Freitag, 8. Juli 2016

Geschlechtsumwandlung und Zwangsscheidung: zwei bahnbrechende Klärungen des italienischen Verfassungsgerichtshofes /// Gender reassignment and forced divorce: two groundbreaking clarifications of the Italian Constitutional Court

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Geschrieben und Bearbeitet von Nikita Noemi Rothenbächer 2016

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Geschlechtsumwandlung und Zwangsscheidung: zwei bahnbrechende Klärungen des italienischen Verfassungsgerichtshofes

Gender reassignment and forced divorce: two groundbreaking clarifications of the Italian Constitutional Court

Die italienische Gesetzgebung sieht die gleichgeschlechtliche Ehe nicht vor. Genausowenig gibt es aber eine Regelung von Lebenspartnerschaften homosexueller Paare. Diese haben demzufolge keine Möglichkeit, eine eingetragene Partnerschaft zu führen, die in irgendeiner Form vom Staat anerkannt ist und in der die Vermögens-, Erb- und Fürsorgeverhältnisse geregelt werden, außer sie umgehen das Gesetz mithilfe „zwielichtiger“ Strategien: Etwa indem sie privatrechtliche Verträge abschließen oder sich in eigens dazu bestimmte, aber wenig bedeutsame Register in einigen Gemeinden eintragen lassen.

Trotz zahlreicher Gesetzesinitiativen zur Einführung eingetragener Lebenspartnerschaften (besonders während der Legislaturperiode von 2006 bis 2008 stand man kurz vor der Verabschiedung eines entsprechenden Gesetzes) fanden diese keinen Eingang in das italienische Recht. Italien bleibt damit einer der letzten Staaten der Europäischen Union, in denen gleichgeschlechtlichen Paaren sowohl die Eheschließung als auch die Eintragung der Lebenspartnerschaft verwehrt werden.

Die Situation könnte sich mit dem diesbezüglichen jüngsten, bahnbrechenden Urteil des italienischen Verfassungsgerichtshofes (itVerfGH, Nr. 170 vom 11. Juni 2014) endlich ändern. Auslöser der Diskussion war ein Fall, wie er sich in Vergangenheit bereits auch in anderen Ländern ereignet hatte: Ein verheirateter Mann unterzieht sich mit der Einwilligung der Ehefrau einer Operation zur Geschlechtsumwandlung. Wie von einem Gesetz aus dem Jahr 1982 vorgesehen, wendet sie sich, jetzt als Frau, an das Oberlandesgericht in Bologna zur Richtigstellung der Geschlechtszugehörigkeit, da sie nur auf diese Weise vollständig als Frau anerkannt werden kann. Unmittelbar nach dem Richterspruch zwingt der Standesbeamte das Paar jedoch dazu, sich scheiden zu lassen. Das genannte Gesetz sieht nämlich vor, dass mit dem Urteil zur Richtigstellung der Geschlechtszugehörigkeit die Ehe automatisch aufgelöst wird, wobei dem Ehepartner nicht einmal das Recht auf Einspruch gegen die Eheauflösung gewährt wird. Die Frage der Verfassungsmäßigkeit wird vom Kassationsgerichtshof im Wege eines Normenkontrollverfahrens aufgeworfen.

Im Rahmen seines Urteils klärt der Verfassungsgerichtshof insbesondere zwei Aspekte, wobei er im Einklang mit der eigenen bisherigen Rechtsprechung bleibt, aber die Rahmenbedingungen klarer regelt.

Der erste Aspekt strebt nach einer eindeutigen Interpretation bezüglich der Ehe zwischen Personen des gleichen Geschlechts. Der Verfassungsgerichtshof stellt fest, dass die italienische Verfassung so auszulegen ist, dass diese Form der Ehe nicht erlaubt ist. Es handelt sich hierbei um eine konservative Auslegung, die in erster Linie auf historischen Elementen und auf der Wahrnehmung der Mehrheit innerhalb der Lehre und besonders innerhalb der Politik basiert. Dass die Mitglieder der verfassungsgebenden Kommission im Jahr 1947 dabei nur das Bild der traditionellen, heterosexuellen Familie im Kopf haben, steht außer Frage. Es gilt jedoch zu bezweifeln, dass der Ausschluss von homosexuellen Paaren von der Möglichkeit der Ehe die korrekteste Auslegung der Verfassung ist. Der Wortlaut des Artikels 29 der italienischen Verfassung ist nämlich sehr weitschweifig und allgemein gefasst, womit er sich besonders dazu eignen müsste, sich gemeinsam mit der Gesellschaft weiterzuentwickeln: Es ist nämlich von der Familie als „eine natürliche, auf die Ehe gegründete Gemeinschaft“ die Rede, wobei die Ehe nicht weiter definiert ist, sondern nur die „moralische und rechtliche Gleichstellung der Ehegatten“ festgelegt wird. Der Verfassungsgerichtshof schließt jedoch, teilweise entgegen einem früheren Urteil (itVerfGH, Nr. 138/2010), jegliche Hypothese einer evolutiven Auslegung aus.

Daher ließe sich daraus schließen, dass der Verfassungsgerichtshof dieses Gesetz für nichtig erklären könnte, falls ein einfaches Gesetz die Ehe zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern vorsehen sollte.

Der zweite Aspekt in der Argumentation des Verfassungsgerichtshofes betrifft die Verhältnismäßigkeit und die Interessensabwägung. Fest steht, dass das Gesetz Nr. 164/1982 (Bestimmungen zur Richtigstellung der Geschlechtszugehörigkeit) den Art. 29 der italienischen Verfassung nicht verletzt und dass es demnach laut Verfassung rechtmäßig ist, die Zwangsscheidung im Falle der Geschlechtsumwandlung einer der Ehepartner vorzusehen. Jedoch bleibt die Frage offen, ob eine Regelung angemessen ist, die zur unmittelbaren Aufhebung der Ehe mit all ihren Nebenwirkungen verpflichtet, insbesondere der vermögensrechtlichen Verhältnisse und der Pflicht zur gegenseitigen Fürsorge. Das Gesetz verstößt gegen das Prinzip der Verhältnismäßigkeit und findet kein angemessenes Gleichgewicht „zwischen dem Interesse des Staates, am heterosexuellen Modell der Ehe festzuhalten, einerseits, und den erworbenen Rechten der beiden Ehepartner während ihres vorhergehenden Ehelebens andererseits“. Daher erklärt der Verfassungsgerichtshof das Gesetze für verfassungswidrig, wo es nicht vorsieht, „dass das Urteil zur Richtigstellung der Geschlechtszugehörigkeit von Seiten eines Ehegatten, das die Auflösung der Ehe mit sich bringt, es den Ehepartnern trotzdem ermögliche – sofern beide dies wünschen – eine gesetzlich geregelte Beziehung in Form einer eingetragenen Partnerschaft aufrechtzuhalten, die die Rechte und Pflichten des Paares schützt gemäß der Bestimmungen, die vom Gesetzgeber noch festzulegen sind“.

Die Grenzen, die der Verfassungsgerichtshof bezüglich des Rechts auf Achtung des Familienlebens gleichgeschlechtlicher Paare vorsieht, sind somit eindeutig: Die Verfassung ermöglicht es nicht, das Recht auf Eheschließung auf gleichgeschlechtliche Paare zu übertragen, sondern zwingt den Gesetzgeber dazu, eine Regelung der Beziehungen zwischen diesen Paare einzuführen, die sowohl für die seltenen Fälle der Zwangsscheidung wie im vorliegenden Fall gilt als auch für die häufigeren Fälle von Paaren, die auf eine gesetzliche Regelung zählen können sollen, gerade weil ihnen das Recht der Eheschließung verwehrt bleibt.

Abschließend noch eine letzte interessante Anmerkung: Unter anderem hat man sich in der Klage auch auf die EMRK berufen, insbesondere auf die Art. 8 und 12 in der Auslegung von Seiten des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (H. v. Finland, 2012; Schalk and Kopf v. Austria, 2010). In Italien steht die Konvention über dem einfachen Gesetz und unter der Verfassung. Für den Verfassungsgerichtshof ist der Verweis auf die europäische Gesetzgebung in diesem Fall nicht einschlägig, um das Recht auf die homosexuelle Ehe geltend zu machen, denn mangels eines Konsenses zwischen den verschiedenen europäischen Staaten hinsichtlich der homosexuellen Lebenspartnerschaften gilt die Frage des Ermessungsspielraums bei der Wahl eventueller Formen des Schutzes, die angewandt werden können. Während die Berufungen auf die europäische Rechtsprechung bei den Urteilen des Verfassungsgerichtshofes mittlerweile nicht mehr selten sind, sind die ausdrücklichen Verweise auf Präzedenzfälle im Ausland doch eher rar. In diesem Fall hingegen hat sich der Verfassungsgerichtshof ausnahmsweise auf Präzedenzfälle in Deutschland (BVerfG, 1. Senat, Beschluss vom 27. Mai 2008, BvL 10/05) und in Österreich (VerfGH Urt. 17849/2006, vom 8. Juni) berufen, da sich die dortigen Verfassungsgerichtshöfe mit nahezu identischen Fällen befasst hatten. Es ist kein Zufall, dass in Deutschland und in Österreich spezifische Rechtsvorschriften für gleichgeschlechtliche Paare gelten. Diese Verweise auf die Rechtsprechungen im Rahmen der Urteilsfällung scheinen den italienischen Gesetzgeber nicht nur auf die Lösung des Problems hinweisen zu wollen, sondern ebenso auf die ausländischen Regelungen, aus denen er Inspiration schöpfen könnte.


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