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und Bearbeitet von Nikita Noemi Rothenbächer 2017
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Ich habe Ihn, Du auch?
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Ihn Dir den Organspende Ausweis!
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because it is missing in the world!
I
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Diagnose
‚intersexuell‘ – eine genetische Theorie zur Legitimation von
Geschlechtsumwandlungen
Durch die
Realisierbarkeit von Geschlechtsumwandlungen entwickelte sich zunächst die
nicht-diskursive Praxis. Für die Erfüllung transsexueller Wünsche spielten
(differential-) diagnostische und ätiologische Fragen kaum eine Rolle.
Nachdem ab
den 1930er Jahren das Interesse der medizinischen Forschung an den
transsexuellen Experimenten nachgelassen hatte, wurde das Fehlen einer
immanenten Begründung und Legitimation von geschlechtsumwandelnden Eingriffen
deutlich.
Denn einige
Transsexuelle erwiesen sich im Leiden an ihrem Geschlecht als unabweisbar.
Einzelne
Ärzte, die aus Empathie, therapeutischem Pragmatismus oder wissenschaftlicher
Neugierde schließlich diese Wünsche erfüllten, griffen zur Legitimation
derartiger Eingriffe auf eine genetische Theorie der Entstehung sexueller und
geschlechtlicher Zwischenstufen zurück.
Nachdem die
Steinach-Hirschfeld’sche Theorie der hormonellen Determinierung von Geschlecht
und Sexualität allgemein als falsifiziert angesehen worden war, stand diese
parallel entstandene Variante der Bisexualitätstheorie zur Verfügung, die
bereits vor 1920 aus der Zoologie auf den Menschen spekulativ übertragen worden
war.
Das
Paradigma der Geschlechtsdetermination verschob sich vom Keimdrüsen- und
hormonellen Geschlecht zum genetischen Chromosomengeschlecht. Die strategische
Bedeutung dieser genetischen Intersexualitätstheorie für die medizinische
Konstruktion der Transsexualität bestand zunächst einmal darin, die
(Weiter-)Entwicklung der transsexuellen Praxis zu ermöglichen.
Die physischen
und psychischen Folgen solcher Eingriffe wurden nicht als Beweis oder
Widerlegung dieser Theorie diskutiert.
Von
langfristiger Bedeutung war, dass mit dieser Theorie die Hypothese,
transsexuelle Wünsche hätten eine konträrgeschlechtlich kodierte biologische
Ursache, in der Welt war.
Diese Hypothese begründete eine Forschung, die
den Entwicklungsbedingungen von Geschlecht und Sexualität auf der Spur war, und
führte über die mittels ihr legitimierte transsexuelle Praxis zur nosologischen
Konstruktion der Transsexualität.
Die
Ulrichs’sche Metapher einer weiblichen Seele im männlichen Körper, die bereits
seit Anfang des 20. Jahrhunderts weniger als Kollektivsymbol homosexuellen
Begehrens taugte als zu dem einer gegengeschlechtlichen Empfindung, wurde mittels
Goldschmidts Theorie in die Genetik übersetzt, als Hypothese eines konträren
Chromosomengeschlechts.
Die genetische Theorie Richard
Goldschmidts – Erbfaktoren als Erklärungsmodell
sexueller Zwischenstufen
Die Existenz
von das Geschlecht bestimmenden Chromosomen war bei Insekten bereits zu Beginn
des 20. Jahrhunderts und in den folgenden Jahren bei verschiedenen
Säugetierarten und auch beim Menschen nachgewiesen worden.
Es herrschte allerdings Uneinigkeit darüber,
ob sich das männliche Geschlecht genetisch durch ‚XY‘ oder ‚X0‘ bestimmen
lässt.
„Heute [hat]
jede Betrachtung von Geschlechtsproblemen von zwei fundamentalen
Tatsachenkomplexen auszugehen (...), den Tatsachen der Mendelschen Vererbung
und den Beobachtungen über die Geschlechtschromosomen.
Ihre
Quintessenz ist, dass stets das eine Geschlecht in Bezug auf die
Geschlechtsfaktoren ein Bastard ist, das andere nicht (...).“
Goldschmidt,
Biologe und Genetiker am Kaiser-Wilhelm-Institut für Biologie, ging im
Gegensatz zu anderen Forschern noch 1931 davon aus, dass Zellen des einen (beim
Menschen des männlichen) Geschlechts nur ein Geschlechtschromosom (X), die des
anderen, beim Menschen des weiblichen, dagegen zwei besitzen würden (XX), so
dass diese bei der Meiose, dem Teilungsvorgang im Verlauf der
Keimzellenbildung, gleiche Keimzellen, jene aber zwei Arten dieser Zellen
bilden, solche mit und solche ohne Geschlechtschromosom.
Befruchtet
nun ein Spermium ohne Geschlechtschromosom das Ei, wird der Embryo männlich
(X), im anderen Fall, wenn also Samen und Ei je ein Geschlechtschromosom
enthalten, weiblich (XX).
Für die
Vererbung der Geschlechtscharakteristika war für Goldschmidt naheliegend, „dass
das homozygote Geschlecht nur die Charaktere des eigenen, das heterozygote aber
die Charaktere beider Geschlechter enthält“.
Versuche an
Schmetterlingen hätten dies aber widerlegt und gezeigt, dass „jedes Geschlecht
die gesamten Eigenschaften des anderen mit enthält und dass ein besonderes
quantitatives System bestimmt, welche latent und welche patent werden“.
Goldschmidt
hatte verschiedene japanische und europäische Rassen des Schwammspinners mit-
und untereinander gekreuzt und dadurch geschlechtliche Zwischenformen erzeugt,
„die in lückenloser Reihe von einem Weibchen zu einem Männchen und umgekehrt
führen“.
Daraufhin
konstruierte Goldschmidt folgendes Erbfaktorenmodell. Männliche wie weibliche
Individuen enthielten die Erbfaktoren für beide Geschlechter: den
Weiblichkeitsfaktor F und den Männlichkeitsfaktor M. Den Faktor F vermutete er
auf dem Geschlechtschromosom, die Faktoren M auf einem Autosomenpaar. So hätten
beim Menschen weibliche homozygote Individuen beide Faktoren doppelt (MMFF),
männliche heterozygote Individuen dagegen nur einen Weiblichkeitsfaktor (MMF).
Jedem Faktor maß Goldschmidt eine „bestimmte quantitative Wirkungskraft“ bei.
Um eine
normale geschlechtliche Entwicklung zu gewährleisten, dürfe die Potenz des
einen geschlechtlichen Erbfaktors gegenüber der des anderen ein bestimmtes
Minimum nicht unterschreiten. Das Zustandekommen der geschlechtlichen
Zwischenformen bei den Schwammspinner-Versuchen erklärte sich Goldschmidt
dadurch, dass die Geschlechtsfaktoren je nach Rasse unterschiedliche
Potenzwerte haben: so sei bei manchen Kreuzungen dieses Minimum unterschritten
worden und aus diesen „Zwischenfällen (...) sexuelle Zwischenstufen“
entstanden.
Die
Intersexualität der Tiere erstreckte sich nicht nur „auf alle Organe, in denen
Geschlechtsunterschiede bestehen“, wobei „die einzelnen Organe nicht streng
korreliert“ seien. Es seien auch „alle Übergänge im Sexualinstinkt“
festzustellen.
Bei den
„extremen Stufen“ lasse sich schließlich „kein Unterschied mehr zwischen dem
echten Männchen und dem ganz umgewandelten Weibchen finden“ (bzw. umgekehrt).
Die
intersexuelle Entwicklung konstruierte Goldschmidt nicht als eine gleichzeitige
von weiblichen und männlichen Charakteristiken, sondern als eine nacheinander
erfolgende: Intersexe würden „einen Teil ihrer Entwicklung als Weibchen
durchmachen und dann nach dem Drehpunkt die männliche Entwicklung einschlagen
(oder umgekehrt)“.
Je früher
der Drehpunkt, desto vollkommener die Umwandlung.
Aufgrund der
Unmöglichkeit von Züchtungsversuchen beim Menschen konnte für Ludwig Moszkowicz,
einen Schüler Goldschmidts, „für die Anwendbarkeit der Intersexualitätslehre
auf den Menschen nur eine Art Indizienbeweis“ versucht werden.
Er sah aber
keinen Grund „anzunehmen, dass für den Menschen andere Gesetze gelten sollten
als für die höheren Säugetiere“, wie auch Goldschmidt aus der Annahme, dass
„alle prinzipiellen Erscheinungen der Vererbungslehre (...) im gesamten Tier-
wie Pflanzenreich identisch“ verlaufen würden, das Recht abgeleitet hatte, „aus
den Verhältnissen bei Schmetterlingen auf den Menschen zu schließen“.
Die mögliche
Ursache intersexueller Formen beim Menschen wurde in ungeplant vorgenommenen
‚Kreuzungsversuchen‘ ausgemacht: die „abnorme Faktorenkombination beim
Menschen“ könne „auf gelegentliche Mutationen“ oder auf „Rassenmischung“
zurückgeführt werden, denn „unsere menschliche Kopulation [sei] das
verwickelste Bastardgemisch, das man sich überhaupt ausdenken kann“.
Für
Moszkowicz war das beste Indiz für die Gültigkeit des Modells, „dass die
Erscheinungsformen der menschlichen Zwitter, die uns in der bisherigen
Klassifizierung regellos vorkommen, Sinn bekommen und uns verständlich werden,
wenn wir das Zeitgesetz der Intersexualität auf sie anwenden“.
So brachte
Moszkowicz mit der Akribie eines guten Schülers die verschiedenen somatischen
Zwitterformen – rein hypothetisch – in ein an den unterschiedlichen Drehpunkten
orientiertes Schema.
Goldschmidt
hatte auch die „psychischen sexuellen Zwischenstufen“ als „Stufen biologischer
Intersexualität“ behauptet.
Der Zoologe
verließ sich dabei auf die „herrschende Annahme“ der Fachliteratur, konträre
Sexualität sei angeboren und erblich. Der Variationsreihe bei den
Schmetterlingsversuchen entspreche eine kontinuierliche Reihe, die von der
Homosexualität, deren niederste Stufe ins Normale übergehe, zum
Hermaphroditismus führe.
Dass beim
Menschen „die erste Eigenschaft, die die Intersexualität erkennen lässt, das
Seelenleben“ sei, war für Goldschmidt biologisch erklärbar.
Er setzte
Seelenleben mit Gehirntätigkeit gleich: und diese sei beim Menschen „zweifellos
die sensibelste Eigenschaft“.
Es müsste
also z. B. „ein schwacher, männlicher Pseudohermaphrodit weiblich empfinden“,
homosexuell sein, ggf. geringfügig weibliche Körperformen haben. Wenn nicht,
galt es genauer hinzusehen: seine Warnung vor einer möglichen Fehleinschätzung
machte zugleich den besonderen Kniff seines Modells aus: z. B. könne es sich
bei einem schwachen männlichen Pseudohermaphroditen auch um „ein fast völlig
umgewandeltes [genetisch; V. W.] weibliches Individuum“ handeln; darauf würde
eine „rein“ männliche (also heterosexuelle) Sexualempfindung hindeuten.
Die
entscheidende Flexibilisierung des Intersexualitätsmodells für ‚psychischen
Hermaphroditismus’ nahm Moszkowicz vor.
Meinte
Goldschmidt, die Psyche sei für intersexuelle Entwicklungen am empfänglichsten,
nahm demgegenüber Moszkowicz an, dass „bei einem Geschlechtsumschwung (...)
auch im Bereich der Psyche Reste des genetischen Geschlechtes fixiert bleiben“
können.
Durch diese
Entkopplung von somatischer und psychischer Intersexualität gelang zweierlei:
einerseits konnten somatische Intersexe ohne entsprechende psychische
Entwicklung nach dem Modell erklärt werden, andererseits konnten Homosexuelle
nun auch als Umwandlungsmännchen bzw. -weibchen aufgefasst werden, also als
Menschen, die genetisch und psychisch/psychosexuell dem einen Geschlecht,
somatisch (fast) vollständig dem anderen zugehören.
Das auf
Männer gerichtete, deswegen ‚weibliche‘ Begehren von Männern konnte auf deren
genetische Weiblichkeit zurückgeführt werden; für lesbische Frauen galt das
Erklärungsmuster entsprechend. So wurde Goldschmidts Modell der
geschlechtlichen Erbfaktoren universal: Es konnte alles erklären, jede sexuelle
Zwischenstufe, ob psychisch oder somatisch.
Die Konstruktion der Diagnose
‚Intersexualität‘ zur Legitimation von Geschlechtsumwandlungen
Der
biologistischen Legitimation von Geschlechtsumwandlungen liegt ein Wechsel des
Paradigmas der Geschlechtsbestimmung zugrunde: vom Keimdrüsen- und hormonellen
Geschlecht zum genetischen Geschlecht. Goldschmidts Erbfaktoren-Modell
verankert – wie Weiningers Theorie des Keimplasmas – über die Bisexualität
somatische und psychische Geschlechtscharaktere, die sexuelle Orientierung
eingeschlossen, auf der Zellebene: „Jede einzelne Zelle des Organismus ist
bisexuell“.20 Das Modell liefert eine genetische Erklärung für die Regel und
die Ausnahmen, die die Regel bestätigen: für die Normen der
Zweigeschlechtlichkeit und der Heterosexualität und für die geschlechtlichen
Zwischenformen:21 für Homosexualität wie für Transsexualität. Die
‚konträrsexuelle‘ Struktur des Chromosomengeschlechts ist dabei der
unhintergehbare Kern der Erklärung. Wie diese genetische Theorie der
Geschlechtsdetermination zur Rechtfertigung von Geschlechtsumwandlungen
funktioniert hat, wie die Diagnose ‚Intersexualität‘ bei Menschen mit Wünschen
nach Geschlechtsumwandlung konstruiert worden ist, soll im Folgenden
dargestellt werden.
Hormonelle
Geschlechtsdetermination und autobiographisches Zwitterargument vs.
wissenschaftliche Hypothese genetischer Intersexualität
Ein
autobiographischer Text bildete den Anfang der biologistischen Legitimation des
Wunsches nach Geschlechtsumwandlung. Wie bei der Entstehung des medizinischen
Diskurses zur Homosexualität22 bestanden auch im Fall Transsexualität zwischen
autobiographischem und wissenschaftlichem Schreiben interdiskursive
Verbindungen. Die Einzeldiskurse beeinflussten sich wechselseitig. Wie der
wissenschaftliche Diskurs bis in die 1950er-Jahre hinein aus Fallgeschichten
bestand, die sich durch einen Wechsel von (zitierter) Betroffenenrede und
Expertenkommentar charakterisieren lassen,23 hat die sich Anfang der
1930er-Jahre entwickelnde transsexuelle (Auto-)Biographik als Textgattung in
der wissenschaftlichen Fallgeschichte ihre Wurzeln und
Entstehungsvoraussetzungen.24 Die Autobiographie Lili Elbes, die den Anfang des
(auto-)biographischen Diskurses von Transsexuellen markiert,26 unterscheidet
sich vom einsetzenden wissenschaftlichen Diskurs hinsichtlich des Paradigmas
der Geschlechtsbestimmung, da sie sich implizit noch auf die
Keimdrüsen-Hormon-Theorie gründet. Der in Paris lebende dänische Maler Ejnar
Wegener (pseud. Andreas Sparre) wurde in Dresden operiert: Nach einer Kastration
und Penisamputation fand im April 1930 eine Ovarientransplantation statt; kurz
danach erhielt die Patientin von der dänischen Botschaft einen auf Lili Elbe
lautenden neuen Pass.27 Wegener gab seinem weiblichen Ich ‚Lili’ zu Ehren des
Ortes seiner „eigentlichen Geburt“28 den Nachnamen Elbe. Die Autobiographie
beschreibt einen Zwitter-Körper als Substrat eines verdoppelten Ichs. Wegener
hatte eine „sonderbare Veränderung der Linien“ seines Körpers ausgemacht, die
ihn in Männerkleidung „wie eine verkleidete Frau“ aussehen ließen; außerdem
seien „seltsame() Blutungen“, meist Nasenbluten, von nervösen Verstimmungen
begleitet, aufgetreten, die die Interpretation ‚männliche Menstruation’
nahelegen sollten.29 Die Frau im männlichen Körper, die diesen veränderte,
entstand aus einer schizoiden Spaltung, die „ein völlig selbständiges
Persönchen“ schuf:30 „Andreas bestand aus zwei Wesen: aus einem Mann, Andreas –
und aus einem Mädchen: Lili ... Man konnte sie auch Zwillinge nennen, die beide
zu gleicher Zeit den einen Körper in Besitz genommen hatten. (...) Während er
[d. i. Andreas; V. W.] sich müde fühlte und dem Tode verfallen schien, war Lili
froh und lebensfrisch.“31 „Lili und ich [d. i. Andreas; V. W.], wir wurden zu
zwei Wesen. War Lili nicht da, so sprachen wir von ihr wie von einer dritten
Person. Und war Lili da, (...) war ich nicht da (...).“32 Ärzte, denen Wegener
sein Doppelwesen aufgedeckt hatte, hatten ihn als Hysteriker, Homosexuellen
oder schlicht als Verrückten betrachtet.33 Im Gynäkologen Prof. Dr. Kurt
Warnekros, Direktor der Staatlichen Frauenklinik in Dresden, fand Wegener einen
empathischen Arzt, der „nach eingehender Untersuchung“ – die Symptome bleiben
allerdings im Dunkelnzum Ergebnis kam, „daß es sich im Fall Ejnar Wegener nicht
um einen Mann, sondern eher um eine Frau handele.“34 Er vermutete, ‚Lili Elbe’
besitze männliche und weibliche Organe, die sich beide nicht hätten voll
entwickeln können.35 Da Wegener „sich so ausgesprochen als Weib“ fühlte, war
der operative ‚Geschlechtswechsel’ als Hilfe legitimiert, die den
diagnostizierten somatischen Hermaphroditismus beheben und den Körper dem
Geschlechtsempfinden angleichen konnte. „‚Kommen Sie zu mir nach Deutschland.
Ich hoffe, daß ich Ihnen ein neues Leben und eine neue Jugend geben kann. (...)
Ich werde Sie operieren, Ihnen neue, kräftige Ovarien geben. Dieser Eingriff
wird Sie über jenen Stillstand in Ihrer Entwicklung hinwegbringen, dem Sie im
Pubertätsalter verfielen.’“36 Die ärztliche Diagnose hatte dem Autobiographen
seine „selbständig“ gebildete Meinung in die Feder diktiert: dass er „in einem
Körper sowohl Mann wie Weib war, und daß das Weib in diesem Körper dabei war,
die Überhand zu gewinnen“.37 Die ärztliche Kunst half also nur nach. Die
Beschreibung des Operationsergebnisses war jedoch paradox: die Ehefrau schrieb
in ihrem Tagebuch, ihr Mann „ist Weib, jetzt völlig Weib geworden. Und dieses
Menschenkind war wohl nie etwas anderes als ein Weib.“38 Zugleich wurde aber
Lilis Weiblichkeit nicht in einer seelischen Tiefe verortet. Jene sei bis jetzt
„nichts als Oberfläche, noch nicht völlig echt“, und werde erst vom Professor
geformt: das „seelische() Modellieren“ komme „vor dem körperlichen Modellieren
zum Weibe“.39 Geburtsmetaphorik und Geschlechtsgedächtnis kollidierten in einem
Brief Lilis an Professor Warnekros. Einerseits stilisierte sie die
Transplantation zur Geburt – „Ich bin neugeschaffen. Ich bin dort unten bei
Ihnen zur Welt gekommen, und mein Geburtstag ist jener Apriltag, an dem Sie
mich operiert haben“ –, meinte, nichts mehr mit Andreas (pseud. von Ejnar
Wegener) zu tun zu haben, bezichtigte sich sogar, vielleicht dessen Mörder zu
sein, andererseits fühlte sie sich „so verändert, als hätten Sie nicht meinen
Leib, sondern mein Gehirn operiert“.40 Doch das Gehirn blieb unoperiert, wie es
das gleiche Bewusstsein war, das sich erinnerte. In Lili Elbes Autobiographie
wurden ein psychischer und ein somatischer Hermaphroditismus behauptet. Dass
die Fakten, die das transsexuelle Begehren biologisch begründen sollten,
unbestimmt und dürftig waren, hatte nichts mit der Textgattung Autobiographie
zu tun. Das somatische Substrat der abgespaltenen ‚weiblichen Seele’ Wegeners,
die angeblichen Eierstockrudimente, legitimierte die operativen Eingriffe, vor
allem die Steinach’sche Transplantation von Eierstöcken. Der frühere
Hirschfeld-Mitarbeiter Max Hodann bemerkte zwar noch 1937 zum Fall Lili Elbe:
„the case demonstrated that Steinach‘s tests were perfectly valid for our
species as well.“41 Doch galt zum einen Anfang der 1930er Jahre die Steinach-Hirschfeld’sche
Theorie der Geschlechtsdeterminierung bereits als wissenschaftlich unhaltbar;
zum anderen konnten – selbst von operationswilligen empathischen Ärzten – bei
Menschen mit Wunsch nach Geschlechtsumwandlung in der Regel keine hormonellen
oder anderen somatischen Zeichen des anderen Geschlechts festgestellt werden.
So rezipierten Mediziner, die den transsexuellen Wunsch begründen und seine
Realisierung legitimieren wollten, das Goldschmidt’sche Intersexualitätsmodell.
Ein von Fessler dargestellter Fall „zeigt mit der Präzision eines
Experimentes“, was nicht endokrinologisch, aber mit Hilfe von Goldschmidts
Modell erklärt werden könne.42 Fessler berichtete von einem 51 Jahre alten
Mann, bei dem sich 1916 im Alter von Mitte 30 eine Neigung zum
Transvestitismus, verbunden mit einer „weitgehenden Effeminierung“ des
Charakters, entwickelt habe. Mit einigen Jahren Verzögerung seien auch
„somatische Zeichen der Verweiblichung“ aufgetreten.43 Nach mehr als 10 Jahren
habe sich der Transvestitismus zur „Phantasie, als Mann von der Welt zu
verschwinden und als Frau wiederzukommen“, und schließlich im Sommer 1929 zur
„Idee, sich seinen Penis und (...) Hoden abzuschneiden ‚um ganz Weib zu
werden’“, gesteigert.44 Dem betreffenden Mann waren 1914 infolge einer
Kriegsverletzung der rechte Hoden vollständig und der linke Nebenhoden entfernt
worden.45 Für Fessler stand „mit Gewißheit“ fest, „daß das Auftreten des
Transvestitismus mit der erlittenen Keimdrüsenschädigung in engster
ursächlicher Beziehung steht“.46 Fessler kannte aber auch Gegenbeispiele,
Fälle, bei denen trotz starker Veränderungen der Keimdrüsen, selbst nach
totaler Kastration, keine somatischen und/oder psychischen Veränderungen
feststellbar gewesen seien. Goldschmidts Intersexualitätstheorie könne die
einander widersprechenden Kastrationsfolgen erklären: wenn nicht die
Keimdrüsen, sondern die männlichen und weiblichen Erbfaktoren einer jeden Zelle
geschlechtsbestimmend wirken würden, dann seien die Männer, bei denen die
(Teil-)Kastration verweiblichend wirke – also auch der vorliegende Fall –,
‚Umwandlungsmännchen’, also genetisch weiblich, die anderen Männer, bei denen
die (Teil-)Kastration keine Effeminierung zur Folge habe, entsprechend
genetisch männlich. Der dargestellte Fall bestätige darüber hinaus die Annahme,
dass die Keimdrüsen zwar nicht geschlechtsbestimmend, wohl aber
geschlechtserhaltende Bedeutung haben, denn „die Tatsache, daß unser Patient
genetisch weiblich ist, tritt erst in Erscheinung, da die männliche
Geschlechtsdrüse schwer geschädigt ist“.47 Die Hypothese genetischer
Weiblichkeit erklärte für Fessler die Erfolglosigkeit seiner Therapie, den
Patienten durch Gabe von männlichen Hormonen wieder vermännlichen zu wollen,
und rechtfertigte die entgegengesetzte Behandlung, „die den Gesamtzustand des
Patienten sehr günstig beeinflußte“: „Da also der Versuch mit dem Hodenhormon
mißlang, schien mir der Gedanke naheliegend, das genetische (weibliche)
Geschlecht hormonal zu unterstützen, zumal ich den Eindruck hatte, daß die
Beschwerden des Patienten weitgehend der Ausdruck der immer deutlicher
werdenden Diskrepanz zwischen seiner psychischen und somatischen Beschaffenheit
waren. Tatsächlich wurden ja seine Klagen über den ‚Widerspruch’, daß er
äußerlich ein Mann sei, aber sich gar nicht als solcher fühle, immer
häufiger.“48 Fesslers Patient hatte sich beklagt, „er sei einmal Mann gewesen,
aber daß sich auch so etwas ändern kann, werde allgemein nicht verstanden“.49
Dieser Fall zeigt auf prägnante Weise, wie Goldschmidts Theorie der Intersexualität
Verständnis für Wünsche nach Geschlechtsumwandlung gefördert hat, weil es ihr
gelang, in disparate Phänomene Ordnung zu bringen.
Selbstdiagnose und
psychologisch nicht verstehbarer Wunsch
Geschlechtsumwandlungswillige
hatten die Diagnose häufig bereits selbst getroffen, wenn sie einen Arzt
aufsuchten. Sie bezeichneten das Geschlecht ihres Körpers als „Irrtum der
Natur“,50 sahen sich als „Opfer eines grausamen Scherzes der Natur“51 oder
gaben an, sie litten unter einem „conflict between (...) physical sex and (...)
psyche“.52 Der von Binder beschriebene Fall D. benutzte zur Selbstdiagnose die
diskursgeschichtliche Metapher konträrsexuellen Empfindens: er sei „mit der
Seele eine Frau und mit dem Leibe ein Mann“.53 Binder berichtete: der 41-jährige
D. sei im Juli 1930 zum ersten Mal in der Klinik erschienen und habe verlangt,
„wir sollten ihm helfen, daß er stets weibliche Kleider tragen, einen
weiblichen Namen führen und überhaupt in Zukunft als Frau leben dürfe“; während
einer „schwere(n) Verstimmungsspannung“, die sich in einem Hass gegen „seine
schon längst verabscheuten Genitalorgane“ entladen habe, habe er im Sommer 1931
einen Autokastrationsversuch durchgeführt und danach die sofortige operative
Kastration gefordert.54 Das fordernde Auftreten der
Geschlechtsumwandlungswilligen sowie ihr offensichtliches Leiden an ihrem
Körpergeschlecht brachte einige Ärzte dazu, diese Patienten nicht pauschal zu
psychiatrisieren und deren Wünsche nicht eindeutig abzulehnen.
Der bei der
Untersuchung gewonnene Eindruck vom Geschlechtsempfinden des Patienten wurde in
den Texten kaum thematisiert und wenn, überzeugte er nicht: So machte D. auf
Binder den Eindruck eines körperlich „durchaus normale(n)“ Mannes in
Frauenkleidern, allerdings mit einem „unverkennbar feminine(n) Gepräge seines
ganzen Ausdrucksverhaltens“.55 Oder es wurden gerade solche Eindrücke erwähnt,
die als Inszenierung des Geschlechts und nicht als Symptome psychischer ‚Tiefe’
imponieren. Neben Rührselig- und Herzlichkeit, weiblichen Bewegungen und der
Produktion einer weiblichen Stimme wurde die exzentrische Auswahl von für einen
Mann viel zu bunter Kleidung als Zeichen der Weiblichkeit interpretiert.56 Bei
einem anderen Patienten, der gerne Filmstar geworden wäre,57 galten Haltung und
Gang der Diva, gepaart mit hausfraulichen Interessen, als Belege der
Weiblichkeit: „In psychischer Hinsicht erinnerten das Benehmen, die Haltung,
der Gang und die Ausdrucksweise des Patienten an eine weibliche Person. So
waren die Schritte kurz und trippelnd; die Oberarme wurden dem Körper
angeschmiegt gehalten, die Unterarme leicht nach außen abgewinkelt. (...) Die
Denkinhalte erwiesen sich als vorwiegend weiblich geartet und bewegten sich
fast ausschließlich um Fragen des Haushaltes und die Einrichtung eines eigenen Heims.“58
Bei einer Darstellung des männlichen Geschlechts reagierte der männliche
Diagnostiker dagegen empfindlicher. So wurde einer Frau-zu-Mann-Transsexuellen
männliches Verhalten und männliche Kleidung als Inszenierung vorgehalten: „In
ihrem ganzen Benehmen gibt sie sich wie ein Mann. (...) Aber trotz diesen
männlichen Allüren, trotz der Männerkleidung wirkt sie weiblich.“59 Vor allem
die Lebensgeschichte des Transsexuellen bildete die Grundlage der Diagnose
psychischer Symptome. Dass diese dem Arzt nur als Bericht seines Patienten
zugänglich war – der manchmal von Zeugen bestätigt wurde –, machte ihre
Unwägbarkeit aus. Die diagnostische Bedeutung der Lebensgeschichte wurde durch
Ausführlichkeit und eine Fülle von Daten dokumentiert. Die in den Texten wiedergegebenen
biographischen Angaben der Transsexuellen waren in einem Ausmaß ähnlich, dass
sich aus ihnen eine stereotype ‚Standardbiographie’ zusammenstellen ließe.
Deren Symptome haben ihre Tradition im Diskurs der als geschlechtliche
Inversion konstruierten sexuellen Inversion.60 Mann-zu-Frau-Transsexuelle gaben
an:61 seit der Kindheit bzw. soweit die Erinnerung zurückreicht hatten sie
Neigungen und Gefühle einer Frau,62 oder den Wunsch, ein Mädchen bzw. eine Frau
zu werden bzw. zu sein;63 schon als Kind litten sie darunter, „nicht als
Mädchen geboren zu sein“;64 sie wurden im Kindesalter als Mädchen gekleidet,
wurden „verhätschelt“;65 sie hatten „eine Abneigung gegen Buben- und
Männerkleidung“ und wären lieber als Mädchen angezogen worden;66 sie waren schon
als Kind sehr eitel und haben sich „gerne geschmückt und geschminkt“;67 sie
spielten lieber mit Mädchen und deren Spielsachen;68 sie waren ein braves,
ängstliches Kind, ein Einzelgänger, fühlten sich gegenüber anderen Jungen
fremd;69 sie machten „mit viel Freude und Geschick“ hauswirtschaftliche
Arbeiten;70 sie hatten in der Kindheit oder Jugend begonnen, weibliche Wäsche
oder/und Kleidung anzuziehen;71 dieses Transvestieren befriedigte sie nicht
sexuell, sondern sie empfanden „nur ein himmlisches Gefühl des Ausruhens, der
Erholung“;72 der transvestitische Drang wurde immer stärker;73 sie fielen immer
wieder durch weibliches Benehmen auf;74 das männliche Genital und andere
physische Charakteristika der Männlichkeit lehnten sie ab;75 letztlich
erfolglose Selbstnormalisierungsversuche, Versuche, ein Mann zu sein, wurden
unternommen: das Eingehen einer Ehe, das Zeugen von Kindern.76 Eine
Frau-zu-Mann-Transsexuelle berichtete dementsprechend spiegelverkehrt: „Seit
frü- hester Kindheit, soweit sie sich erinnern kann“, habe sie „den Wunsch, ja
die feste Ueberzeugung, ein Knabe und nicht ein Mädchen zu sein.“77 Sie habe
als Kind nur mit Knaben gespielt und nur Knabenspiele geliebt. „Zu Hause
übernahm sie nur Männerarbeiten.“ In Mädchenkleidern habe sie sich unwohl
gefühlt, deswegen zunächst unter der „halb mädchenhaften Kleidung stets
Knabenunterwäsche“, ab dem 20. Lebensjahr „immer Männerkleider“ getragen.78 Die
Texte beschränkten sich auf eine Deskription biographischer Daten als
psychische Symptome des Wunsches nach Geschlechtsumwandlung. Die Daten wurden
nicht psychologisch gedeutet. Selbst die Angaben zum familiären Hintergrund,
dem Hauptanhaltspunkt spä- terer psychologischer Ätiologien, blieben, soweit
überhaupt welche gemacht wurden, uninterpretiert. Die Familienromane waren,
auch bei ein und demselben Autor, vielfältig und widersprüchlich.79 Die
Möglichkeit eines psychologischen Verstehens des transsexuellen Wunsches wurde
in den Texten von vornherein nicht thematisiert oder als unzureichend für eine
Erklärung des Wunsches nach Geschlechtsumwandlung verworfen. Suggestive
Einflüsse der Kindheit wurden als manchmal evident, manchmal vage und
unplausibel bezeichnet.80 Dukor wies im Zusammenhang des Falls einer Frauen
liebenden Frau-zu-Mann-Transsexuellen auf einander widersprechende
psychogenetische Theorien hin, mit denen alles und nichts erklärt werden könne:
wie weibliche Homosexualität nach der einen Theorie durch eine schlechte
Behandlung durch den Vater bedingt sein soll, so behaupte eine andere Theorie gerade
eine allzu starke Bindung an den Vater als Ursache für die Identifikation mit
dem männlichen Geschlecht, so dass das Mädchen „in männlich-aktiver Einstellung
Frauen als Geschlechtspartner begehre, während ihr zugleich infolge
Uebertragung der Inzestschranke auf die anderen Männer der Weg zum Manne
verlegt werde“; und wie oft würden diese Bedingungen weder Homo- noch
Transsexualität bewirken.81 Auch Binder reichte ein psychologisches Verstehen
als Legitimation für einen Geschlechtswechsel nicht aus. Und dass, obwohl D.
„die Mädchenrolle förmlich angezüchtet“ worden sei:82 seine Mutter habe sich
ein Mädchen gewünscht; er sei in einem katholischen Armenhaus groß geworden und
auf Wunsch der Oberin bis zum Schulbeginn als Mädchen erzogen worden.
Schließlich habe sich der Sexualtrieb analog D.’s weiblicher Gefühlshaltungen
weiblich-passiv auf Männer gerichtet.83 Durch die Untersuchung der
„Motivationsentwicklung der inneren Lebensgeschichte des D.“, durch die
Darstellung der „seelischverständlichen Zusammenhänge“ konnte für Binder zwar
geklärt werden, welche Erlebnisse für D. von Bedeutung gewesen waren und
welchen Sinn er ihnen verliehen hatte. Doch das „psychologisch Einfühlbare“
könne das Verlangen einer Geschlechtsumwandlung nur „scheinbar restlos“ erklären.
Der Wille zur Diagnose
– zirkuläre Begründung von übermächtiger Identifikation und intersexueller
Konstitution
Diejenigen,
die das transsexuelle Begehren rechtfertigen wollten, denen psychologische
Ätiologien dieses aber nicht verständlich machen konnten, nahmen dann gerade
das zum Ansatzpunkt einer Erklärung und zur Legitimation von körperlichen
Eingriffen, was insbesondere die Verstörung, die Fremdheit des Phänomens
ausmacht: die Intensität der angeblich seit der Kindheit bestehenden
Identifikation mit dem anderen Geschlecht: „The conviction (...) is profound
and passionate,“85 „the all-dominant factor in the patient’s life. (...)
The eonist’s feeling of being a woman is so deeply rooted and irresistible that
it is tempting to seek deeper somatic causes of the disease”.86 Vom
Unverstandenen-Unverstehbaren wurde auf eine konstitutionelle Ursache
geschlossen. Übermächtige
Identifikation und Konstitution bewiesen sich gegenseitig. Das Leben selbst
wurde zum Megasymptom: „Es erübrigt sich eigentlich im Leben von A. noch nach
besonderen Aeusserungen der weiblichen Seele zu suchen: sein ganzes Leben ist
nur durch die Annahme einer solchen zu erklären.“87 Kurzerhand wurde „eine
umweltliche Verbiegung oder hintangehaltene Charakterreifung“ als Ursache „mit
Sicherheit“ ausgeschlossen88 und eine gegengeschlechtliche psychische
Konstitution behauptet.89 Der Körper wurde zum äußeren Feind erklärt: „Wir
glauben [meine Hervorh.] (...) bei unserem Patienten A. einen Fall vor uns zu
haben, bei dem die Daseinssphären des Leiblichen und diejenigen des
Triebhaft-Geistigen nicht in gleicher Richtung angelegt sind. (...) Bei A. ist
das Körperliche männlich, das Geistig-Triebhafte dagegen weiblich.90 (...) Wir
finden bei ihm (...) den ewigen Kampf zwischen seiner weiblichen Seele und dem
männlichen Körper. (...) Der Kampf wurde ihm von aussen aufgedrängt: von seinem
Körper, von seiner Umwelt, von der moralischen Forderung seiner Mitmenschen und
auch seines Gewissens, welche nur körperlich-seelisch einheitliche Menschen
gelten lassen wollten.“91 Ähnlich ordnete Binder psychologische Erklärungen
einer konstitutionellen Ursache im Sinne der sexualkonstitutionellen Theorie –
ein „bis vor kurzem [meine Hervorh.] sehr umstrittenes Gebiet“92 – unter. Er
meinte, die intersexuelle Konstitution zeichne eine „gewisse Bahn“ überhaupt
nur möglicher Sinngebungen vor.93 Binder vermutete, dass bei einem so stark
weiblichen Verhalten wie bei D. „noch ein spezifisches, endogenes Moment im
Spiel sein [dürfte], eben der Faktor F, der gewissen seelischen Anlagen (...)
schon eine spezifische, weibliche Prägung verlieh“.94 Die Erklärung war nur ein
Zirkelschluss: ein weiblicher Erbfaktor sollte weibliches Verhalten erklären,
aufgrund dessen wiederum auf den weiblichen Erbfaktor geschlossen wurde.95 Das
Fehlschlagen von psychotherapeutischen Versuchen wurde auch als Beweis einer
intersexuellen Konstitution angesehen:96 „If we are dealing with a
constitutional deviation, we can hardly expect to influence it.“97 Benjamin
formulierte in Anlehnung an ein Erklärungsmodell der Sexualpathologie des
späten 19. Jahrhunderts, die genetische und hormonelle Konstitution müsse einen
„fertile soil“ darstellen, „on which a psychic trauma can grow and develop into
such a basic conflict that subsequently a neurosis or sex deviation results“.98
Da dieser ‚fruchtbare Boden’ selbst aber nicht wissenschaftlich beweisbar war,
wurde nach ‚oberflächlichen’ somatischen Zeichen gesucht, die als intersexuelle
Symptome, und damit als Stütze der psychischen Zeichen, interpretiert werden
konnten. Bei Frau-zu-MannTranssexuellen99 galt die Aufmerksamkeit dem
Gesamthabitus („infantile(r) Habitus mit maskulinen Einschlägen“), den
Körperproportionen („Schultern (...) im Verhältnis zum Becken zubreit“; Fett-
und Muskularverteilung männlich oder infantil) und vor allem den primären und
sekundären Geschlechtsmerkmalen: „Anflug von Schnurrbart“, „kräftige Behaarung
der Unterschenkel“, „Genital- und Rumpfbehaarung leicht vermehrt“; geringe
Ausbildung der Brüste; unterentwickelte Vagina; infantiler Uterus; „leicht
hypertrophe“ bzw. „relativ stark entwickelt(e)“ Klitoris. Des Weiteren waren
Menstruationen bzw. Blutungen, die als solche interpretiert wurden, Anlass zu
intersexuellen Interpretationen. Frau-zu-Mann-Transsexuelle hatten nur minimale
Menstruationen („unregelmäßig, selten und spärlich“); gynäkologische
Untersuchungen stellten jedoch zu deren Enttäuschung normal entwickelte innere
Geschlechtsorgane fest.100 Umgekehrt behaupteten Mann-zu-Frau-Transsexuelle,
menstruationsähnliche Blutungen gehabt zu haben. Wie Ejnar Wegener/Lili Elbe
sein Nasenbluten entsprechend deutete, so berichtete auch ein Patient von Glaus
über „Menstruationsbeschwerden“ und Blutungen aus Harnröhre und After.101
Binders Fall D. berichtete, er habe ab seinem 25. Lebensjahr viele Jahre lang
„regelmäßig allmonatlich“ Blutungen aus seinem Penis gehabt haben, begleitet
von allgemeinem Unwohlsein und reizbarer Verstimmung.102 Der Ausführlichkeit
der Darstellung nach zu urteilen, galt Binders Forschereifer diesem somatischen
Indiz einer intersexuellen Konstitution. Doch keine dieser männlichen
‚Menstruationen’ konnte durch eine ärztliche Untersuchung bestätigt werden.103
Von diesen zweifelhaften Blutungen abgesehen wurden bei den dargestellten
Mann-zuFrau-Transsexuellen nur in einem Text Symptome einer somatischen
Weiblichkeit genannt: „typischer weiblicher Behaarungstyp, breite Hüften und
volle runde Oberschenkel“.104 Die weibliche Brust, die Binders Fall D. gehabt
haben will, hatte sich schon Jahre vor dessen Untersuchung wieder
zurückgebildet.105 Bei anderen Patienten wurde betont, sie hätten einen
normalen männlichen Körper.106 Ein verweiblichter Körper konnte sein, musste
aber nicht: auch wenn die feminine Erscheinung der Mann-zu-Frau-Transsexuellen
oft verblüffend sei, sei
ein männlicher Körper ohne diese Symptome mit ‚voll ausgebildeter’
Transsexualität vereinbar.107 Generell war die Beweislage äußerst problematisch
für die von Geschlechtsumwandlungswilligen vorgebrachte Idee, „nicht nur
seelisch, sondern auch körperlich ‚der innern Konstitution nach eigentlich ein
Weib‘“ zu sein.108 Die Diagnose Intersexualität bei Wünschen nach
Geschlechtsumwandlung basierte nicht auf Fakten, sondern auf der Bereitschaft
und dem Willen des jeweiligen Arztes, gewisse Zeichen gemäß dieser biologischen
Theorie zu interpretieren. So machte Binder mit Hilfe der Erbfaktorentheorie
aus vagen Anhaltspunkten – den nicht beobachteten Blutungen bei D. –
körperliche Symptome einer zugrunde liegenden genetischen Weiblichkeit und
spekulierte: bei der Entwicklung von Hoden und Gehirn habe sich eine abnorme
Valenz des Faktors F dahingehend ausgewirkt, dass „sich gewisse Hodenzellen zur
Follikulinproduktion funktionell spezifiziert haben“ und im Gehirn „ein
zentrales Regulationssystem der Menstruation aktiviert wurde“.109 Im Gutachten,
das D. die Personenstands- änderung ermöglichte, bescheinigte Binder diesem,
mit relativ vorsichtigen Formulierungen, eine intersexuelle Konstitution: „D.
ist seelisch ganz überwiegend weiblich, körperlich zwar überwiegend männlich
geartet, doch trägt er sehr wahrscheinlich auch gewisse weibliche
Körperfunktionen in sich. (...) In einem solchen Falle nicht eindeutiger
Geschlechtszugehö- rigkeit scheint es uns für die praktische Entscheidung
gerechtfertigt, das Verlangen der betreffenden Person nach der Zugehörigkeit zu
einem bestimmten Geschlechte weitgehend zu berücksichtigen [meine
Hervorh.].“110 Goldschmidts Theorie war die Spekulationsbasis, durch die sich
der „Hermaphroditismus psychicus sehr leicht verständlich und organisch in den
Gesamtrahmen der übrigen Formen des Hermaphroditismus“ einfügen ließ.111 In
einigen Arbeiten zum transsexuellen Begehren wurden die Theorie der genetischen
Geschlechtsbestimmung und das Erbfaktorenmodell ausführlicher dargestellt, wie
in den „biologische(n) Vorbemerkungen“ der 1952 veröffentlichten Dissertation
von Bättig,112 doch in der Regel waren sie die als bekannt vorausgesetzten
Grundlagen, wenn Fälle von Verlangen nach Geschlechtsumwandlung kommentiert und
begründet wurden. Man beschränkte sich auf die Erwähnung, die „konstitutionelle
Intersexualität“ beruhe „auf einer Unausgeglichenheit des Chromosomensatzes
oder der Hormonbilanz“113 oder auf beidem.114 Anfang der 1950er Jahre war
Goldschmidts Theorie zwar immer noch nicht bewiesen, aber auch noch nicht
widerlegt: So konnte das Behandlungsteam von Jorgensen, das nachträglich seine
Eingriffe mittels dieser Theorie gerechtfertigt hat, feststellen: „The
possibility of the existence of human Umwandlungsmänner can by no means be
disregarded.“115 Benjamin erhoffte sich, dass der Begriff Transsexualität durch
zukünftige genetische Erkenntnisse schließlich ganz verschwinden könne. Wie
sich die von der Art der Geschlechtsdrüsen abhängige Geschlechtsbestimmung als wissenschaftlich
nicht korrekt erwiesen habe, könnte sich die genetische Anlage des einen
Geschlechts mit den Geschlechtsorganen des anderen als vereinbar erweisen.116
Es ginge dann nicht um eine Geschlechtsumwandlung, sondern nur um eine
Genitalientransformation: „The term ‚transsexualism’ answers a practical
purpose and is appropriate in our present state of knowledge. If
future research should show that male sex organs are compatible with (genetic)
female sex or female sex organs with (genetic) male sex the term would be wrong
because the male ‚transsexualist’ is actually female and merely requires a
transformation of genitals.”117 Ein Gutachten aus den 1940er Jahren stellte
einen Sonderfall hinsichtlich der biologistischen Legitimation dar, weil sich der
Arzt nicht auf das genetische Geschlecht bezieht, sondern ein konträrsexuelles
Geschlecht des Gehirns behauptete: „Leber is (...) a type of congenital
monstrosity having a female nervous system in a body which shows all the male
attributes (...). There
is, thus, an absolute contradiction between the anatomical sex and the cerebral
sex.“118 Der Arzt hoffte, diesen absoluten Gegensatz zwischen anatomischem und
cerebralem Geschlecht in der Zukunft anatomisch beweisen zu können. Seine
Anhaltspunkte für eine geschlechtsspezifische Ausprägung des Gehirns, z. B.
dessen Gewicht, wiesen ins 19. Jahrhundert zurück.119 Aus dem späten 19.
Jahrhundert stammt auch die Hypothese eines konträren zerebralen
Geschlechtszentrums, eine Hypothese, die im späten 20. Jahrhundert zu neuen
Ehren kommen wird.
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