Samstag, 2. Juli 2016

Court decisions for Trans Identical people Important to know! /// Gerichtsentscheidungen für Transidentische Menschen Wichtig zu wissen!

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Gerichtsentscheidungen für Transidentische Menschen Wichtig zu wissen!


Gericht: SG Berlin 51. Kammer
Entscheidungsdatum:       15.03.2016
Aktenzeichen:     S 51 KR 2136/13
Dokumenttyp:     Urteil

Leitsatz
1. Die Krankenkasse hat die durch die Behandlung eines hinreichend qualifizierten nichtärztlichen Behandlers entstehenden Kosten für bei vorliegendem Mann-zu-Frau-Transsexualismus erforderliche Bartepilationsbehandlungen durch Nadelepilation zu tragen, wenn kein Arzt/keine Ärztin gefunden werden kann, der/die zu einer entsprechenden Behandlung bereit wäre.

2. In einem solchen Fall liegt ein Systemversagen vor, das dazu führt, dass die Behandlung - trotz Arztvorbehalt - auch von einem nichtärztlichen Behandler, der die Gewähr für eine mindestens gleichwertige Versorgung bietet, auf Kosten der Krankenkasse durchgeführt werden kann, weil bei der Bartepilation durch Nadelepilation weder diagnostischen Schwierigkeiten bestehen noch die Behandlung selbst nennenswerte gesundheitsgefährdende Komplikationsrisiken in sich birgt.

Tenor
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 19. Oktober 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. September 2013 verurteilt, der Klägerin einen Betrag von 2528 EUR sowie weitere, in Zukunft durch Nadelepilationsbehandlung zur Entfernung der Barthaare durch eine entsprechend qualifizierte Kosmetikerin/einen entsprechend qualifizierten Kosmetiker (z.B. Frau B.) entstehende Kosten zu erstatten.

Die Beklagte erstattet der Klägerin ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten.

Tatbestand
1
Die Beteiligten streiten über einen Anspruch der Klägerin auf Erstattung von Kosten für Nadelepilationsbehandlungen zur Entfernung von Barthaaren durch eine Kosmetikerin in Höhe von insgesamt 2528 EUR sowie den Anspruch auf Erstattung solcher in Zukunft noch entstehenden Kosten.

2
Bei der Klägerin liegt eine Mann-zu-Frau-Transsexualität vor. Seit Juli 2012 ist die Vornamens- und Personenstandsänderung rechtskräftig.

3
Im August 2012 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Übernahme der Kosten für geschlechtsangleichende Operationen sowie für Nadelepilationsbehandlungen. Sie fügte dem Antrag unter anderem einen Kostenvoranschlag einer Elektrologistin und Heilpraktikerin (Frau B.) bezüglich durchzuführender Nadelepilationsbehandlungen bei.

4
Die Beklagte lehnte den Antrag auf Kostenübernahme von Nadelepilationsbehandlungen mit Bescheid vom 19. Oktober 2012 ab. Die Epilation durch Elektrokoagulation im Gesicht und an den Händen bei krankhaftem und entstellendem Haarwuchs falle in den Bereich der vertragsärztlichen Versorgung und könne somit generell vom Kassenarzt erbracht werden. Die kassenärztliche Vereinigung sei grundsätzlich für die Sicherstellung der ärztlichen Behandlung und somit für die Verfügbarkeit von Behandlungsmöglichkeiten zuständig. Sie fügte eine Übersicht von Ärzten bei, die nach Angaben der zuständigen kassenärztlichen Vereinigungen Berlin in der Lage seien, die Epilation über die Versicherungskarte abzurechnen. In Berlin stehe hierfür konkret Herr B. B., G.Str. zur Verfügung.

5
Mit Schreiben vom 2. Dezember 2012 wandte sich die Klägerin erneut an die Beklagte und nahm Bezug auf den Bescheid vom 19. Oktober 2012. Sie teilte mit, dass sie den empfohlenen Arzt, Herrn B., inzwischen kontaktiert habe. Sie habe erfahren, dass dieser keine Termine vergeben, die entsprechende Behandlung max. 5 min pro Woche durchführe und der Abrechnungssatz für 5 min bei 8,75 EUR liege. Sie habe zudem von einer Bekannten erfahren, dass diese das Ergebnis der Behandlung durch Herrn B. nicht als zufriedenstellend empfunden habe, weil Narben entstanden sein. Es sei eine Zumutung, dass keine Termine vergeben würden, weil dadurch lange Wartezeiten für eine im Verhältnis gesehen sehr kurze Behandlungszeit entstehen würden. Die Kosmetikerin veranschlage eine Behandlungsdauer von ca. 250 h im Verlauf von 3-4 Jahren mit einer wöchentlichen Behandlungszeit von 180-300 min. Herr B. biete lediglich 5 Minuten wöchentlich an. Dies würde einer Behandlungszeit von 60 Jahren entsprechend. Dies sei ihr nicht zuzumuten. Bei einer solchen Form der Behandlung würden für die Beklagte höhere Kosten anfallen, hinzu kämen noch Kosten für eine psychologische Betreuung, da der aktuell bestehende Leidensdruck dann über die gesamte restliche Lebensspanne der Klägerin andauern würde. Sie beantrage daher eine Einzelfallentscheidung wegen Systemversagens.

6
Mit Schreiben vom 20. Dezember 2012 wertete die Beklagte das Schreiben der Klägerin vom 2. Dezember 2012 als Widerspruch gegen die Ablehnung vom 19. Oktober 2012. Sie teilte mit, dass geklärt werden solle, ob alle rechtlichen Möglichkeiten zu Gunsten der Klägerin ausgeschöpft worden seien. Die Beklagte gab bei dem medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) ein sozialmedizinisches Gutachten in Auftrag. Dieses wurde am 25. Januar 2013 nach Aktenlage erstellt. Begutachtet wurde die Kostenübernahme für geschlechtsangleichende Maßnahmen insgesamt, das heißt inklusive geschlechtsangleichende Operation sowie Epilation von Gesicht und Oberkörper. Im Ergebnis wurde sowohl die geschlechtsangleichende Operation als auch die Epilation der Barthaare als medizinisch notwendig angesehen. Lediglich die Epilation der Brust sei nicht notwendig, da diese mit alltagsüblicher Bekleidung kaschiert werden könne.

7
Die Beklagte übernahm mit Bescheid vom 14. Februar 2013 die Kosten für eine geschlechtsangleichende Operation. Die Übernahme von Kosten für eine Nadelepilation durch eine Heilpraktikerin lehnte die Beklagte jedoch mit Widerspruchsbescheid vom 11. September 2013 unter Hinweis auf den Arztvorbehalt des § 15 Abs. 1 SGB V ab.

8
Die Klägerin nahm im Zeitraum Januar 2013 bis September 2013 bei Frau B. Epilationsbehandlungen für insgesamt 1120 EUR in Anspruch.

9
Die Klägerin hat gegen den Bescheid vom 19. Oktober 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. September 2013 am 14. Oktober 2013 Klage erhoben, mit der sie die Erstattung der bereits angefallenen Kosten sowie die Erstattung von in Zukunft anfallenden Kosten für die Nadelepilation durch eine Heilpraktikerin oder eine ähnlich qualifiziert Person durchsetzen möchte.

10
Der von der Beklagten im Antragsverfahren benannte Arzt Dr. B. hat auf schriftliche Anfrage des Gerichts am 19. September 2014 mitgeteilt, dass er keine Elektrokoagulation mehr vornehme. Bezüglich der Frage, ob nach seiner Kenntnis in Berlin Vertragsärzte die Nadelepilation durchführen, hat er lediglich auf die Zuständigkeit der Kassenärztlichen Vereinigung hingewiesen und darauf hingewiesen, dass die Nadelepilation nicht zu den Kernleistungen der Dermatologie gehöre und daher von Vertragsärzten nicht angeboten werden müsse. Hinter der abrechenbaren EBM-Position würden vollkommen verschiedene Leistungen gehören, so dass von der Abrechnung der Position nicht auf die erbrachte Leistung geschlossen werden könne.

11
Die Kassenärztliche Vereinigung hat auf gerichtliche Nachfrage mit Schreiben vom 10. März 2015 und 15. April 2015 mitgeteilt, ein konkreter Arzt, der Nadelepilation bezüglich Barthaaren durchführe, sei nicht bekannt. Wegen der Gestaltung der Gebührenposition könne nicht ermittelt werden, welche Praxen allein die Epilation durch Elektrokoagulation abrechnen. Da die Gebührenposition nur einmal am Tag abrechenbar sei, bis zum Eintreten des Behandlungserfolges aber eine Vielzahl an Einzelbehandlungen erforderlich sei, ergebe sich eine Behandlungsdauer, die für den jeweiligen Patienten unzumutbar sei. Daher werde nach dortigem Kenntnistand bei den Kostenträgern häufig um eine Übernahme der Kosten außerhalb des EBM gebeten.

12
Die Beklagte hat auf die Aufforderung des Gerichts vom 9. Juli 2015, konkrete Privatärzte in Berlin und Umgebung zu benennen, die die begehrte Epilation durchführen könnten, mit Schreiben vom 16. September 2015 ein Schreiben der Ärztekammer Berlin vom 10. September 2015 vorgelegt, in welchem diese bezüglich einer möglichen privatärztlichen Behandlung durch Nadelepilation lediglich auf die online-Arztsuche der Kassenärztlichen Vereinigung verwiesen hat.

13
Auf die Aufforderung des Gerichts an die Beklagte vom 22. September 2015, konkrete Ärzte zu benennen, die die begehrte Behandlung tatsächlich anbieten, hat die Beklagte lediglich ein neuerliches Schreiben der Kassenärztlichen Vereinigung vom 15. Oktober 2015 vorgelegt, welches dem Schreiben vom 10. März 2015 weitgehend gleicht. Ein konkreter Arzt wird darin nicht benannt. Es wird darauf hingewiesen, dass hinsichtlich der Leistungserbringung der Epilation durch Elektrokoagulation keine Beschwerden und damit auch keine Sicherstellungsprobleme bekannt seien.

14
Die Klägerin hat im Dezember 2015 erneut bei Frau B. Epilationsbehandlungen im Umfang von 654 Minuten für insgesamt 1398 EUR in Anspruch genommen.

15
Sie trägt vor, dass sie von der Beklagten auch auf telefonische Nachfrage nach möglichen Behandlern nur Herrn B. benannt bekam. Auch eine eigene intensive Internetrecherche sei ergebnislos verlaufen.

16
Die Klägerin beantragt,

17
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 19. Oktober 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. September 2013 zu verurteilen, ihr einen Betrag von 2528 EUR sowie weitere, in Zukunft durch Nadelepilationsbehandlung zur Entfernung der Barthaare durch eine entsprechend qualifizierte Kosmetikerin/einen entsprechend qualifizierten Kosmetiker (z.B. Frau B.) entstehende Kosten zu erstatten.

18
Die Beklagte beantragt,

19
die Klage abzuweisen.

20
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der zum Gegenstand der Beratung und Entscheidung der Kammer gemachten Prozessakte und der Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.

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Entscheidungsgründe
21
Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 1 S. 1 und Abs. 4 SGG zulässig und begründet.

22
Die Klägerin hat einen Anspruch nach § 13 Abs. 3 SGB V auf Erstattung der durch Nadelepilationsbehandlung zur Entfernung der Barthaare durch eine entsprechend qualifizierte Kosmetikerin/einen entsprechend qualifizierten Kosmetiker bereits entstandenen und in Zukunft noch entstehenden Kosten.

23
Das Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung ist grundsätzlich bestimmt von dem in § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V verankerten Sachleistungsprinzip. Danach erhalten die Versicherten „die Leistungen als Dienst- und Sachleistungen“ d.h. als Naturalleistung und damit – abgesehen von gesetzlichen Zuzahlungsregelungen – grundsätzlich kostenfrei, vorfinanzierungslos und risikolos. Die Verschaffungspflicht von Naturalleistungen gewährleistet, dass der Versicherte eine notwendige Leistung der Krankenbehandlung erhält, ohne sie sich selbst erst beschaffen und insbesondere ohne bei ihrer Inanspruchnahme eine unmittelbare finanzielle Gegenleistung erbringen zu müssen (BSG, Urt. v. 18.07.2006, Az. B 1 KR 24/05 R, m.w.N., zit. nach juris). Von diesem Sachleistungsprinzip darf nur in gesetzlich bestimmten Ausnahmefällen abgewichen werden.

24
Anspruchsgrundlage einer solchen (ausnahmsweise) zu gewährenden Kostenerstattung für selbst beschaffte Leistungen ist § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V.

25
§ 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V lautet: „Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war.“

26
§ 13 Abs. 3 S. 1 SGB V erfasst damit Fälle des sogenannten Systemversagens des Leistungserbringungsrechts (so zB Joussen in: Beck´scher Onlinekommentar, § 13 SGB V., 40. Auflage, Stand 1.12.2015, Rz. 14 mwN). Dort heißt es weiter: „Sie [die Krankenkassen] haben durch das System des Leistungsrechts einen Sicherstellungsauftrag übertragen bekommen. Sie müssen sicherstellen, dass dem Versicherten im Bedarfsfall Leistungserbringer zur Verfügung stehen, die die Sach- oder Dienstleistungen, die die Kasse ihrem Mitglied erbringen muss, auch tatsächlich erbringen können. Kommt die Kasse dieser Verpflichtung nicht nach und muss der Versicherte sich daher selber um die Leistungen bemühen, entsteht ihm dadurch in Höhe der von ihm geleisteten Kosten ein Schaden. Diesen hat die Kasse dann zu ersetzen, auf Grund des ihr übertragenen Sicherstellungsauftrages auch verschuldensunabhängig.“

27
Ein solcher Fall des § 13 Abs. 1 S. 1 Alternative 1 SGB V liegt hier vor. Die Beklagte konnte eine (unaufschiebbare) Leistung nicht (rechtzeitig) erbringen. Ein Fall, in dem die Krankenkasse eine Leistung, auf die ein Anspruch besteht, im Sachleistungssystem (mangels Vorhandenseins bzw. Auffindbarkeit eines zur Leistung bereiten vertraglichen Leistungserbringers) überhaupt nicht erbringen kann, ist als Fall der nicht rechtzeitigen Leistungserbringung anzusehen, bei dem dem Tatbestandsmerkmal „unaufschiebbar“ jedoch keine eigenständige Bedeutung zukommt, da dem Versicherten ein unbegrenztes oder jedenfalls zeitliches völlig ungewisses Aufschieben der Verwirklichung seines Leistungsanspruches nicht zuzumuten ist.

28
Die Klägerin hat vorliegend einen Anspruch auf die begehrten Epilationsbehandlungen (dazu unten Ziffer 1)), die Beklagte kann die Leistung im Sachleistungssystem nicht erbringen (dazu unten Ziffer 2)). Der Inanspruchnahme einer entsprechend qualifizierten Kosmetikerin bzw. einem aus einer solchen Inanspruchnahme resultierenden Kostenerstattungsanspruch steht auch der Arztvorbehalt des § 15 Abs. 1 S. 1 SGB V nicht entgegen (dazu unter Ziffer 3)).

29
1) Der Anspruch der Klägerin auf die begehrten Epilationsbehandlungen – der zwischen den Beteiligten im Übrigen nicht streitig ist – ergibt aus § 27 Abs. 1 S. 1 SGB V (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 11. September 2012, Az: B 1 KR 3/12 R, juris, dort Rz 10ff). Bei einem vorliegenden Transsexualismus ist die Grenze bzw. das erforderliche Ausmaß der Behandlungen zur Veränderung des Erscheinungsbildes dabei danach zu bestimmen, dass ein Zustand erreicht wird, der aus Sicht eines verständigen Betrachters dem Erscheinungsbild des empfundenen Geschlechts deutlich angenähert ist (vgl. Bundessozialgericht aaO, Rz 21-23). Ein männlicher Bartwuchs im Gesicht stünde einer solchen deutlichen Annährung an ein weibliches Erscheinungsbild aber entgegen. Der Medizinische Dienst der Krankenkassen hat deshalb in seinem Gutachten vom 25. Januar 2013 einen entsprechenden Anspruch der Klägerin bezüglich der Bartepilation auch festgestellt.

30
2) Die Beklagte kann die begehrte Behandlung im Sachleistungssystem nicht erbringen. Denn Ein ärztlicher Behandler steht im Raum Berlin nicht zur Verfügung bzw. ist nicht auffindbar. Die Beklagte hat der Klägerin zur Erfüllung ihres Leistungsanspruches lediglich einen Arzt benannt, der auf Befragung durch das Gericht mitgeteilt hat, dass er eine entsprechende Behandlung nicht mehr durzuführe. Die Klägerin hat nach eigenen Angaben eine Internetrecherche intensiv aber ergebnislos betrieben. Die Ermittlungen des Gerichts bezüglich zur Verfügung stehenden Ärzten durch Nachfrage bei dem von der Beklagten angegebenen Arzt und der Kassenärztlichen Vereinigung hat keinen konkreten, behandlungsbereiten Arzt ergeben. Auch die Beklagte hat im gerichtlichen Verfahren nach entsprechender Aufforderung des Gerichts keinen konkreten Arzt benennen können, obwohl sie ausweislich des Schriftsatzes vom 3. September 2015 bei der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin, dem Berufsverband Deutscher Dermatologen und bei der Ärztekammer um Unterstützung gebeten hatte.

31
Bei dieser Sachlage ist von einem Systemversagen auszugehen, welches zu einem Erstattungsanspruch bezüglich von Behandlungskosten bei einem ausreichend qualifizierten nichtärztlichen Behandler führt (vgl. Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 8. Mai 2014, Az: L 16 KR 453/12, juris, Rz 49 und SG Düsseldorf, Urteil vom 11.12.2007, Az: S 4 KR 78/07, juris, Rz 22, SG Mannheim, Urteil vom 27.03.2015, Az. S 9 KR 3123/14., juris, Rz 33).

32
Die Kammer sieht sich in ihrer Annahme einer ärztlichen Versorgungslücke bezüglich der Bartepilation auch dadurch bestätigt, dass bereits in den „Grundlagen zur Begutachtung bei Geschlechtsangleichenden Maßnahmen“ des GKV-Spitzenverbandes und des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen vom 19.5.2009 (dort auf Seite 20) darauf hingewiesen wird, dass häufig ein ärztlicher Behandler nicht zu finden ist und daher die Leistungen auch in spezialisierten außervertraglichen Einrichtungen angeboten werden. Dort heißt es: „Angesichts des Behandlungsumfangs kommt es bei der praktischen Umsetzung einer intensiven Epilation bei Mann-zu-Frau Transsexuellen im vertragsärztlichen Rahmen erfahrungsgemäß zu Schwierigkeiten. Beispielsweise treten dahingehend Probleme auf, dass Ärzte die Leistung im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung nicht im notwendigen Umfang erbringen, z. B. weil die EBM-Bewertung den Aufwand nicht decken würde. Die Epilation wird zudem bei Mann-zu-Frau Transsexuellen auch in entsprechend spezialisierten, außervertraglichen (kosmetischen) Einrichtungen angeboten. Der Gutachter beurteilt deshalb nur die medizinische Notwendigkeit.“

33
3) Dem Kostenerstattungsanspruch der Klägerin steht auch nicht der Arztvorbehalt des § 15 Abs. 1 S. 1 SGB V entgegen. Danach werden ärztliche Behandlungen von Ärzten erbracht. Diese Vorschrift steht aber in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem ja das Systemversagen gerade darin begründet liegt, dass sich ein ärztlicher Behandler für die Behandlung, auf die ein Anspruch besteht, nicht finden lässt, einem Kostenerstattungsanspruch nicht entgegen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn – wie hier – eine Leistung betroffen ist, die von ihrer medizinischen Komplexität her nur dem Randbereich der (hautfach)ärztlichen Tätigkeit zuzuordnen ist und die ganz überwiegend von fachlich auf dieses Gebiet spezialisierten und entsprechend qualifizierten Personen (Kosmetikern bzw. Elektrologisten) angeboten wird (so auch Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen aaO, Rz 49).

34
Soweit das Landessozialgericht Baden-Württemberg in seinem Urteil vom 27.01.2009, L 11 KR 3126/08, juris, Rz 25ff, insbesondere 28) dies insbesondere im Hinblick darauf, dass der Kostenerstattungsanspruch nicht weiter reiche als der entsprechende Sachleistungsanspruch, sowie in Hinblick auf die Vorschrift des § 13 Abs. 2 S. 5 und 6 SGB V (im Urteil des Landessozialgerichts aufgrund der damaligen Fassung des § 13 Abs. 2 SGB V bezeichnet als S. 6 und 7) anders beurteilt hat, folgt dem die Kammer aus folgenden Gründen nicht:

35
Richtig ist zwar, dass der Kostenerstattungsanspruch nicht weiter reicht als der entsprechende Sachleistungsanspruch. Er setzt voraus, dass die selbst beschaffte Leistung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in natura als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 8. Mai 2004, Az: B 1 KR 21/02 R, juris, Rz 13). Vorliegend ist die Behandlung der Nadelepilation aber von einer EBM-Position erfasst und damit Teil der von den Krankenkassen in natura zu erbringenden Dienstleistungen. Die Grenzen des Sachleistungsanspruches sind damit bezüglich der Behandlungsmethode eingehalten.

36
In Hinblick auf den Arztvorbehalt des § 15 Abs. 1 S. 1 SGB V ist zu beachten: Gerade die Vorschrift des § 13 Abs. 2 S. 5 und 6 SGB V zeigt nach Auffassung der Kammer, dass in bestimmten Fällen ärztliche Leistungen auch ausnahmsweise von nichtärztlichen Dienstleistern erbracht werden können.

37
§ 13 Abs. 2 S. 5 und 6 SGB V lauten:

38
„Nicht im Vierten Kapitel genannte Leistungserbringer dürfen nur nach vorheriger Zustimmung der Krankenkasse in Anspruch genommen werden. Eine Zustimmung kann erteilt werden, wenn medizinische oder soziale Gründe eine Inanspruchnahme dieser Leistungserbringer rechtfertigen und eine zumindest gleichwertige Versorgung gewährleistet ist.“

39
Zwar enthält die Gesetzesbegründung zu § 13 Abs. 2 S. 5 und 6 SGB V (damals S. 3 und 4, BT-Drs. 15/1525, S. 80 zu Nr. 4 a) aa)) folgenden Passus: „Nicht im Vierten Kapitel genannte Berufsgruppen, die nicht die dort aufgeführten Voraussetzungen zur Teilnahme an der Versorgung der Versicherten zu Lasten der Krankenkassen erfüllen, wie z. B. Heilpraktiker, können auch weiterhin nicht in Anspruch genommen werden.“

40
Allerdings findet diese (erhebliche) Einschränkung aus der Gesetzesbegründung in dem Gesetzeswortlaut keine eindeutige Entsprechung. Der Gesetzgeber hat im Gesetzestext bezüglich der Qualitätssicherung allein darauf abgestellt, dass eine zumindest gleichwertige Versorgung gewährleistet sein muss. Dies mag in Fällen, in denen komplexe medizinische Behandlungen im Raum stehen, im Zusammenhang mit der Gesetzesbegründung so zu lesen sein, dass von einer gleichwertigen Versorgung nur ausgegangen werden kann, wenn der jeweilige Leistungserbringer vom System her den Qualitätssicherungsanforderungen des Vierten Kapitels unterworfen ist. In Fällen einfacher Behandlungen, in denen weder diagnostische Schwierigkeiten bestehen noch die Behandlung selbst nennenswerte gesundheitsgefährdende Komplikationsrisiken in sich birgt, kann diese Anforderung jedoch nicht in den Wortlaut hineingelesen werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Anspruch auf die Behandlung gerade ohne Inanspruchnahme eines nichtärztlichen Behandlers überhaupt nicht realisierbar wäre. In solchen Fällen muss eine zumindest gleichwertige Versorgung schon dann angenommen werden, wenn der konkret im Raum stehende Leistungserbringer persönlich aufgrund seiner Qualifizierung und Berufserfahrung die Gewähr für eine gleichwertige Versorgung bietet.

41
Auch der GKV-Spitzenverband und der Medizinische Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen scheinen im Übrigen nicht davon auszugehen, dass eine Durchführung der Bartepilation zu Lasten der Krankenkassen durch spezialisierte außervertragliche kosmetischen Leistungserbringer gegen den Arztvorbehalt verstoßen würde. In den oben genannten Begutachtungsrichtlinien heißt es auf Seite 20: „Die Epilation wird zudem bei Mann-zu-Frau Transsexuellen auch in entsprechend spezialisierten, außervertraglichen (kosmetischen) Einrichtungen angeboten. Der Gutachter beurteilt deshalb nur die medizinische Notwendigkeit.“ Offensichtlich soll die Entscheidung über den Behandler (ganz im Sinne der hiesigen Lesart des § 13 Abs. 2 S. 6 SGB V) dem sachgerechten Ermessen der Kasse überlassen bleiben, ohne dass eine Behandlung in kosmetischen Spezialeinrichtungen von vornherein ausgeschlossen sein soll.

42
Die Kammer hat im vorliegenden Fall keinerlei Zweifel, dass die Qualität der Behandlung durch die von der Klägerin gewählte Behandlerin Frau B. zumindest die Qualität einer entsprechenden (hautfach)ärztlichen Versorgung erreicht. Frau B., die eine auf die Elektroepilationsbehandlung spezialisierte Firma betreibt (Firmenname „E.“), absolvierte ausweislich ihres Internetauftrittes im Jahr 1982 ihre Ausbildung zur Arzthelferin und arbeitet noch heute unter anderem als Arzthelferin. Sie hat zudem eine Ausbildung als Heilpraktikerin. Seit 2001 hat sie eine Ausbildung zur Elektrologistin abgeschlossen und arbeitet seitdem ununterbrochen als Elektrologistin. Sie verfügt damit über mehr als zehn Jahre entsprechender Berufserfahrung. Es bestehen vor diesem Hintergrund keine Zweifel, dass die hier strittige Bartepilation durch die von der Klägerin gewählte Behandlerin eine zumindest gleichwertige Versorgung im Vergleich zu einer Bartepilation durch einen Hautarzt darstellt. Letzterer dürfte im Gegenteil im Regelfall wenig praktische Erfahrung im Bereich der Eletrokoagulation besitzen und bei dieser Behandlung, bei der die praktische Geschicklichkeit von großer Bedeutung ist, im Regelfall nicht zwingend die Gewähr für eine optimale Behandlung bieten.

43
Wegen der erforderlichen weiteren Behandlungen war die Beklagte (dem klägerischen Antrag entsprechend) auch bereits jetzt durch Urteil zur Erstattung entsprechender in Zukunft anfallender Kosten zu verurteilen.

44
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt hier dem Ausgang in der Sache. Gründe für eine abweichende Verteilung der Kostenlast sind vorliegend nicht erkennbar.

45
Die Berufung bedurfte nicht der Zulassung nach § 144 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 SGG. Denn der Wert des Beschwerdegegenstandes liegt nicht unter 750 EUR.

Quelltext: http://www.gerichtsentscheidungen.berlin-brandenburg.de/jportal/portal/t/1e8m/bs/10/page/sammlung.psml;jsessionid=A11843B5C08A4E13E29F27C300DE3114.jp15?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=1&fromdoctodoc=yes&doc.id=JURE160010029&doc.part=L&doc.price=0.0#focuspoint

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