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und Bearbeitet von Nikita Noemi Rothenbächer 2016
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Transsexualität:
Drei Grundformen
Der Psychiatrieprofessor Ray Blanchard vom Clark Institute für
Psychiatrie in Toronto hat über viele Jahre hin transsexuell empfindende
Menschen untersucht und behandelt. Er unterscheidet bei den Männern zwei
Grundformen: a) homosexuell-Transsexuelle und b) autogynophil-Transsexuelle.5
Bei den Frauen findet man nur eine Grundform, die weiter unten besprochen
wird.
a)
Homosexuell-transsexuell empfindende Männer
Homosexuell-transsexuelle Männer6 werden in ihrem Aussehen, ihren
Gesten und Sprechweisen als „weiblich“ wahrgenommen. Sie fühlen sich zu sehr
männlich aussehenden Männern hingezogen. Sie glauben, wenn sie als „echte
Frauen“ auftreten, können sie für diese Männer attraktiv sein und sie anziehen.
Nahezu alle homosexuell-Transsexuellen hatten schon im Kindesalter eine
Geschlechtsidentitätsstörung (siehe unten). Sie konnten sich in ihrer
Entwicklung nie mit ihrem Vater, ihren Brüdern oder mit gleichgeschlechtlichen
Gleichaltrigen identifizieren. Entweder hielten sie sich für ein Mädchen,
zumindest wünschten sie sich, eines zu sein. In der Regel verachteten sie in
der Kindheit ihr männliches Geschlechtsorgan; sie versuchten, es zu verstecken;
sie weigerten sich, im Stehen zu urinieren; sie bestanden darauf, Mädchenkleidung
zu tragen und spielten oft ausschließlich mit Mädchen. In der Folge wurden sie
von den männlichen Gleichaltrigen gehänselt und abgelehnt. Obgleich einige homosexuell
empfindende Erwachsene in der frühen Kindheit die gleichen Verhaltensmuster
zeigen, verschwinden diese bei ihnen im Lauf ihrer Entwicklung. Bei
homosexuell-transsexuellen Männern bleibt die Identifikation mit dem Weiblichen
bestehen. Häufig sieht man bei ihnen eine übertriebene „Weiblichkeit“.
Viele homosexuell-Transsexuelle gehen sexuelle Kontakte zu homosexuellen
Männern ein. Die Beziehungen sind für sie aber nicht befriedigend.
(Männlichkeit hat unter homosexuell lebenden Männern einen hohen Stellenwert,
weiblicher wirkende Männer sind meist weniger begehrt.)
Homosexuell-Transsexuelle möchten eine sexuelle Beziehung zu einem
heterosexuellen Mann und sind der Auffassung, dass sie sich diesen Wunsch
erfüllen können, wenn sie selbst eine attraktive Frau werden.
Der Psychiater Paul McHugh ist der Auffassung, dass
homosexuell-Transsexuelle „einen inneren Konflikt bezüglich ihrer
Homosexualität haben und mit Schuldgefühlen kämpfen. In der
Geschlechtsumwandlung sehen sie die Lösung für ihren Konflikt, denn die
Operation ermöglicht es ihnen, als Frauen mit Männern einen sexuellen Kontakt
aufzunehmen.“7
Viele homosexuell-Transsexuelle sagen, dass sie einfach nur die Frau werden
wollen, als die sie sich schon immer gefühlt haben. Anne Lawrence, ein
autogynophil-Transsexueller, der heute als Frau lebt, ist aber der Überzeugung,
dass sexuelles Begehren auch bei homosexuell-Transsexuellen eine größere Rolle
spielt, als viele es zugeben möchten:
„Homosexuell-Transsexuelle sind nicht frei von sexueller Motivation.
Kollegen, die sehr viel Zeit mit der Befragung von homosexuell-Transsexuellen
verbracht haben, sagen mir, man könne sie am ehesten als sehr effeminierte
homosexuelle Männer bezeichnen, die ihre femininen Züge während der Pubertät
nicht abgelegt haben. Fast alle haben eine Phase des ‚schwulen Jungen’ durchgemacht.
Ihre Entscheidung für oder wider eine Geschlechtsumwandlung hängt oft in hohem
Maß davon ab, ob sie meinen, in der weiblichen Rolle ausreichend annehmbar zu
sein, um heterosexuelle männliche Partner anziehen zu können. Diejenigen, die
meinen, dass sie sowieso nicht als Frau durchgehen werden, unterziehen sich in
der Regel keiner Geschlechtsumwandlung, unabhängig davon, wie ‚weiblich’ ihr
Verhalten sein mag. Stattdessen nehmen sie, vielleicht widerwillig, eine
schwule männliche Identität an und bleiben in der Homosexuellenszene, wo sie
realistischerweise davon ausgehen können, interessierte Partner zu finden. (…)
Die Quintessenz lautet, dass auch bei der homosexuellen Transsexualität
sexuelles Kalkül oft eine Rolle spielt. Bei der Transsexualität geht es zu
einem großen Teil um Sex – unabhängig davon, um welche Form von
Transsexualität es sich handelt.“8
Geschlechtsidentitätsstörung
im
Kindesalter
Homosexuelle Transsexualität manifestiert sich fast immer zuerst als Geschlechtsidentitätsstörung
im Kindesalter (GIS).9 Geschlechtsidentitätsstörungen im
Kindesalter zeigen sich schon früh in der Kindheit. Einige meinen deshalb, dass
sie biologische, genetische oder hormonelle Ursachen haben müsse. Dafür gibt es
aber bisher keinen Nachweis. Ebenso meinen einige, eine GIS sei unveränderbar.
Dagegen sprechen die psychotherapeutischen Erfolge. GIS im Kindesalter gibt es
bei Jungen und Mädchen, im Folgenden geht es vor allem um Jungen.
Schon sehr früh haben Kinder im Normalfall ein Gefühl dafür, dass es zwei
Geschlechter gibt und zu welchem sie selbst gehören. Ein positives Selbstbild
sollte sich entwickeln: „Ich bin ein Junge. Ich bin wie Papa und meine Brüder.
Es ist gut, ein Junge zu sein. Meine Eltern freuen sich, dass ich ein Junge
bin.“ Entsprechendes gilt für das Mädchen: „Ich bin wie Mama. Es ist gut, dass
ich ein Mädchen bin. Ich bin geliebt und angenommen.“
Bei Kindern mit GIS verläuft die frühe Entwicklung anders.
Kenneth J. Zucker, Psychologe und Psychiater, sowie Susan J. Bradley sind
die führenden Experten in der Diagnose und Behandlung von Kindern mit GIS.10
Aufgrund ihrer langjährigen klinischen Erfahrung gehen sie davon aus, dass
GIS bei Jungen in der frühen Kindheit mit einer unsicheren Mutter-Kind-Bindung
beginnt und vor allem emotional sensible und daher leicht verwundbare Jungen
trifft:
„Der Junge, der hochsensibel die mütterlichen Signale aufnimmt, spürt die
Depressivität und die Wut seiner Mutter. Da er selbst ja auch noch unsicher
ist, fühlt er sich durch diese Wut und Feinseligkeit bedroht; er empfindet diese
Emotionen als gegen ihn selbst gerichtet. Seine Angst, die Mutter zu verlieren,
intensiviert seinen Konflikt mit seiner eigenen Wut und führt zu einem hohen
Niveau an Erregung oder Angst.“11
Wenn sich Ängste in dieser frühen, empfindlichen Entwicklungsphase
einstellen, kann es sein, dass ein Kind Verhaltensweisen „wählt“, die typisch
für das andere Geschlecht sind, weil es unbewusst meint, dadurch mehr
Sicherheit zu haben oder mehr Wertschätzung von der Mutter zu bekommen.
Susan Bradley beschreibt die Zusammenhänge sowie die Unterschiede zwischen
frühen Angststörungen und GIS: „Der Unterschied zwischen GIS und Angststörungen
liegt darin, dass in der Familie mit GIS das Geschlecht und die
Geschlechtsrolle eine spezielle Bedeutung haben. Insbesondere Jungen mit GIS
glauben, dass sie als Mädchen von ihrer Familie in höherem Maß wertgeschätzt
werden oder nicht so viele Schwierigkeiten haben werden wie als Junge. Das hat
mit den Erfahrungen der Eltern in deren eigenen Herkunftsfamilien zu tun,
insbesondere mit Tendenzen bei den Müttern, sich vor männlicher Aggressivität
zu fürchten oder selbst fürsorgebedürftig zu sein, was als weibliche
Eigenschaft geschätzt wird.“12
Die ersten Versuche des Kindes, sich mit dem anderen Geschlecht zu
identifizieren, werden dann möglicherweise – subtil oder offen – mit einem
Lächeln, besonders von der Mutter, belohnt. Sie und andere Frauen in der
Familie rufen womöglich aus: „Ist er nicht niedlich, wenn er Mamas Schuhe
trägt? Das gäbe ein hübsches Mädchen!“
Die positive Reaktion der Mutter auf das mädchenhafte Verhalten des
kleinen Sohnes beurteilen Zucker und Bradley so: „Das Bedürfnis der Mutter,
selber fürsorglich umsorgt zu werden und ihre Angst vor [männlichen]
Aggressionen führen dazu, dass sie das Verhalten des Kindes toleriert. Wenn die
Mutter ihren Sohn damit „attraktiv“ findet, kann sich dieses Verhalten
verfestigen. Die wohlwollende Toleranz der Mutter kann zu einer positiven
Verstärkung des cross-dressing führen.“13
Die Mutter möchte ihren Sohn vielleicht nicht „unglücklich“ machen, indem
sie ihn vom cross-dressing (Anziehen von Frauenkleidung) abhält, währenddessen
der Vater möglicherweise überzeugt ist, dass sein Sohn eines Tages homosexuell
wird. Erst später, wenn die Identifizierung des Jungen mit den Mädchen dazu führt,
dass er gehänselt und abgelehnt wird, bekommt die Mutter Bedenken.
Zucker und Bradley fanden heraus: Viele Eltern „zeigen eine ausgesprochene
Ambivalenz“, wenn sie bei ihrem Sohn deutliche Anzeichen von GIS sehen und
ignorieren das Problem so lange, bis es nicht mehr geht.14 Ist die Ambivalenz
noch stärker, suchen sie vermutlich gar keine Hilfe.
Wenn Eltern eigene Probleme haben, sind sie nicht immer in der Lage, die
Bedürfnisse ihrer Kinder nach Sicherheit, Wertschätzung, Akzeptanz und Liebe zu
erfüllen und ihnen zu einem positiven Selbstbild als Junge oder Mädchen zu
verhelfen.
Häufig gehen Väter eine Beziehung mit den Söhnen ein, indem sie mit ihnen
gemeinsam Sport treiben. Sie wissen aber nicht, wie sie die Männlichkeit ihres
Sohnes stärken können, wenn dieser kreative, künstlerische oder andere
nicht-sportliche Talente hat. Väter mit kreativ oder künstlerisch begabten
Söhnen müssen lernen, diese Begabungen als etwas authentisch Männliches
anzusehen und ihre Söhne darin zu unterstützen. Vielleicht wissen die Eltern
auch nicht, wie wichtig es gerade für diese Jungen ist, schon früh in der
Kindheit tragfähige Freundschaften zu anderen Jungen, die ähnliche Interessen
haben, aufzubauen.
In einigen Fällen hatte sich ein Elternteil statt eines Jungen ein Mädchen
(oder umgekehrt) gewünscht und zieht es an und behandelt es, als sei es ein
Mädchen. Manche Eltern setzen die Schule unter Druck, damit diese das
cross-dressing erlaubt, oder bringen es zu einer Selbsthilfegruppe für
Transsexualität/Transgender, in der das pathologische Verhalten des Kindes
zumeist verstärkt wird.15
Die in der Familie bestehenden dysfunktionalen Elemente haben das Kind in
seiner Identität verunsichert und verletzlich gemacht: „Die anhaltenden
Schwierigkeiten der Eltern, mit dem cross-gender Verhalten des Kindes
angemessen umzugehen, können die Ängste und Unsicherheiten des Kindes noch
intensivieren. Zugleich führt dieses Verhalten dazu, dass das Kind in eine
Fantasiewelt abdriftet, in der es eine geschätzte, geliebte Person des anderen
Geschlechts ist. Im Lauf seiner Entwicklung hat das Kind dann immer wieder das Bedürfnis,
diese andere fantasierte Person zu sein, [denn dadurch kann es vorübergehend
seine Ängste und das Gefühl, als reale Person nicht wertgeschätzt zu sein,
abwehren]. Das führt dazu, dass das Kind oft einen großen Widerstand hat,
diesen Schutzmechanismus der Fantasiewelt aufzugeben.“16
Insbesondere Jungen mit GIS erfahren häufig Ablehnung, Hänseleien, Mobbing.
Jungen etwa mit schwacher Hand-Augen-Koordination werden ausgegrenzt oder
gnadenlos gehänselt, weil sie einen Ball nicht richtig treffen können. Wenn ein
solcher Junge schon eine unsichere Bindung an die Eltern, insbesondere an den
Vater hat, kann diese Ablehnung dazu führen, dass er denkt, die anderen hassen
ihn. Das wiederum kann zu Selbstablehnung führen, wobei die Ablehnung seines
Geschlechts im Mittelpunkt stehen kann. („Ich hasse es, ein Junge zu sein.“)
Die Selbstablehnung kann sich auch auf bestimmte Körperteile, etwa die
Genitalien, konzentrieren. Jungen versuchen dann, ihre Genitalien unbedingt zu
verbergen.
Bei Mädchen mit GIS ist vieles anders. Sie sind nicht weniger, sondern
stärker sportlich talentiert und vom Temperament her eher
wettbewerbsorientiert; Spiele, bei denen es rau zugeht, machen ihnen weniger
aus als anderen Mädchen. Dabei erfahren sie aber meist nicht die offene Ablehnung,
die Jungen durch Gleichaltrige erfahren. Doch gibt es bei ihnen andere Gründe,
die dazu führen, dass Mädchen mit GIS eine sehr große Verletzlichkeit
empfinden, eine „Geschlechtsdysphorie“ (tiefes Unbehagen über das eigene
Geschlecht, den eigenen Körper) entwickelt haben und unglücklich über ihr
Weiblichsein sind. Sie fürchten sich deshalb auch vor der Entwicklung ihrer
biologischen Geschlechtsmerkmale wie dem Wachstum der Brüste oder dem Einsetzen
der Menstruation.
Die Ablehnung des eigenen, natürlichen Körpers zusammen mit Selbsthass und
masochistischen Tendenzen können zu dem Wunsch nach Geschlechtsumwandlung
führen. Würde in den Therapien der Schwerpunkt der Arbeit mit den Kindern (und
den erwachsenen Patienten) darauf gelegt, die Wut der Kinder auf sich selbst
und auf die, von denen sie sich abgelehnt fühlen, aufzulösen, könnten viele
Kinder und Erwachsene sich mit ihrem Geburtsgeschlecht aussöhnen.
Nach Erkenntnissen anderer Therapeuten können sich bei Kindern mit GIS auch
chronisches Selbstmitleid und das Übernehmen einer Opferrolle entwickeln, in
der sie ihr persönliches Leid verabsolutieren und das zu ihrer
Lebenseinstellung wird. Solche Gewohnheiten sind dann schwer aufzugeben.
Ohne eine konstruktive therapeutische Intervention im Kindesalter entwickeln
sich bei vielen Jungen mit GIS in der Pubertät homosexuelle Neigungen, ein
kleiner Prozentsatz wird transsexuell.17
Kinder mit GIS konnten sich nie mit dem Guten und Positiven ihres
Geschlechts identifizieren. Das kann dazu führen, dass sie andere beneiden, die
scheinbar haben, was sie bei sich vermissen. Diejenigen, die später homosexuell
empfinden, beneiden oft Personen des eigenen Geschlechts um bestimmter
Eigenschaften willen, die sie bei sich vermissen – und begehren sie.
Diejenigen, die später transsexuell empfinden, beneiden Personen des anderen
Geschlechts, ebenfalls um deren bestimmter Eigenschaften
willen. Personen, die zum anderen Geschlecht gehören möchten, erhoffen sich
oft: Wenn sie eine Frau werden, statt Mann zu bleiben (oder umgekehrt) können
sie sich endlich psychisch sicher fühlen, weil sie dann angenommen und geliebt
werden.
Über die Einordnung der Geschlechtsidentitätsstörung im Kindesalter als
psychische Störung gibt es Kontroversen. Da GIS häufig ein erster Schritt zur
Entwicklung homosexueller Neigungen ist und diese nicht mehr als psychisches
Problem gelten, fordern einige Therapeuten, auch GIS als „gesunde“ und
„normale“ Entwicklung anzusehen. Zucker und Bradley lehnen das aber ab. Sie
verweisen auf die seelischen Probleme und seelische Belastung von Kindern mit
GIS und auf die Häufigkeit psychischer Erkrankungen bei den Eltern,
insbesondere der Jungen.18 Nach Zucker und Bradley sind diese
Jungen nicht einfach glückliche, seelisch ausgeglichene Kinder, die nur meinen,
sie seien in Wirklichkeit Mädchen. Sie sind problembelastete Kinder aus
problembelasteten Familien.
Zucker und Bradley untersuchten die Familien von zehn Jungen mit GIS, die
nacheinander in ihre Praxis kamen. In sämtlichen Familien gab es gravierende
Probleme: Acht der zehn Mütter hatten mindestens eine diagnostizierte
psychische Störung. Von den anderen beiden Müttern war eine wegen familiärer
Probleme in psychotherapeutischer Langzeitbehandlung, die andere litt an
schwerer, kräftezehrender Migräne.19
Konstruktive therapeutische Interventionen sind bei den vorpubertären
Kindern mit GIS sehr wohl möglich. Zucker und Bradley berichten: „Unsere
Erfahrung zeigt, dass zahlreiche Kinder und ihre Familien sich erheblich
verändern können. In diesen Fällen ist die Geschlechtsidentitätsidentitätsstörung
völlig verschwunden.“20
Da die Anzeichen einer GIS offenkundig sind, auch für Kinderärzte,
Erzieherinnen und Lehrer, sollten die Eltern unbedingt ermutigt werden, sich
möglichst früh Hilfe zu suchen.
Leider sind Eltern nicht immer gewillt, am therapeutischen Prozess
mitzuwirken. Wird die psychische Störung in der Kindheit nicht behandelt, so
Kenneth Zucker und Susan Bradley, ist es in der Pubertät sehr viel schwieriger,
sie zu behandeln, insbesondere wenn der Jugendliche glaubt, die
Geschlechtsumwandlung sei die Lösung:
„Jugendliche in der Adoleszenz mit Geschlechtsidentitätsstörung haben eine
geringe Angsttoleranz. Ihr Wunsch nach Geschlechtsumwandlung ist ein seelischer
Abwehrmechanismus, um ihre Ängste zu kontrollieren. Die Vorstellung, keine
‚Lösung‘ für ihr inneres Leid zu haben, vergrößert ihre Ängste; und das macht
es sehr schwierig, eine therapeutische Allianz herzustellen. Selbst wenn die
Jugendlichen (zumindest an der Oberfläche) verstehen, warum sie die Wünsche
nach Geschlechtsumwandlung haben, sind sie oft doch nicht in der Lage, den
Abwehrmechanismus aufzugeben. Ohne ihn fürchten sie, von ihren Ängsten
überwältigt zu werden. Das führt zu einem fordernden Verhalten und zu Ungeduld
mit dem Therapeuten, wenn er versucht, mit dem Jugendlichen tiefere Gefühle und
Verhaltensweisen zu explorieren. Viele Jugendliche, die sich
geschlechtsangleichende Operationen wünschen, ziehen sich aus der Therapie
zurück, weil sie den Angstpegel nicht aushalten können, der sich zeigt, sobald tiefere
Ursachen für ihre Operationswünsche erkundet werden sollen.“21
Angesichts dieser Schwierigkeiten, bei Adoleszenten mit GIS durch
Psychotherapien noch positive Ergebnisse zu erzielen, befürworten Zucker und
Bradley Hormongaben und Operationen, allerdings nur, wenn die Betroffenen
volljährig sind.
Die Verfügbarkeit der
„geschlechtsumwandelnden“ Operationen bestärkt aber die Adoleszenten in der
Auffassung, dass ihr Widerstand gegen eine Psychotherapie belohnt wird, nämlich
damit, dass man ihnen den Wunsch nach den Operationen erfüllt.
b)
Autogynophil-transsexuelle
Männer
Nach dem Psychiater und Sexualwissenschaftler Ray Blanchard, der den
Begriff „autogynophil-transsexuell“ prägte, sind dies Männer, die in das Bild
von sich selbst als Frau verliebt sind.
Blanchard ist der Auffassung:
1. Alle biologisch gesunden Männer mit Geschlechtsdysphorie sind entweder
homosexuell (sexuell erregt durch andere Männer) oder autogynophil (sexuell
erregt durch die Vorstellung von sich selbst als Frau).
2. Bei Frauen gibt es keine Autogynophilie, d.h. Frauen werden nicht
sexuell erregt durch die Vorstellung, dass sie eine Brust und ein weibliches
Genitale haben.
3. Der Wunsch einiger autogynophiler Männer nach „geschlechtsumwandelnden“
Operationen stellt eine Form der „Bindung“ an das Liebesobjekt dar (das
fantasierte eigene weibliche Selbst) und ist analog zu dem Wunsch
heterosexueller Männer, eine Frau zu heiraten, oder dem Wunsch homosexuell
lebender Männer, dauerhafte Beziehungen zu männlichen Partnern einzugehen.
4. Autogynophilie ist ein fehlgeleiteter heterosexueller Impuls, der neben
normalen heterosexuellen Wünschen bestehen kann oder mit diesen konkurriert.
5. Autogynophilie ist ein Beispiel aus einer größeren Gruppe sexueller
Variationen, die sich aus einer Entwicklungsstörung bei der erotischen
Objektwahl ergeben.22
Autogynophilie gehört zum Transvestitismus23 und damit zur
Gruppe der Paraphilien. Paraphilien sind psychische Störungen, bei denen die
sexuelle Erregung zwanghaft mit etwas anderem als mit einer realen, ganzen
Person verknüpft ist.
Manche autogynophil-Transsexuellen wehren sich gegen die Einordnung ihres
Problems als Paraphilie, da sie (zumindest anfangs) nicht darauf beschränkt
sind, eine bestimmte Fantasie zu inszenieren, um zu einer sexuellen Erregung zu
gelangen. Sie empfinden eher, dass die Fantasien mit ihren realen sexuellen
Beziehungen konkurrieren.
Lawrence, selbst autogynophil-transsexuell, der nach den Operationen heute
als Frau lebt, schreibt:
„Was die Sache kompliziert macht, ist der Umstand, dass Autogynophilie
nicht unbedingt die Anziehung zu anderen Menschen ausschließt. Deshalb kann man
sagen, dass einige Transsexuelle zwar autogynophil sind, sich aber zugleich als
heterosexuell oder bisexuell oder ohne Anziehung zu anderen Menschen einordnen…
Autogynophile Erregung scheint aber oft mit der Anziehung zu anderen Menschen
zu konkurrieren. So berichten heterosexuell oder bisexuell empfindende
Autogynophile oft, dass die autogynophilen Fantasien in den Hintergrund treten,
wenn sie einen neuen Sexualpartner haben und sich ihre Aufmerksamkeit auf den
Partner konzentriert. Doch mit der Zeit, wenn der Reiz des Neuen nachlässt,
kehren sie häufig zu den autogynophilen Fantasien zurück. Für biologische
Männer ist der Reiz des Neuen vielleicht sowieso ein wichtiger Faktor bei ihrer
Entscheidung, wohin die sexuelle Erregung geht.“24
Die Macht der Fantasien kann so groß sein, dass der reale Partner zu einem
Mitspieler in den Fantasien reduziert wird. Noch einmal Lawrence:
„Eine weitere Beobachtung, die autogynophile Personen häufig machen, ist
folgende: Zwar mögen sie Sex mit einem Partner, aber so, dass der Partner fast
überflüssig wird oder nur Requisite im Drehbuch autogynophiler Fantasien ist.
Blanchard hat beobachtet, dass dies insbesondere für autogynophile Fantasien
zutrifft, in denen männliche Partner eine Rolle spielen. Die männliche Figur
ist oft gesichtslos oder abstrakt. Sie dient dazu, die Weiblichkeit der
autogynophilen Person zu bestätigen, ist aber kein eigenständiger, begehrenswerter
Partner. Das liegt auch daran, dass Autogynophilie die Anziehung zu anderen,
realen Menschen nicht ausschließt, sondern eher damit zu konkurrieren scheint.
Blanchard hat bisweilen Autogynophilie als eine ‚Orientierung’ und nicht als
Paraphilie bezeichnet.“25
In ihren Fantasien stellen autogynophil-transsexuelle Männer sich vor, dass
sie sexuell penetriert werden. Sie sehen sich also selbst als heterosexuelle
Frau. Viele leben eine Zeitlang als Transvestiten [ziehen Frauenkleidung an],
einige heiraten und haben vielleicht Kinder. Erst später im Leben entscheiden
sie sich, dauerhaft als Frau leben zu wollen. Andere fühlen sich auch nach den
Operationen weiterhin zu Frauen hingezogen und beharren dann darauf, lesbisch
zu sein.
Die meisten heterosexuell empfindenden Transvestiten begnügen sich mit
cross-dressing, nur einige haben den Wunsch nach „geschlechtsumwandelnden“
Operationen. Roy Blanchard stellt die Hypothese auf, dass ein Mann, der „seine
Impulse durch gelegentliches cross-dressing im Privaten oder in der
Gesellschaft anderer Transvestiten befriedigen kann“, in der Regel keine
Geschlechtsumwandlung sucht. Ein Mann, „dessen Fantasie sich in erster Linie
darum dreht, ein weibliches äußeres Genitale zu besitzen“, sucht die
Geschlechtsumwandlung.26
Blanchard schreibt:
„Autogynophilie nimmt unterschiedliche Formen an. Manche Männer fühlen sich
bei dem Gedanken, Frauenkleider zu tragen, sexuell erregt. Daran sind sie am
meisten interessiert. Andere Männer haben die stärkste sexuelle Erregung bei der
Vorstellung, den Körper einer Frau zu haben, und so ist ihr erstes Interesse,
den Körper einer Frau zu erhalten.“27
Der Psychiater Paul McHugh beschreibt aus seiner Erfahrung, weshalb
autogynophil-transsexuelle Männer sich zu den Operationen entschließen:
„Sie finden beim Tragen von Frauenkleidern intensive sexuelle Erregung. Mit
zunehmendem Alter sind sie begierig, ihren Verkleidungen mehr Glaubwürdigkeit
zu verleihen. Deshalb haben sie Operationen gesucht oder es wurde ihnen dazu
geraten…, um dadurch einer Frau ähnlicher zu sehen. Studien in der
psychiatrischen Abteilung des Clark Institute in Toronto
fanden heraus, dass diese Männer sexuelle Erregung verspüren, wenn sie eine
sexuell verführerische Frau nachahmen. Viele von ihnen stellen sich vor, ihre Darstellungen
könnten für Zuschauer, insbesondere für Frauen, sexuell erregend sein.“28
Autogynophil-Transsexuelle hatten in der Regel in der Kindheit keine
GIS. Meist beginnen sie in der Pubertät mit transvestitischem Fetischismus, bei
dem sie weibliche Kleidung, häufig weibliche Unterwäsche, tragen, sei es in der
Fantasie oder in der Realität.
Lawrence bestätigt zwar die erotischen Aspekte der Autogynophilie, ist aber
der Ansicht, dass es auch andere wesentliche Punkte gibt: „Autogynophilie kann
man besser als sexuelle Orientierung, als eine Spielart romantischer Liebe
beschreiben. Es gehören erotische, emotionale und Bindungselemente dazu.“29 Nach Auffassung
von Lawrence möchte der autogynophil-Transsexuelle zu dem werden,
was er liebt: „Zu werden, was man liebt, hat gewöhnlich höchste Priorität.
Andere Aspekte des Lebens – Familie, Freunde, Arbeit – sind meist von
nachgeordneter Bedeutung, zumindest vorübergehend. Bei der Einteilung seiner
Zeit, Energie und Ressourcen räumt der transsexuell Lebende dem
geschlechtsumwandelnden Prozess die Vorrangstellung ein.“30 Die Art von
romantischer Liebe, die Lawrence beschreibt, hat einen ungesunden, zwanghaften,
obsessiven Aspekt, insbesondere wenn das „Liebesobjekt“ das fantasierte Bild
von sich selbst als Frau ist.
Lawrence erkennt aber auch, dass
autogynophil-Transsexuelle „wahrscheinlich ein
größeres Risiko für die
Entwicklung einer narzisstischen Störung“ haben, weil sie „besonders anfällig
sind, Gefühle der Scham zu haben, und auf empfundene Beleidigungen mit
narzisstischer Wut zu reagieren.“31 Lawrence schreibt dies der
Tatsache zu, dass diese Menschen seelisch verwundet sind, weil man sie
behandele als „Männer, die vorgeben, Frauen zu sein“. Lawrence zieht daraus
aber nicht den Schluss, dass aufgrund des Narzissmus und der damit
einhergehenden Wut eine Therapie sinnvoll sein könnte. Vielmehr legt Lawrence
den Ärzten nahe, den Betroffenen keine narzisstischen Verletzungen mehr
zuzufügen. Doch genau das ist schwierig, wie Lawrence zugibt, denn viele
autogynophil-transsexuelle Männer seien als Frauen eben doch nicht überzeugend.
Selbst wenn andere Menschen Akzeptanz ausdrückten, so würden ihre tatsächlichen
Gefühle in Mimik und Körpersprache sichtbar – und Transsexuelle könnten das als
Zurückweisung erleben.
c) Die Grundform bei
Frauen
Der Wunsch nach „geschlechtsumwandelnden“ Operationen, der ursprünglich bei
Frauen selten vorkam, wird immer häufiger. Fast alle Frauen empfinden zunächst
lesbisch. Sie können eine starke maskuline Identifikation haben, das muss aber
nicht sein. Die meisten Frauen mit starker männlicher Identifizierung litten
schon als Kinder an einer Geschlechtsidentitätsstörung (GIS). Sie konnten sich
in ihrer Kindheit nicht mit ihrem Körper und ihrem Mädchensein als etwas Gutem
und Schönem identifizieren. Viele hatten von Anfang an eine unsichere Bindung
an die Mutter, die sie als schwach und verletzt wahrnahmen. Häufig glaubten die
Mädchen, wenn sie Jungen wären, würde ihr Vater sie anerkennen, zumindest aber
könnten sie sich und ihre Mütter dann vor männlicher Aggressivität schützen.
Wie auch Jungen mit GIS hatten sie zumeist keine engen gleichgeschlechtlichen
Freundschaften.
GIS bei Mädchen ist etwas anderes als die viel häufiger vorkommende
„Jungenhaftigkeit“ bei Mädchen („Wildfang“). Bei GIS weigern sich die Mädchen zwanghaft,
Mädchenkleidung zu tragen oder sich an Mädchenspielen zu beteiligen.
Jungenhafte Mädchen mögen für Mädchen untypische Interessen haben, sind aber
insgesamt in ihrem Verhalten flexibler.
Zucker und Bradley beschreiben das Mädchen, das eine GIS entwickelt, als
„ein von seinen Anlagen her leicht verletzbares Kind, das schnell ein hohes Maß
an Ängsten entwickelt“. Hinzu kommt eine Mutter, die Schwierigkeiten mit ihrem
Gefühlsleben hat und möglicherweise während des ersten Lebensjahres des
Mädchens depressiv ist. Häufig liegen Familienkonflikte vor, das Mädchen erlebt
den Vater als respektlos gegenüber der Mutter oder gegenüber Frauen allgemein.
Das Mädchen „erlebt im Konflikt der Eltern eine Mutter, die nicht für sich
selbst einstehen kann“. Wenn das Mädchen dann „mit cross-gender Verhalten
beginnt, um seine Ängste zu verringern“, reagiert die Mutter meist positiv, da
sie glaubt, das männliche Verhalten wird ein Schutz für die Tochter sein. Möglicherweise
ermutigt auch der Vater zu cross-gender Verhalten. „Durch Identifikation mit
dem Aggressor kann das Mädchen die Fantasie entwickeln, Mutters Beschützerin zu
sein.“32 In manchen Fällen erinnern sich Frauen mit GIS, dass der Vater fortwährend
Frauen abwertete, insbesondere die Mutter.
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