinsam, daß sie am Rande
des Erträglichen leben. Eine nicht unerhebliche Anzahl (ca. 20 Prozent) hat
erfolgreichen Suizid begonnen. Sehr wenige arbeiten politisch zur Thematik.
Zur Pro- und Contradiskussion von Zuweisungen möchte ich
folgendes Zitat zur gedanklichen Anregung nennen:
"In 70 Fallstudien Heranwachsender und Erwachsener,
welche mit sichtbar anormalen Genitalien aufwuchsen ... erachtete man nur eine
Person der angeführten als potentiell psychotisch, und diese potentielle
Krankheit war verbunden mit psychotischen Eltern und nicht mit sexueller
Uneindeutigkeit. ... Sogar Ärzte früherer Interventionen erkannten, daß eine
Anpassung an ungewöhnliche Genitalien möglich ist." (Fausto-Sterling)
Organisierte Intersexuelle stellen fest: durch
geschlechtliche Zwangszuweisungen an nicht einwilligungsfähigen intersexuellen
Kindern entsteht ein erheblich höherer psychischer Schaden, als dies durch
Ablehnung seitens der Bevölkerung jemals möglich sein wird, ganz abgesehen von
physisch irreparablen Schäden. Menschen besitzen ab Geburt zwar keine ausgeprägte
Identität, aber eine Integrität und ein Gefühl für Intaktheit.
Als extrem einschneidend in ihrem Leben als Erwachsene
beschreiben alle sich zum Thema Äußernde die genitalen Korrekturen, welche die
Möglichkeiten einer erfüllten Sexualität für alle Zeiten versagen, und zwar
unabhängig davon, ob eine Reduktion oder eine Totalamputation des Lustorgans
erfolgte. Weiterhin wird als äußerst belastend die erlebte Isolation sowie
Unkenntnis der Umwelt und damit Unmöglichkeit, sich offen zur Thematik
auszutauschen, formuliert. Nahezu alle fühlen sich im 'falschen', da
konstruierten Körper. Etwa 15 Prozent der Zugewiesenen wünschen sich eine
Revision. Diese Personen werden zumeist fälschlicherweise als Transsexuelle
deklariert.
Intersexuelle als 'Laborratten'
Zu den chirurgischen Eingriffen selbst sind ebenfalls
äußerst kritische Stimmen bekannt, welche von 'Schlachtfeld' bis 'Totalschaden'
zur Bewertung des OP-Bereiches reichen. Von extremen Traumatisierungen durch
die Behandlungen ist die Rede, dem Gefühl, sich niemals anderen Kindern
zugehörig gefühlt oder extreme Isolation während der gesamten Adoleszenz
erfahren zu haben (trotz Zuweisung). Schmerzhafte Untersuchungen sind ebenso in
Erinnerung wie auch als Vergewaltigung erlebte Penetrationen während gynäkologischer
Untersuchungen und Bougierungen (4). Demütigend und entwürdigend sind
körperliche Abtastungen jeder Art sowie Bildmaterialerstellung. Einige
beschreiben ihren stationären Aufenthalt schlicht in der Funktion als
'Laborratte' und auch im häuslichen Bereich fühlten sich einige als
fortbestehendes 'Krankengut', ohne daß ihre eigene Persönlichkeit wahrgenommen
wurde. Viele wünschen sich ihre ehemaligen Genitalien zurück und einige wenige,
welche nicht zugewiesen wurden, beschreiben ihre Jugend zwar nicht als
besonders glücklich, sind aber froh, keine medizinische Interventionen erlebt
zu haben.
Etwa 30 Prozent aller Intersexuellen leben keinerlei
Beziehungen. Ein überwiegender Anteil, etwa 60 Prozent, definiert sich im
Rahmen des zugewiesenen Geschlechtes als homosexuell. Dies ist insoweit von
Bedeutung, als daß Eltern zur Zuweisungslegitimation auch der Wunsch nach einem
erfüllten Eheleben prognostiziert und suggeriert wird.
Im Rahmen eugenischer Bestrebungen wird Intersexualität
tendenziell nicht mehr existieren. Dies hat zur Folge, daß nicht nur die
gesamte Bevölkerungsgruppe der Hermaphroditen systemtisch ausgelöscht wird.
Auch jegliche sichtbare Vermännlichung des Weiblichen wird einer
'lolitaorientierten' Sichtweise (Frauen sollen mädchenhaft erscheinen)
unterworfen und angepaßt. Zunehmende Ausweitung der Kindergynäkologie auf immer
jüngeres Klientel trägt hierzu ebenso bei wie die standardisierten
Ultraschall-Untersuchungen, bei welchen auch der genitale Aspekt regelmäßig
kontrolliert wird. PädiaterInnen (KinderärztInnen), Kinder- und
ErwachsenengynäkologInnen, UrologInnen, PsychologInnen und ChriurgInnen sind in
diesem Bereich tätig.
Eine MitarbeiterIn der ISNA, welcher das Geschlecht nicht
angepaßt wurde, fragt: "Wenn Eltern und Mediziner schon diese ganz
harmlose persönliche Besonderheit nicht akzeptieren können und unbedingt
wegtherapieren müssen, was möchten sie denn dann mit offensichtlich behinderten
Kindern machen, die nicht durch eine Operation scheinbar normal gemacht werden
können? Sollen sie nach dieser Logik, mit der wir therapiert werden, dann
umgebracht werden, nur damit die Umwelt nicht beunruhigt und die Eltern nicht
in Verlegenheit gebracht werden müssen?" Intersexuelle werden in
zunehmendem Maße vernichtet, doch bereits heute findet ein 'psychischer
Genozid' statt, da Intersexen zwar leben dürfen, ihre Besonderheiten jedoch im
OP-Saal ausgelöscht werden.
Eine gewaltätige Philosophie
Grundlage einer phantasierten geschlechtlichen Bipolarität
ist das Denken in Zweier-Gegensätzen, das sogenannte dichotome Denken. Diese
Philosophie ist äußerst gewalttätig, denn "sie ist ohne Zweifel die
Spaltung in Geist einerseits und in Körper, Materie, Stofflichkeit
andererseits; genauer die Herauslösung des Geistes aus dem Leib und der Natur,
sowie deren anschließende Herabwürdigung zur geistlosen Materie. Nach dem
Vorbild und Modell dieser Trennung sind alle anderen, uns nur zu bekannten und
vertrauten Gegensätze wie Natur - Kultur, Leben - Tod, Rationalität - Gefühl,
Kopfarbeit - Handarbeit und nicht zuletzt Männlichkeit - Weiblichkeit geformt
und formuliert worden. Dabei handelt es sich aber nicht um rein deskriptive
Feststellungen, da diese Form der Gegenüberstellung immer schon eine Wertung
impliziert." (Rainer 1995, S. 14) Dichotomes Denken ist daher nicht in der
Lage, das Besondere auch als solches zu akzeptieren, da das Besondere kein
Gegenteil besitzt und daher keinen Wertevergleich zuläßt, sondern in seine
Einheit besteht. Jede Inanspruchnahme einer Dichotomie dient meiner Meinung
nach einer lebensvernichtenden Atmosphäre, der Necrosphäre. Jeder Gedanke,
Andere - Menschen, Pflanzen, Tiere, Geister - für minderwertig oder
untergeordnet zu erachten, dient dem Dichotomie-Leitsatz.
IGM und FGM - ein Vergleich
In westlichen Kulturen werden neben Intersexen Menschen
unter weiteren vier verschiedenen Aspekten genital verstümmelt, mit
unterschiedlichen Argumentationen und Auswirkungen:
Afrikanerinnen zur Aufrechterhaltung der Tradition
Frauen mit genitalen Fehl- und Mißbildungen entweder
aufgrund Leidensdruck oder pathologischen Wertes
Frauen ohne medizinische Indikation gegen Bargeld zur
Verschönerung ihrer Genitalien
Männer zur Vorhautentfernung aus traditionellen oder
Reinlichkeitsgründen.
Verstümmelungen an Afrikanerinnen sind in Deutschland illegal,
alle anderen Vorgehensweisen legal. Westliche Chirurgen und Gynäkologen sind
mit genitalen Verstümmelungen seit der Sklaveneinführung in USA sehr gut
vertraut.
Wir unterscheiden zwischen weiblicher Genitalverstümmelung
(FGM, Female Genial Mutilation) und intersexueller Genitalverstümmelung (IGM,
Intersex Genital Mutilation). Zwischen FGM und IGM existieren erhebliche
Parallelen. Nicht thematisiert werden an dieser Stelle männliche
Genitalverstümmelung (MGM, Male Genital Mutilation), obwohl auch sie schwere
physische und psychische Folgen zeitigt.
Eine gemeinsame Historie
IGM und FGM Verstümmelungspraktiken ist gemeinsam, daß
historische Aufzeichnungen kaum vorhanden sind und daher eine Rekapitulation
erschwert wird.
Erste Untersuchungen zum Ursprung der FGM gehen auf das 5.
Jahrhundert v. Chr. zurück und berichten aus Ägypten oder Äthiopien, da sie
sowohl von Äthiopiern als auch Phöniziern und Hetitern durchgeführt wurde
(Lightfood-Klein, S. 43). In etwa gleichem Zeitraum verfaßten die Pythagoreer
(Pythagoras lebte um 570-500 v. Chr.) erstmalig eine Liste mit zehn Kontrasten
als Prinzip zur Deutung der Wirklichkeit, so auch männlich/weiblich (Rainer, S.
33). Der Gedanke der Dichotomie war geboren - und das Ende der Hermaphroditen
wurde so auch philosophisch-wissenschaftlich eingeleitet, nachdem das alte
Testament bereits in Genesis I, 27-28 besagte: "Gott schuf also den
Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Frau
schuf er sie." Dies führte jedoch lange nicht zu genitalen
Verstümmelungen, wohl aber, wie gezeigt, zur Vernichtung durch Verbrennung in
Reinigungszeremonien. (Hirschauer 1993, S. 69)
FGM (Klitoris- und Schamlippenreduktion) avancierte im
römischen Reich zu einem Statussymbol und war auf diejenigen Frauen beschränkt,
die einen hohen sozialen Rang einnahmen. Die Infibulation, das Zunähen der
Vagina bis auf ein kleines Loch zum Abfluß des Menstruationsblutes, blieb den
Sklavenmädchen reserviert, denn eine zugenähte Jungfrau erzielte auf dem
Sklavenmarkt einen weit höheren Preis. Diese wurden von Sklavenhändlern
durchgeführt. Es wird auch vermutet, daß diese Praktiken ursprünglich der
Geburtenkontrolle in wasserarmen Gebieten dienten. Anderen Theorien zufolge sei
FGM aus dem Wunsch des primitiven Mannes heraus entstanden, der die Macht über
das Geheimnis der weiblichen Sexualfunktion gewinnen wollte. Streng
patriarchale Systeme haben dadurch die Sexualität der Frau auf die Erhaltung
der männlichen Erbfolge beschränkt (Lightfood-Klein 1992, S. 44f).
Genitale Verstümmelungen an weißen Frauen, welche der IGM
vorausgingen, lassen sich auf Mitte des 19. Jahrhunderts zurückführen. In
dieser Zeit wurden Hermaphroditen juristisch für nicht existent erklärt (1804
Code Civil, ca. 1895 BGB). Walker (1993, S. 165) führt aus, daß amerikanische
Ärzte fasziniert waren von der afrikanischen FGM, die nackte Sklavinnen
untersuchten und lernten, die 'Prozedur' an anderen versklavten Frauen im Namen
der Wissenschaft vorzunehmen.
Hermaphroditenphobie als Begründung für FGM und IGM
Mediziner untersuchten im 18. Jahrhundert die Sklavinnen und
etablierten Genitalverstümmelungen in den eigenen Reihen zur Behandlung
weiblicher Geisteskrankheiten wie etwa Hypersexualität, Hysterie und
Nervosität, aber auch lesbische Neigungen und Aversion gegen Männer
(Lightfood-Klein, S. 215). Auch 'weiblichen Scheinhermaphroditen' wurde
Tribadie unterstellt, sie wurden beschrieben als "Zwitter weiblichen
Geschlechtes, die neben den durch das Ausbleiben der Menstruation entstehenden
Mannweibern auch Individuen mit vergrößerter Klitoris umfassen, die die
Ausschweifung der Tribadie ermöglicht" (Hirschauer, S. 72).
Gemeinsamkeiten hinsichtlich der Begründung genitaler
Verstümmelungen an Intersexen und schwarzen Frauen lassen sich vor allem in
einer beiden Kulturen immanenten Phobie vor Zweigeschlechtlichkeit, in einer
Person vereint, wiederfinden. Aussagen wie die Folgenden mögen einen Eindruck
gewähren:
"Genauso, wie man daran glaubt, daß bestimmte Götter
bisexuell sind, so glaubt man, daß jede Person mit einer maskulinen und einer
femininen 'Seele' ausgestattet ist. Diese 'Seelen' enthüllen ihre jeweiligen
physiologischen Merkmale in den und durch die Fortpflanzungsorgane. Auf diese
Weise ist die weibliche 'Seele' eines Mannes, so wird behauptet, in der Vorhaut
lokalisiert, während die männliche 'Seele' der Frau in der Klitoris sitzt. Dies
bedeutet: Wenn der junge Mann heranwächst und schließlich in die männliche
Gesellschaft aufgenommen wird, muß er sich seiner weiblichen Merkmale
entledigen. (...) Dasselbe gilt für ein junges Mädchen (...), indem man ihre
Klitoris oder Klitoris und Schamlippen entfernt. Nur so beschnitten kann das
Mädchen behaupten, eine vollständige Frau zu sein, und ein entsprechendes
Sexualleben führen." (pharaonische Glaube der Ägypter; Lightfood-Klein, S.
45, Hervorhbg. d. V.)
"Wenn die Menschen auf die Welt kommen, sind sie sowohl
männlich wie weiblich und besitzen Zwillingsseelen. Die 'weibliche Seele' des
Jungen ist die Vorhaut, dem weiblichen Element der Genitalien, lokalisiert, und
die 'männliche Seele' des Mädchens sitzt in der Klitoris, dem männlichen
Element. Vom Moment der Geburt an wird das Bambara-Kind vom Wanzo bewohnt,
einer bösen Macht, die in seinem Blut und seiner Haut wohnt und die Kraft der Unordnung
im Individuum darstellt." (Dogon und Bambara aus Mali; Lightfood-Klein, S.
55, Hervorhbg. d. V.)
Diese Begründungen sind unlogisch, wie die
Entstehungsgeschichte von Vorhaut und Klitoris/Penis zeigt. Zum einen haben
beide Organe eine Vorhaut, zum anderen ist der Penis entwicklungsbedingt das
gleiche Organ wie die Klitoris. Auch ist die Verstümmelungspraktik
inkonsequent, denn wenn Klitoris und Schamlippen entfernt werden, dann müßte
dies auch bei Penis und Hoden erfolgen, um ein Äquivalent zu erreichen.
Wir können heute davon ausgehen, daß genitale
Verstümmelungen zur 'Behandlung psychischer Auffälligkeiten' seit etwa 1940
nicht mehr durchgeführt werden, wir wissen aber, daß morphologische
Besonderheiten an Weißen nach wie vor korrigiert werden. Auch liegt mir ein
gynäkologischer Fachaufsatz aus 1959 vor, in welchem neue Methoden der FGM an
Schwarzen beschrieben werden.
Verstümmelungen im ausgehenden 20. Jahrhundert
Genitale 'Korrekturen' an Hermaphroditen
Die chirurgische Methodik hat sich seit ihrer Einführung
unwesentlich geändert: wurde bis die 60er Jahre noch eine Exstirpation des
Phallus, dies bedeutet wörtlich das Herausreißen des Organs, vorgenommen, so
wurden bis etwa 1980 Dektomien favorisiert, welches eine Totalamputation
impliziert. Seither reden Mediziner enthusiastisch von einer
'Klitorisreduktion', bei welcher 60-70 Prozent des sensiblen Gewebes entfernt
werden und die Spitze des Phallus neu verlegt und angenäht wird. Ist das
Ergebnis anschließend noch immer unbefriedigend, da der verstümmelte Rest zu
sehr sichtbar ist, wird nachkorrigiert. Überstehende Haut wird ebenfalls
entfernt, um eine virilisierte, d.h. vermännlichte, Erscheinung zu vermeiden.
Die inneren Labien werden versucht, aus der Phallushaut nachzubilden, die
äußeren aus einem Hodensack, sofern dieser vorhanden war. Derlei operative
Ergebnisse sind durchweg unbefriedigend. Sexuelles Lustempfinden ist nicht mehr
möglich.
Genitale 'Korrekturen' an genital fehl- und mißgebildeten
Frauen
Die Phalluslänge von Frauen wird gleichen Normierungen wie
bei Intersexen unterworfen und nach gleichen Methoden korrigiert. Man spricht
auch hier von einer Hypertophie der Klitoris, wenn diese über 1 cm (USA: 0,9
cm) groß ist. Hinzu kommt eine Labiennormierung, welche auseinandergezogen 5 cm
nicht übersteigen sollte. Ebenfalls pathologisch gewertet wird eine
Dysproportion der Labien. Dies bedeutet, daß die inneren Schamlippen größer
sind als die äußeren. Auch hier wird interveniert.
Operative Eingriffe an der Klitoris haben ebenso erheblichen
Sensibilitätsverlust zur Folge, bei Labienreduzierungen werden oft Teile der
Klitoris mitzerstört, wodurch Schmerzen oder Taubheit an Klitoris und Labien
verursacht werden können.
Genitale 'Korrekturen' an Frauen als Schönheitsmaßnahme
Pornodarstellerinnen sind oft genital reduziert. Mir selbst
ist bekannt, daß eine Labienreduktion in Australien 300 australische Dollar
kostet und eine halbe Stunde dauert. Derartige Angebote seien in der dortigen
Frauenpresse "gang und gäbe", wie mir mitgeteilt wurde. Wir müssen
davon ausgehen, daß auch die USA diese Methoden ohne (pseudo-)medizinische
Begründung kennt, zumal Krankenkassen nicht zur Kostenübernahme verpflichtet
sind und daher medizinische Argumentationen zur offiziellen Anerkennung
fundierter sein müssen. In Deutschland ist diese Praktik einer anderen Aussage
zufolge zwischenzeitlich unter dem Vorwand der Sensibilitätssteigerung
angeboten worden, vor allem die Verengung der Vagina. Es ist zu vermuten, daß
diese Eingriffe künftig in Deutschland vermehrt durchgeführt werden, da Kassen
bei psychologischer Legitimation ('Leidensdruck') zahlen müssen.
Während bei Hermaphroditen und genital fehl- und
mißgebildeten Frauen vorwiegend Kinderchirurgen verstümmeln, sind in diesem Bereich
plastische (Schönheits-)Chirurgen angesprochen. Wie alle Berufsgruppen ist auch
diese an einer Steigerung ihres Einkommens interessiert. Zahlen hinsichtlich
der Quantität in diesem Bereich durchgeführter Verstümmelungen existieren
nicht, in Australien seien es jedoch "tausende".
Genitale 'Korrekturen' an Afrikanerinnen
Es werden vier, regional unterschiedliche, Methoden
angewandt:
Milde sunna: Einstechen, Ritzen oder Entfernung der
Klitorisvorhaut
Modifizierte sunna: teilweise oder vollständige Entfernung
der Klitoris
Clitoridectomie/Beschneidung: Entfernung eines Teils oder
der ganzen Klitoris sowie eines Teils oder der gesamten inneren Schamlippen
Infibulation/pharaonische Beschneidung: Entfernung der
Klitoris und der inneren Schamlippen sowie der inneren Schichten der äußeren
Labien. Diese werden, bis auf eine kleine Öffnung zum Harn- und
Menstruationsblutabfluß, zusammengenäht. (Vgl. Lightfood-Klein, S. 49f)
Gerade bei letzterer Methode ist mit erheblichen
gesundheitlichen Folgeschäden zu rechnen, da Entzündungen entstehen und die
Frau zum Geschlechtsverkehr und zur Entbindung aufgeschnitten werden muß, um
anschließend zumeist wieder zugenäht zu werden.
Daher wird zur Abhilfe des 'FGM-Problems' mit diesen
direkten Konsequenzen oftmals lediglich die Hinzuziehung eines Arztes
empfohlen, welcher mit sterilen Instrumenten arbeiten kann, ohne jedoch die
Praktiken selbst in Frage zu stellen.
Familien, die Verstümmelungen derart durchführen können,
gelten als privilegiert, da sie für die Unkosten aufkommen können. Quantitative
Angaben zur Durchführung in Deutschland existieren auch hier nicht, afrikaweit
wird von 80 - 110 Mio. verstümmelten Frauen ausgegangen.
Zusammenarbeit zwischen Anti-FGM- und Anti-IGM-AktivistInnen
Um es in Kürze zu benennen: sie existiert nicht. "Die
Zusammenarbeit mit Anti-FGM-Aktivisten ist schlechter als mit allen anderen
Gruppen, sogar schlechter als mit Ärzten." (pers. Mitteilung Chase vom
13.1.97, GründerIn der Intersex Society of North America (ISNA))
Weltweit wurden Anti-FGM-Organisationen, Einzelkämpferinnen
und Menschenrechtsverbände angeschrieben, informiert und um Mitarbeit bzw.
Kooperation gebeten. Keines dieser Schreiben hatte den gewünschten Erfolg. So
schreibt z.B. Fran Hosken, durch den 'Hosken Report' bekannt geworden, daß sich
ihr Interesse in der Beendigung von FGM nicht auf 'biologische Ausnahmen'
erstreckt (10/93, Holmes 1995, S. 4). Forward International, eine wichtige
Anti-FGM-Organisation, betont, daß der ihnen zugesandte Brief zwar 'sehr
interessant' sei, aber sie können nicht helfen, da ihre Arbeit nur FGM
beleuchtet, welche als schädliche kulturelle oder traditionelle Praktik an
jungen Mädchen durchgeführt wird (Chase 1997, S. 11). Terre des Femmes entzieht
sich seit März 1996 einer Stellungnahme, intern wurde argumentiert, Betroffene
hätten keine Kompetenz. Amnesty International, Sektion Deutschland, meinte im
Oktober 1996, die AGGPG solle die Geschehnisse hinsichtlich einer Beurteilung
als Folter stärker differenzieren und wünschte uns "alles Gute und viel
Kraft auf einem äußerst schwierigen Weg". Diese Reaktionen, sofern
überhaupt Antworten erfolgen, wiederholen sich stereotyp.
Afrikanische Verstümmelungen gelten als 'barbarisch und
rituell' durchgeführt, es wird ihnen ein besonderer kultureller Wert zugeschrieben.
Eine solche Sichtweise verhindert die Anerkennung gleicher Wertungen für die
eigene Kultur und läßt somit eine grundsätzliche Problematisierung weltweit
nach gleichem Schemata funktionierenden Sexismen und Biologismen nicht zu. Auch
können so Hermaphroditenphobien und Homophobien, welche in engem
geschlichtlichen Kontext stehen, nicht artikuliert werden. Plausibel als
tatsächliche Motivation weißer Anti-FGM-AktivistInnen scheint mir daher
Rassismus zu sein. Dieser ermöglicht es, die eigene Kultur als 'zivilisiert'
und 'aufgeklärt' darzustellen. Mit Kenntnisnahme der Verstümmelungen auch in
der eigenen, 'zivilisierten' Kultur würde diese Motivation entfallen.
Anti-FGM-Gruppierungen kämpfen für die Befreiung der
weiblichen Sexualität, Anti-IGM-Gruppierungen kämpfen für die Anerkennung und
Gleichstellung intersexueller Menschen, welches selbstverständlich auch
Sexualität impliziert, jedoch vor allem Geschlechter- und Körperbilder
hinterfragt. Sie mögen somit in vielerlei Hinsicht der Behinderten-,
Antirassismus- und Transsex-/genderbewegung näher stehen, als jene
GeschlechterbefreiungskämpferInnen, welche sich in streng dichotomen und
separatistischen Mustern bewegen.
Fazit
Schwarze Frauen, weiße Frauen mit genitalen Fehl- und
Mißbildungen sowie Hermaphroditen werden in allen westlichen Kulturen in
unterschiedlicher Quantität genital verstümmelt. Während Verstümmelungen an
ausländischen Frauen unter Strafe gestellt ist sowie vielerorts, insbesondere
von gynäkologischen Verbänden, scharf verurteilt sowie international als
schwere Menschenrechtsverletzung geächtet wurde, wird im eigenen Land weiterhin
praktiziert. Für ausländische Frauen werden zumeist Ärzte aus dem Geburtsland
eingeflogen, doch auch westliche Ärzte bieten diesen Dienst illegal gegen
Bargeld an. Für deutsche Frauen hingegen gilt, ebenso wie für Hermaphroditen,
daß die Eingriffe nicht nur legal praktiziert und von der Krankenkasse bezahlt
werden, sondern auch umfangreiche wissenschaftliche Erhebungen mittels Analysen
zur Kategorisierung, Gruppierung und Katalogisierung durchgeführt werden. In
diverser Literatur, insbesondere zur Kindergynäkologie, sind diese
Vorgehensweisen seit über 50 Jahren dokumentiert. Hermaphroditen sowie genital
fehl- und mißgebildete Frauen stellen die direkte Nachfolgegruppe zu früheren
Verstümmelungen aufgrund psychischer Auffälligkeiten dar (welche wiederum auf
FGM an afrikanischen Sklavinnen gegründet war).
Zahlenmaterial zu den Vorgehensweisen ist konsequenterweise,
analog zur gesamtgesellschaftlichen Tabuisierung, offiziell nicht erhältlich.
Die AGGPG schätzt in Relation zur USA die Anzahl genitaler Eingriffe an weißen
Babys und Kindern bundesweit mindestens auf 1800 jährlich, davon 600
Intersexuelle und 1200 Frauen mit Fehl- und Mißbildungen. Dies bedeutet täglich
rund fünf Verstümmelungen. Zwischenzeitlich müßten somit vorsichtig geschätzt
90.000 genital verstümmelte Menschen in Deutschland leben.
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