Dienstag, 10. April 2018

Von Intersexualität betroffen dürften in Deutschland knapp 10.000 Menschen sein. Die Ursachen sind nur zum Teil bekannt: Sie können chromosomal, monogenetisch oder multifaktoriell sein, wie ein Experte erklärt.

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10.000 Betroffene
Intersexualität – was sind die medizinischen Ursachen?
Von Intersexualität betroffen dürften in Deutschland knapp 10.000 Menschen sein. Die Ursachen sind nur zum Teil bekannt: Sie können chromosomal, monogenetisch oder multifaktoriell sein, wie ein Experte erklärt.
Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, für intersexuelle Menschen ein drittes Geschlecht einzuführen, bezieht sich auf "die geschlechtliche Identität jener Personen, die weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zugeordnet sind".

Sie werden deswegen als intersexuell bezeichnet. Was unter Intersexualität zu verstehen ist, erklärt Paul Martin Holterhus, Professor für Pädiatrische Endokrinologie an der Universität zu Kiel: "Intersexualität ist eine fehlende Übereinstimmung von genetischem Geschlecht, gonadalem Geschlecht sowie körperlichem Geschlecht."

Der Chromosomensatz passt zum Beispiel nicht zum Aussehen des Genitale, das Genitale selbst ist uneindeutig oder die Gonaden sind fehlangelegt oder es ist sowohl Hoden- als auch Eierstockgewebe vorhanden.

Ursachen nur zum Teil bekannt

Die letztgenannte Störung der Geschlechtsentwicklung wurde früher als Hermaphroditismus verus bezeichnet. Auch das psychische Geschlecht, also die Identität und die im Alltag angenommene Geschlechterrolle, ist bei vielen Menschen mit Intersexualität "variabel aufgespannt mit männlichen und weiblichen Elementen, und nicht streng bipolar", so Holterhus im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung".

Die Ursachen für Intersexualität sind nur zum Teil bekannt. "Sie sind chromosomal, monogenetisch oder multifaktoriell", so Holterhus. Bei der 45,X/46,XY-gemischten Gonadendysgenesie handelt es sich zum Beispiel um eine numerische Anomalie der Geschlechtschromosomen mit einem Y-chromosomalen Mosaik.

Bei der Androgenresistenz – Menschen mit XY-Gonosomen, bei denen der Androgenrezeptor aufgrund einer Mutation nicht ausreichend funktioniert – könnten nach Untersuchungen von Holterhus auch epigenetische Veränderungen ursächlich beteiligt sein.

Zwei bekannte numerische Aberrationen der Geschlechtschromosomen, das Turner-Syndrom (45,X) und das Klinefelter-Syndrom (47/XXY), zählt Holterhaus ausdrücklich nicht zu den Intersexformen. Dies sei nur dann der Fall, wenn es sich etwa um ein atypisches Turner-Syndrom mit einem Y-Anteil handele.

Ausgehend von dieser engen Definition von Intersexualität veranschlagt der Endokrinologe die Zahl der betroffenen Menschen in Deutschland auch niedriger als an manchen anderen Stellen nachzulesen, nämlich auf knapp 10.000.

Op nicht ohne Zustimmung des Kindes

Früher wurde Kindern mit Intersexualität häufig früh ein eindeutiges Geschlecht zugewiesen und gegebenenfalls eine geschlechtsangleichende Operation vorgenommen. "Von Operationen aus rein kosmetischen Gründen beim nicht zustimmungsfähigen Kind ist aus heutiger Sicht abzuraten", betont Holterhus.

Bei erhöhtem Entartungsrisiko könnten aber durchaus schon Op-Indikationen bestehen. "Bei der Beratung muss zwingend berücksichtigt werden, dass Intersexualität kein Einheitstopf ist." Idealerweise sollten die Patienten in multidisziplinären Zentren betreut werden, die eine adäquate Diagnostik, Beratung und gegebenenfalls auch Behandlung anbieten – dafür müsse die Politik aber auch die notwendigen finanziellen Ressourcen zur Verfügung stellen, so Holterhus.

Holterhus ist überzeugt, dass die Möglichkeit ein drittes Geschlecht eintragen zu lassen, von einigen Betroffenen erleichtert angenommen wird, "da die Kategorien männlich oder weiblich aus ihrer Sicht für sie einfach nicht zutreffend sind".

Das gelte aber keineswegs für alle: "Ich gehe davon aus, dass ein nicht geringer Teil sich dem männlichen oder weiblichen Geschlecht zuordnen kann und möchte." Er wünscht sich daher, dass es weiter möglich bleibt, das Geschlecht offenzulassen. "Wichtig ist, dass wir diskriminierungsfrei menschliche Vielfalt anerkennen."






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