Samstag, 7. November 2015

Hide to despair // Transsexuelle Jugendliche: Verstecken bis zur Verzweiflung

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Hide to despair  //
Transsexuelle Jugendliche: Verstecken bis zur Verzweiflung
Jungen, die Mädchen sind - und umgekehrt: Transsexuelle fühlen sich im falschen Körper geboren. In der Schule ist es für sie meistens besonders schlimm, denn selbst die Lehrer gehen häufig unsensibel mit den betroffenen Jugendlichen um.
Ohne seinen einen besonderen Lehrer wäre Niklas vielleicht heute noch eine Frau. Und unglücklich. Schon im Kindergarten wusste der 21-Jährige, dass er ein Junge ist und kein Mädchen - obwohl er im Körper von einem geboren wurde.

Niklas, der in Wirklichkeit anders heißt, wusste lange Zeit nicht, wie er sein Problem anderen klar machen sollte. Als er mit 16 seinen Eltern davon erzählte, meinten sie, dass das nur eine Phase sei. Dass das schon wieder vorbeigehen würde. Aber das tat es nicht. "Meinen weiblichen Namen zu hören, war für mich jedes Mal wie ein Stich ins Herz."
Erst ein schwuler Lehrer von Niklas verstand ihn. Er redete mit Niklas' Eltern und konnte sie schließlich davon überzeugen, dass sie keine Tochter haben, sondern einen Sohn. Und dass Niklas nun endlich auch äußerlich ein Mann sein wollte.

Transident. So nennen Experten Menschen wie Niklas. Sie ziehen die Bezeichnung dem bekannteren Begriff "transsexuell" vor, weil das Phänomen nichts mit sexueller Orientierung zu tun hat. Bei transidenten Menschen stimmt das Geschlecht, mit dem sie zur Welt gekommen sind, nicht mit dem gefühlten Geschlecht überein - und das merken sie oft schon im frühesten Kindesalter.

Die Zahlen variieren abhängig davon, welche Definition von Transidentität man zugrunde legt. Einer von 30.000 Menschen in Deutschland will sein Geschlecht operativ verändern lassen. Die Zahl steigt enorm, wenn man unter transident auch die Menschen versteht, die sich weder ganz als Mann noch ganz als Frau fühlen. Sexualwissenschaftler schätzen, dass Identitätskonflikte dieser Art ein bis sieben Prozent der Bevölkerung betreffen.

Die meisten Lehrer sind überfordert

Dennoch taucht das Thema bisher kaum dort auf, wo der Leidensdruck für die Betroffenen häufig besonders groß ist - und wo man Vorurteilen am ehesten entgegen wirken könnte: in der Schule. Transidentität werde in aller Regel überhaupt nicht im Unterricht behandelt, sagt Marcus Felix, Sprecher der bundesweiten Arbeitsgemeinschaft Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans* und Inter* (LSBTI) der Lehrergewerkschaft GEW.

Transidentität komme demnach bisher wenig bis gar nicht in Schulbüchern vor. Auch im Lehramtsstudium würde das Thema oft gar nicht erwähnt, kritisiert Felix. Dementsprechend mangele es an informierten Lehrern. Und das habe Konsequenzen: Weil viele Lehrer mit Transidentität nicht vertraut seien, fühlten sie sich überfordert. Das könne extreme Ausmaße annehmen. So habe eine Schulleiterin einem transidenten Kind untersagt, sich zu outen. Der Grund: Sie befürchtete, dass sich niemand mehr an der Schule anmelden würde, wenn das Coming-out bekannt würde.

Problematisch sei auch, so Felix, dass viele Lehrer nicht wüssten, wie weitreichend die Freiräume sind, die ihnen das Gesetz lässt. So sei es rechtlich durchaus möglich, den Wunschnamen und sogar das Wunschgeschlecht von Kindern in Zeugnisse und andere Schuldokumente einzutragen. Tut ein Lehrer das nämlich nicht, riskiert er, eine Schülerin oder einen Schüler gegen deren Willen zu outen - zum Beispiel, wenn sich das Kind schon gemäß seines gefühlten Geschlechts nennt und kleidet, und die Mitschüler gar nicht um seine Transidentität wissen.

Birgit Möller kennt den Alltag von transidenten Schülerinnen und Schülern. Die Psychologin leitet am Universitätsklinikum Münster eine Sprechstunde für Kinder und Jugendliche mit Variationen der geschlechtlichen Entwicklung. Wie die Kinder in der Schule aufgenommen werden, sei sehr unterschiedlich, sagt sie. Manche spüren schon sehr früh, dass sie eine andere Geschlechtsidentität haben und werden bald auch von ihren Lehrern und Mitschülern akzeptiert, wie sie sind.
Bei anderen gibt es Probleme: Sie treffen auf Unverständnis, werden im schlimmsten Fall gemobbt. "Ich habe schon Lehrer erlebt, die sich weigern, die Schüler bei ihrem selbstgewählten Namen zu nennen - obwohl sie die Situation kannten", sagt Psychologin Möller. Dass das Thema geschlechtliche Vielfalt nicht im Unterricht vorkomme, empfänden ihre Patienten oft als sehr belastend. "Viele sind sehr verzweifelt", sagt Möller. Nicht wenige ihrer Patienten seien schon einmal suizidal gewesen.

Aber auch für andere Kinder sei es ein Problem, dass Männer und Frauen im Unterricht häufig klischeehaft dargestellt würden - ohne Raum für Zwischentöne. Wer sich einfach nicht als typischer Junge oder typisches Mädchen verstehen könne, leide oft darunter. "Diese Kinder und Jugendlichen versuchen dann lange, sich anzupassen, und verzweifeln zum Teil beim Versuch", erklärt Möller. Das könne zu sozialem Rückzug führen, Traurigkeit, sogar Depression.

Deshalb geht die Arbeitsgemeinschaft LSBTI auch selbst an Schulen, um aufzuklären. Ihr Ansatz ist es, über geschlechtliche Vielfalt zu informieren. Sie wollen den Schülern zeigen, dass es neben typischen Jungen und Mädchen auch Menschen mit anderen sexuellen Orientierungen und Geschlechtsidentitäten gibt. Dazu stellen sie auch die typischen Geschlechterrollen - starke Männer, emotionale Frauen - infrage.

An seinem neuen Wohnort hat Niklas nichts erzählt

Die Geschlechterrollen im Unterricht zu hinterfragen - das ist jedoch aus Sicht von Josef Kraus, Präsident des Deutschen Lehrerverbands, nur "Gender-Ideologie". "Wir müssen aufpassen, dass wir nicht die geschlechtliche Identität, die bei weit über 90 Prozent eindeutig ist, unterminieren", sagt er.

Transidentität sei laut Kraus ein "Minderheitenanliegen", das zwar durchaus Unterrichtsstoff sein sollte. Allerdings nicht in der Vorpubertät, weil es die Identitätsfindung der Kinder erschweren könne. Kraus schlägt vor, in jeder Schule ein oder zwei Experten zu haben, an die sich Eltern oder Kinder wenden können. Alle 800.000 Lehrer zu dem Thema zu schulen, halte er allerdings für "blauäugig".

Traurigkeit, Rückzug. Niklas hat das erlebt. "Das ist wie die eigene Hölle, in der man brodelt", sagt er heute über die Phase vor Beginn seiner Geschlechtsanpassung. Als Teenager habe es irgendwann kein anderes Thema mehr für ihn gegeben. "Ich wollte einfach nur ich sein können."
Seinen Mitschülern hat sich Niklas aber erst geoutet, als er mit der Schule fertig war. Auch wenn die Rückmeldungen nur positiv waren, hatte er doch das Gefühl, dass viele seine Geschlechtsanpassung komisch finden. An seinem neuen Wohnort, wo er eine Ausbildung macht, hat er deshalb niemandem von seiner Vergangenheit erzählt.

So sehen ihn endlich alle als das, was er ist: ein junger Mann.




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