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Geschrieben
und Bearbeitet von Nikita Noemi Rothenbächer 2016
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Die Gesellschaft hat
Probleme damit, den richtigen Umgang mit intersexuellen Menschen zu finden.
Gott soll
den Menschen als Mann und Frau erschaffen haben – aber ganz so einfach ist es
wohl doch nicht. Rund 100.000 Menschen gelten in Deutschland als intersexuell:
Seit zwei Jahren befasst sich der Ethikrat mit dem Phänomen Intersexualität und
will nun die Ergebnisse seiner Untersuchungen und Diskussionen vorstellen.
Simon Zobel
hat schon mit dem Begriff "intersexuell" Probleme. Er will nicht als
"irgendwie dazwischen" definiert werden, deswegen gefallen ihm auch
Begriffe wie Zwitter nicht. Er bezeichnet sich als mehrdeutig geschlechtlich.
Klinischerseits wird Intersexualität 'DSD' genannt: Disorder of Sex Development,
eine Funktionsstörung der Geschlechtsentwicklung.
"Ich
gebe nicht gerne Auskunft über meine geschlechtlichen Ausstattungen. Das finde
ich etwas unter der Gürtellinie."
Das Einzige,
was Simon Zobel verrät: Er weise körperliche Mehrdeutigkeiten der Geschlechtsorgane
auf. Schon als Kind habe er gespürt, dass er sich mit der Jungenrolle nicht so
eindeutig identifizieren konnte:
"Ich
habe diese Rollenstrukturen stark hinterfragt, und ich glaube, weil meine
Eltern bei mir etwas gespürt haben, haben sie sehr stark darauf gedrängt, dass
ich mich sehr rollenkonform verhalte. Wo der Körper Veranlassung gab zu
Fragezeichen, wurde der Druck hin zu einem bestimmten Genderverhalten um so
stärker, und das war bei mir prägend."
In der
Pubertät wurde für ihn die Frage der eigenen Körperlichkeit und
Geschlechtsidentität immer wichtiger. Doch er hatte Angst, für sich selbst die
Frage zu beantworten, ob er intersexuell sei:
"Wenn
man etwas erfahren konnte, dann waren das immer sehr pathologisierende
Begriffe, Syndrome, die man im internationalen Katalog der Krankheiten fand,
und man kann sich ja vorstellen, wie das für einen jungen Menschen ist, wenn
man sich dann überlegt, in welches von diesen Syndrömchen passe ich denn. Es
gab ja keine positive Umgehensweise mit dem Thema: Das ist sehr stark besetzt
mit Mutation, mit Alien, mit Krankheit. Ich dachte, ich will nie und nimmer so
sein."
Viele
Intersexuelle leiden bis heute unter den schlimmen Erfahrungen, die sie als
Kinder mit Ärzten machen mussten. Zahlreiche Mediziner versuchen bis heute, den
Kindern operativ oder mit permanenten Hormonbehandlungen ein eindeutiges
Geschlecht zu verpassen. Da sind Hoden oder Eierstöcke entfernt oder eine
vermeintlich zu große Klitoris beschnitten worden.
Auch wenn
Simon Zobel erst spät von diesen Eingriffen bei Intersexuellen erfuhr, war ihm
schon als Jugendlicher klar, dass er eine intensive ärztliche Untersuchung
möglichst vermeiden wollte:
"Auf
keinen Fall wollte ich ins Krankenhaus, weil ich vermutete, wenn ich irgendwie
unters Messer komme, dass dann etwas gemacht wird."
Der
katholische Moraltheologe Eberhard Schockenhoff kennt solche Berichte von
Intersexuellen. Als Mitglied des Ethikrats hat er viele bewegende Schilderungen
von Zwangsbehandlungen und Verstümmelungen gehört:
"Der
Zwang, sich zu einer geschlechtlichen Identität zu bekennen, von der man weiß,
dass sie nicht stimmt, dass es nicht die eigene ist, das ist tatsächlich eine
erhebliche Diskriminierung."
Michael
Wunder ist ebenfalls Mitglied des Ethikrates. Wunder arbeitet als Psychologe in
der evangelischen Stiftung Alsterdorf in Hamburg. Er weist darauf hin, dass in
bestimmten Fällen von Intersexualität ein medizinischer Eingriff notwendig sein
kann. Allerdings:
"Man
muss nur sagen, dass die Hürde für Operationen, die die Geschlechtsidentität
verändern und möglicherweise auch die Fruchtbarkeit verhindern, da muss die
Hürde so hoch sein, dass solche Operationen im Kindesalter nur in diesen
vitalen Indikationsfällen gegeben werden dürfen."
Fehlt solch
ein lebensnotwendiger Grund, dann sollten Eltern und Mediziner bis nach der
Pubertät abwarten, sodass die intersexuelle Person selbst entscheiden könne, ob
sie eine Anpassung an ein bestimmtes Geschlecht wolle oder nicht. Michael
Wunder hat in den Gesprächen mit Intersexuellen festgestellt, dass manche sich
sowohl männlich als auch weiblich fühlen, andere als weder männlich noch
weiblich; und eine dritte Gruppe sich als etwas ganz anderes versteht:
"Ich
glaube, wir tun dieser ganzen Sache den größten Gefallen, wenn wir mit großer
Vorsicht den Menschen zuhören, offen sind für jede Differenzierung und jede
Spielart des Selbstverständnisses, und wenn wir sagen: so wie du dich
zuordnest, so ist es in Ordnung."
Michael
Wunder plädiert dafür, dass der Gesetzgeber bei der Geschlechtszuordnung zum
Beispiel im Personenstandsregister eine dritte Kategorie "Anderes"
einführt:
"'Anderes'
würde ja auch nicht diskriminierend sein wie zum Beispiel "nichts"
oder "keines", es handelt sich ja um eine Geschlechtlichkeit, nur um
eine andere Geschlechtlichkeit."
Zu Beginn
der Bibel, im Buch Genesis, ist zu lesen:
"Gott
schuf den Menschen als sein Ebenbild; nach Gottes Bild erschuf er ihn; als Mann
und Frau schuf er sie."
Der
Moraltheologe Eberhard Schockenhoff weiß spätestens seit den Diskussionen im
Ethikrat, dass die biblische Eindeutigkeit zu kurz greift; dass es neben Mann
und Frau noch etwas Drittes gibt, deren Existenz noch immer tabuisiert wird.
Und er weiß, dass gerade die katholische Kirche nicht gern an Tabus rührt, die
mit Sexualität zu tun haben. Das gelte beim Thema Intersexualität aber nicht
nur für seine Kirche, sagt Schockenhoff:
"Natürlich
tut sich unsere Gesellschaft in allen Bereichen damit schwer, weil das
Anderssein in so einem intimen Bereich erfordert in der Wahrnehmung eine
besondere Sensibilität. Das ist für alle Menschen eine Aufforderung zum
Umdenken, dass man ihnen mit besonderer Rücksichtnahme begegnet und dass dort,
wo man das als ein Recht anerkennt, auch bereit sein muss, dass in der
Rechtsordnung zu tun."
Noch ist die
öffentliche Debatte um Zwitter und Hermaphroditen oft von Unkenntnis und
Unsicherheit geprägt. Der Intersexuelle Simon Zobel berichtet zum Beispiel,
dass im Rahmen der pränatalen Diagnostik Ungeborene, die intersexuelle Merkmale
aufweisen, manchmal abgetrieben werden:
"Je
mehr Möglichkeiten die Medizin hat, das frühzeitig zu erkennen, leider ist es so:
Die Gefahr, dass es schon im Mutterleib behandelt wird, steigert sich
diametral. Und es gibt viele Fälle, wo abgetrieben wird,
Intergeschlechtlichkeit ist noch eine Indikation – und das bis in den siebten,
achten Monat rein."
Der
Psychologe Michael Wunder erhofft sich, dass die Diskussionen im Ethikrat dazu
führen können, dass die Gesellschaft offener mit dem Thema und mit
Intersexuellen umgeht. Michael Wunder – selbst bekennender Homosexueller –
verweist auf die Erfahrungen der Schwulenbewegung. Lange seien Homosexuelle
diskriminiert worden, heute werde es weitgehend als etwas Normales akzeptiert:
"Diese
Art von Normalität, dass man das zwar weiß: es ist eine Aussage über einen
Menschen, aber es ist weder etwas so sensationell Einmaliges noch etwas, wo man
sagen muss: Oh Gott, oh Gott, oh Gott. Das wünsche ich mir für Menschen mit
Intersexualität: Es müsste eigentlich normal sein."
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