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Hide to despair //
Transsexuelle Jugendliche: Verstecken bis zur Verzweiflung
Jungen, die Mädchen sind - und umgekehrt: Transsexuelle
fühlen sich im falschen Körper geboren. In der Schule ist es für sie meistens
besonders schlimm, denn selbst die Lehrer gehen häufig unsensibel mit den
betroffenen Jugendlichen um.
Ohne seinen einen besonderen Lehrer wäre Niklas vielleicht
heute noch eine Frau. Und unglücklich. Schon im Kindergarten wusste der
21-Jährige, dass er ein Junge ist und kein Mädchen - obwohl er im Körper von
einem geboren wurde.
Niklas, der in Wirklichkeit anders heißt, wusste lange Zeit
nicht, wie er sein Problem anderen klar machen sollte. Als er mit 16 seinen
Eltern davon erzählte, meinten sie, dass das nur eine Phase sei. Dass das schon
wieder vorbeigehen würde. Aber das tat es nicht. "Meinen weiblichen Namen
zu hören, war für mich jedes Mal wie ein Stich ins Herz."
Erst ein schwuler Lehrer von Niklas verstand ihn. Er redete
mit Niklas' Eltern und konnte sie schließlich davon überzeugen, dass sie keine
Tochter haben, sondern einen Sohn. Und dass Niklas nun endlich auch äußerlich
ein Mann sein wollte.
Transident. So nennen Experten Menschen wie Niklas. Sie
ziehen die Bezeichnung dem bekannteren Begriff "transsexuell" vor, weil
das Phänomen nichts mit sexueller Orientierung zu tun hat. Bei transidenten
Menschen stimmt das Geschlecht, mit dem sie zur Welt gekommen sind, nicht mit
dem gefühlten Geschlecht überein - und das merken sie oft schon im frühesten
Kindesalter.
Die Zahlen variieren abhängig davon, welche Definition von
Transidentität man zugrunde legt. Einer von 30.000 Menschen in Deutschland will
sein Geschlecht operativ verändern lassen. Die Zahl steigt enorm, wenn man
unter transident auch die Menschen versteht, die sich weder ganz als Mann noch
ganz als Frau fühlen. Sexualwissenschaftler schätzen, dass Identitätskonflikte
dieser Art ein bis sieben Prozent der Bevölkerung betreffen.
Die meisten Lehrer sind überfordert
Dennoch taucht das Thema bisher kaum dort auf, wo der
Leidensdruck für die Betroffenen häufig besonders groß ist - und wo man
Vorurteilen am ehesten entgegen wirken könnte: in der Schule. Transidentität
werde in aller Regel überhaupt nicht im Unterricht behandelt, sagt Marcus
Felix, Sprecher der bundesweiten Arbeitsgemeinschaft Lesben, Schwule,
Bisexuelle, Trans* und Inter* (LSBTI) der Lehrergewerkschaft GEW.
Transidentität komme demnach bisher wenig bis gar nicht in
Schulbüchern vor. Auch im Lehramtsstudium würde das Thema oft gar nicht
erwähnt, kritisiert Felix. Dementsprechend mangele es an informierten Lehrern.
Und das habe Konsequenzen: Weil viele Lehrer mit Transidentität nicht vertraut
seien, fühlten sie sich überfordert. Das könne extreme Ausmaße annehmen. So
habe eine Schulleiterin einem transidenten Kind untersagt, sich zu outen. Der
Grund: Sie befürchtete, dass sich niemand mehr an der Schule anmelden würde,
wenn das Coming-out bekannt würde.
Problematisch sei auch, so Felix, dass viele Lehrer nicht
wüssten, wie weitreichend die Freiräume sind, die ihnen das Gesetz lässt. So
sei es rechtlich durchaus möglich, den Wunschnamen und sogar das Wunschgeschlecht
von Kindern in Zeugnisse und andere Schuldokumente einzutragen. Tut ein Lehrer
das nämlich nicht, riskiert er, eine Schülerin oder einen Schüler gegen deren
Willen zu outen - zum Beispiel, wenn sich das Kind schon gemäß seines gefühlten
Geschlechts nennt und kleidet, und die Mitschüler gar nicht um seine
Transidentität wissen.
Birgit Möller kennt den Alltag von transidenten Schülerinnen
und Schülern. Die Psychologin leitet am Universitätsklinikum Münster eine
Sprechstunde für Kinder und Jugendliche mit Variationen der geschlechtlichen
Entwicklung. Wie die Kinder in der Schule aufgenommen werden, sei sehr
unterschiedlich, sagt sie. Manche spüren schon sehr früh, dass sie eine andere
Geschlechtsidentität haben und werden bald auch von ihren Lehrern und Mitschülern
akzeptiert, wie sie sind.
Bei anderen gibt es Probleme: Sie treffen auf Unverständnis,
werden im schlimmsten Fall gemobbt. "Ich habe schon Lehrer erlebt, die
sich weigern, die Schüler bei ihrem selbstgewählten Namen zu nennen - obwohl
sie die Situation kannten", sagt Psychologin Möller. Dass das Thema
geschlechtliche Vielfalt nicht im Unterricht vorkomme, empfänden ihre Patienten
oft als sehr belastend. "Viele sind sehr verzweifelt", sagt Möller.
Nicht wenige ihrer Patienten seien schon einmal suizidal gewesen.
Aber auch für andere Kinder sei es ein Problem, dass Männer
und Frauen im Unterricht häufig klischeehaft dargestellt würden - ohne Raum für
Zwischentöne. Wer sich einfach nicht als typischer Junge oder typisches Mädchen
verstehen könne, leide oft darunter. "Diese Kinder und Jugendlichen
versuchen dann lange, sich anzupassen, und verzweifeln zum Teil beim
Versuch", erklärt Möller. Das könne zu sozialem Rückzug führen,
Traurigkeit, sogar Depression.
Deshalb geht die Arbeitsgemeinschaft LSBTI auch selbst an
Schulen, um aufzuklären. Ihr Ansatz ist es, über geschlechtliche Vielfalt zu
informieren. Sie wollen den Schülern zeigen, dass es neben typischen Jungen und
Mädchen auch Menschen mit anderen sexuellen Orientierungen und
Geschlechtsidentitäten gibt. Dazu stellen sie auch die typischen
Geschlechterrollen - starke Männer, emotionale Frauen - infrage.
An seinem neuen Wohnort hat Niklas nichts erzählt
Die Geschlechterrollen im Unterricht zu hinterfragen - das
ist jedoch aus Sicht von Josef Kraus, Präsident des Deutschen Lehrerverbands,
nur "Gender-Ideologie". "Wir müssen aufpassen, dass wir nicht
die geschlechtliche Identität, die bei weit über 90 Prozent eindeutig ist,
unterminieren", sagt er.
Transidentität sei laut Kraus ein "Minderheitenanliegen",
das zwar durchaus Unterrichtsstoff sein sollte. Allerdings nicht in der
Vorpubertät, weil es die Identitätsfindung der Kinder erschweren könne. Kraus
schlägt vor, in jeder Schule ein oder zwei Experten zu haben, an die sich
Eltern oder Kinder wenden können. Alle 800.000 Lehrer zu dem Thema zu schulen,
halte er allerdings für "blauäugig".
Traurigkeit, Rückzug. Niklas hat das erlebt. "Das ist
wie die eigene Hölle, in der man brodelt", sagt er heute über die Phase
vor Beginn seiner Geschlechtsanpassung. Als Teenager habe es irgendwann kein
anderes Thema mehr für ihn gegeben. "Ich wollte einfach nur ich sein
können."
Seinen Mitschülern hat sich Niklas aber erst geoutet, als er
mit der Schule fertig war. Auch wenn die Rückmeldungen nur positiv waren, hatte
er doch das Gefühl, dass viele seine Geschlechtsanpassung komisch finden. An
seinem neuen Wohnort, wo er eine Ausbildung macht, hat er deshalb niemandem von
seiner Vergangenheit erzählt.
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