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Geschrieben
und Bearbeitet von Nikita Noemi Rothenbächer 2018
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vor, einer Minderheit anzugehören!
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deswegen Spende Blut, denn es fehlt in der ganzen Welt!
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Transidentität: Wie Viktoria nach ihrem Zwangsouting ihre Familie verlor
Viktoria
weiß, wie es sich anfühlt, wegen der eigenen Identität verachtet zu werden. Im
Zuge eines Gerichtsverfahrens wird sie als transident geoutet.
Eine große,
schlanke Frau mit blonden Haaren in kurzem Jumpsuit und Sandaletten. Viktoria*
sitzt in einem Restaurant irgendwo in Rheinland-Pfalz und zieht einige Blicke
auf sich. Sie ist transident und steckt mitten in ihrem körperlichen
Angleichungsprozess. Das erkennt man zwar erst auf den zweiten oder dritten
Blick, viele Menschen reagieren aber immer noch negativ auf ihr
Erscheinungsbild.
Viktoria hat
für ihr Leben, so wie es jetzt ist, gekämpft und auf dem Weg alles verloren,
was ihr einmal wichtig war: Ihre Beziehung, Familie, Freund*innen und ihre
Kirchengemeinde. Eines aber kann man ihr nicht nehmen: Ihren tiefen Glauben an
Gott und dass doch einmal alles gut für sie werden kann.
Zehn
Minuten Mädchensein
Viktorias
Leben fühlt sich für sie schon immer etwas anders an. Die heute Mittedreißig-Jährige
wächst in einer fundamental christlichen und evangelikalen Gemeinde auf. Schon
früh ist ihr klar, dass sie nicht der Junge sein kann, den alle in ihr sehen.
Sie besorgt sich heimlich Mädchenkleider und rennt nach dem sonntäglichen Gottesdienst
immer besonders schnell nach Hause, um sie zusammen mit dem Lippenstift ihrer
Mutter anzuprobieren. Genau zehn Minuten Zeit bleiben ihr für ihr wöchentliches
„sie selbst sein“.
Irgendwann
wird ihre Mutter durch die rote Farbe im Waschbecken auf das Versteckspiel
aufmerksam. Sie redet mit Viktoria über ihr Anderssein. Dass sie lieber
Mädchenkleider tragen und lange Haare haben will, kann ihre Mutter nur schwer
mit ihrer religiösen Überzeugung vereinbaren. Für die evangelikalen
Christ*innen existieren mit Mann und Frau nur die Geschlechter, die sie in der
Bibel festgeschrieben stehen. Wenn Viktoria heute über die Einstellung ihrer
Mutter spricht, ist ihr ihre große Enttäuschung anzumerken. Trotzdem wirkt sie
milde: „Ich hatte sonst eine Kindheit, von der andere träumen. Ich will ihr
keinen Vorwurf machen, sie hat dieses starre biblische Denken.“
Als Viktoria
älter wird, versucht sie ihr Anderssein zu überspielen. Sie versichert sich und
ihrer Mutter immer wieder, das Frausein sei nur ein Hobby. „Meine Mama hat
öfter meine weiblichen Kleider im Schrank gefunden und nachts weinend auf
meinem Bett gesessen. So habe ich sie dann angetroffen“, erinnert sich
Viktoria. Sie wechselt oft ihren Job, immer aus Angst davor, dass jemand ihre
geheime Transidentität enttarnen könnte. Sie entdeckt das Modeln für sich, geht
zu Shootings sowohl als äußerlicher Mann als auch als die Frau, die sie
eigentlich ist.
Auf ihrem
Smartphone hat sie einige Bilder gespeichert, sie muss nicht lange danach
suchen. Die Fotos, auf denen sie auch äußerlich als Frau zu erkennen ist, zeigt
sie mit Stolz: „Du wächst daran, wenn die Leute positiv auf dein Äußeres
reagieren“. Wenn sie sich die Bilder mit ihrem männlichen Aussehen anschaut,
wird sie nachdenklich: “Ich weiß, dass ich das bin, oder dass ich das einmal
war. Es war ein Lebensabschnitt aber ich bin froh, dass dieses Doppelleben
jetzt vorbei ist“.
Albtraum
Zwangsouting
Viktoria
bestellt eine Cola und beobachtet das Treiben auf der Terrasse des Restaurants.
Ihre Augen sind tiefblau, sie trägt dezenten Lidschatten und rötlichen
Lippenstift.
Als ihre
Transidentität an die Öffentlichkeit gelangt, beginnt ihr schlimmster Albtraum.
Ihr Outing konnte sie nicht selbst bestimmen, es geschah während eines
Gerichtsprozesses. Als ihre letzte Beziehung zu Ende geht, erhebt ihr*ihre
Partner*in** Stalkingvorwürfe gegen sie. Im schriftlichen Gerichtsverfahren
bringt sie ein, dass sich Viktoria in psychologischer Behandlung befindet.
Gemeint sind die verpflichtenden begleitenden Maßnahmen im Zuge ihres
beginnenden Angleichungsprozesses, die sie nun offen erklären musste.
Der Großteil
ihrer Familie erfährt so zum ersten Mal von ihrer Transidentität. Dabei hätte
Viktoria ihnen gerne zu einem späteren Zeitpunkt selbst davon erzählt. Dass
ihre frühere Beziehung ihren verletzlichsten Punkt für das Verfahren verwendet,
enttäuscht Viktoria heute noch. „Hätte ich keinen transidenten Hintergrund
würde mich das gar nicht interessieren, ich weiß, dass ich unschuldig bin und
würde das Verfahren soweit es geht ignorieren.“
Der ständige
emotionale Druck setzt ihr zu. Weil ein Bekannter in der gleichen Firma
angestellt ist wie Viktoria, geht sie nicht mehr zur Arbeit – aus Angst, noch
mehr Menschen könnten von dem Prozess und der Transidentität erfahren. Heute
lebt sie von Arbeitslosenhilfe. Eine Zwischenlösung, aber das Beste für sie,
bis sie ihr Leben wieder neu ordnen kann.
Transidentität:
Ein nichtchristliches Leben?
„Das ist
Sünde“, „Du kommst in die Hölle“, „Du bist eine Schande für die Familie“.
Sätze, wie Stiche in Viktorias Herz. Nachdem sie ihre äußerliche Angleichung
beginnt, eine Hormontherapie startet und sich die Barthaare epilieren lässt,
kommt der Vorstand ihrer christlich-evangelikalen Gemeinde auf sie zu. Viktoria
erklärte ihre Transidentität, worauf sie aus der Gemeinde ausgeschlossen wurde.
Als offizielle Begründung heißt es, die seelsorgerischen Probleme seien zu weit
fortgeschritten.
Als auch die
Gemeindemitglieder und ihr christliches Umfeld nach und nach von ihrer
Transidentität erfahren, erreichen sie schlimmsten Anfeindungen aus der Kirche.
Dem Ort, von dem sie eigentlich Nächstenliebe und Unterstützung gewohnt war.
Viktoria solle sich von den Kindern in der Gemeinde fernhalten. Auch heute noch
haben die Erwachsenen Angst davor, ihr vermeintlich sündiges Verhalten könnte
auf ihre Kinder abfärben, erzählt sie.
Auch
Rückhalt von ihrer Familie blieb aus. Vor einem Jahr stirbt Viktorias Vater und
das Verhältnis zu ihrer Mutter verschlechtert sich. Sie will nicht, dass ihr
„Sohn“ sie in Frauenkleidung und Make-up im Gesicht besucht. „Als Hobby wäre es
für sie in Ordnung gewesen. Dass es Bestandteil meiner Identität ist, kann sie
nicht akzeptieren“, sagt Viktoria. Als ihr jüngerer Brüder sie bei einem
Familienessen fragt, wann sie endlich mit dem „Schwachsinn“ aufhöre, wird es
ihr endgültig zu viel. Sie bricht den Kontakt ab.
Wenn sie
davon erzählt, muss sie kurz innehalten, kann die Tränen nur schwer
zurückhalten. Es geht ihr nahe, dass ihre eigene Mutter sie verleugnet. Aber
Viktoria hat sich entschieden, sie will endlich die sein, die sie wirklich ist:
„Ich habe ein Leben lang für andere gelebt und mich aufgeopfert. Jetzt denke
ich an mich. Genau das wird mir jetzt zum Vorwurf gemacht. Aber ich ziehe das
durch und es geht mir besser damit!“ Dass der Druck der Familie nun wegfällt,
sieht sie auch als eine Art der Erleichterung.
Transidentität
in der Bibel?
Viktoria
hadert nicht mehr mit ihrem Schicksal. Die Kraft findet sie in der Community
und vor allem in ihrem Glauben. Damit hat sie sich lange auseinandergesetzt:
„Auf der einen Seite will ich ein christliches Leben führen, auf der anderen
Seite nicht ausgegrenzt werden.“ Vor einigen Jahren hatte sie an einer
evangelikalen Schule Theologie studiert, wollte sich anpassen und ihre
Transidentität vergessen. Aber sie beginnt, den Bibeltext zu hinterfragen: „Ich
nehme die Bibel ernst, aber ich verstehe sie bildlich und nicht so gesetzlich“,
sagt sie heute. Der Versuch, die eigene Identität zu verdrängen, hat sie näher
zu sich selbst gebracht. „Es hat mir bestätigt, dass man seine Identität nicht
verleugnen kann.“
Mit ihrer
Geschichte will sie Menschen wachrütteln und aufklären. Viktoria wünscht sich,
dass Leute öfter einfach offen nachfragen würden. Dafür engagiert sie sich in
der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität e.V. (dgti)
und veranstaltet Workshops an Schulen. Um das Bewusstsein nachhaltig zu
verändern, will sie bei den Jüngsten ansetzen: „Wenn ich meine
Coming-out-Geschichte erzähle, brechen die Kinder auch manchmal in Tränen aus“.
Sie begleitet Jugendliche bei ihren eigenen Outings und erlebt, wie wichtig der
Rückhalt in einem unterstützenden Umfeld ist. Dass sie in ihrem eigenen christlichen
Umfeld wohl niemals Erfolg mit ihren Aufklärungsversuchen haben wird, macht sie
traurig: „Man fühlt sich ohnmächtig.“ Und trotzdem: „Vielleicht ist die Arbeit,
die ich mit anderen Kindern mache, eine Art Ausgleich dazu.“
Offenheit
statt Vorurteile
Dass sich
auch rechtlich einiges in unserer Gesellschaft verändern muss, steht für
Viktoria fest. Für sie wäre es besonders wichtig, Zwangsoutings im Alltag zu
vermeiden. Hilfreich dabei ist der sogenannte Ergänzungsausweis der
dgti. Transidente Menschen können vor ihrer offiziellen Namensänderung einen
zweiten Ausweis beantragen und damit Dokumente wie Bank- und Versichertenkarten
auf ihren neuen Namen umschreiben lassen. Die beiden unabhängigen Gutachten von
Psycholog*innen, die es für eine offizielle Namensänderung braucht, seien für
viele einfach zu teuer. Bis zu 1.500 Euro müsse man dafür ausgeben. Auch dass
Transidentität oft mit kriminellen oder pädophilen Handlungen in Verbindung
gebracht wird, will sie nicht akzeptieren: „Es ist keine Krankheit, keine
Sexualität, kein Fetisch und kein Verbrechen, sondern wie ich bin!“
Viktoria
hätte sich gerne schrittweise, selbstbestimmt und zu einem späteren Zeitpunkt
geoutet. In dem Gerichtsverfahren mit ihrer früheren Beziehung hat der Richter
nun einen sogenannten Vergleich vorgeschlagen. Darin soll festgelegt werden,
dass sich beide Seiten nicht mehr über die sexuellen Neigungen des jeweils
anderen äußern dürfen. Für Viktoria ein weiterer Schlag ins Gesicht. Wieder
wird ihr Trans-Sein zu einer Sexualität gemacht. Auch deshalb kämpft sie weiter
für die Rechte ihrer Community. Ihr Ziel ist es, irgendwann einmal ein Vorbild
für andere in ihrer Situation zu sein. Heute ist sie im Reinen mit sich selbst
und stolz auf das, was sie erreicht hat. Ihr
Whatsapp-Status lautet für alle sichtbar: „One day people that didn’t
believe in you will tell everyone how they met you“. Viktoria scheint auf dem besten Weg
dorthin.
* Viktoria,
der Name wurde von der Redaktion geändert.
**Ihr ist es wichtig, dass Transidentität nicht mit der sexuellen Orientierung verwechselt wird. Das Geschlecht ihres*ihrer Partner*in ist daher in diesem Artikel irrelevant.
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