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Geschrieben
und Bearbeitet von Nikita Noemi Rothenbächer 2018
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deswegen Spende Blut, denn es fehlt in der ganzen Welt!
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Ihn Dir den Organspende Ausweis!
Hey you have it and need it, so donating blood,
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had him, you also? Organ donation can help others to life, be proud of your self
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Das deutsche Modell
schafft eine Hölle auf Erden
Als
Aktivistinnen gegen das System Prostitution haben wir uns durch die für den Prix
Europa 2018 nominierte ZDFinfo Dokumentation „Bordell
Deutschland – Milliardengeschäft Prostitution“ kennengelernt, in der wir
beide als Expertinnen zum Thema mitwirkten. Sandra Norak als
Loverboy-Opfer, Aussteigerin von 6 Jahren Prostitution und angehende Juristin.
Dr. Ingeborg Kraus als Diplompsychologin und Traumatherapeutin. In diesem gemeinsamen
Text möchten wir unsere Erfahrungen und Perspektiven vereinen.
Manchmal
erscheint ein Weg für uns sehr lang, manchmal zu lang, so dass wir glauben,
dass wir nicht genug Kraft haben und es nicht schaffen, ihn zu Ende gehen zu
können. Der Ausstieg aus der Prostitution und damit aus einem Milieu, das meist
den Körper und die Seele dieses Menschen zerstört hat, ist ein ganz besonders
langer und schmerzhafter Weg, der manchmal kein Ende zu nehmen scheint und auf
dem man Hürden begegnet, die sich zunächst als unüberwindbar darstellen.
Immer wieder
hören und lesen wir von Aussteigerinnen, die mit den Gedanken ringen wieder in
die Prostitution einzusteigen oder letztlich wirklich zurückgehen, obwohl sie
ihre bereits gemachte Prostitutionserfahrung als traumatisierend ansehen und
Prostitution als Gewalt bezeichnen. Dieses Verhalten stößt bei vielen
Außenstehenden auf Unverständnis.
Wir möchten
mit unserem Text über die Schwierigkeiten des Ausstiegs aus der Prostitution
aufklären und zugleich Frauen während des Ausstiegs sowie danach Mut machen.
Wenn in
unserer Gesellschaft über Prostitution gesprochen wird, so hat sich durch das
ProstG aus dem Jahr 2002 bei vielen die Vorstellung eingeprägt, dass sie ein
Job wie jeder andere ist. Prostitution aber hinterlässt tiefe Narben an Körper
und Seele. Der Ausstieg ist nicht vergleichbar mit einem einfachen Jobwechsel. Einmal
in diesem Prostitutionssystem gefangen, kommen Betroffene oft nur schwer bis
gar nicht mehr raus.
Ein physischer
Ausstieg aus der Prostitution, also der körperliche Schritt raus ins
„Leben“, kann bei vorhandenen Möglichkeiten relativ schnell vollzogen werden.
Der physische Ausstieg bedeutet aber nicht gleich den psychischen
Ausstieg. In der Prostitution erleben Betroffene die tiefsten Abgründe
unserer Gesellschaft: ein unermessliches und unvorstellbares Ausmaß an Gewalt,
Demütigungen, Lügen und den größten Unmenschlichkeiten. Man kann physisch aus
diesem Leben fliehen, aber psychisch hängen viele noch lange mittendrin – in
den Erinnerungen, dem Schmerz und oftmals der aufgrund ihrer Erfahrungen tiefen
Überzeugung, nichts wert zu sein, nichts schaffen zu können, nichts anderes zu
verdienen. Der physische Ausstieg ist schwer, der psychische Ausstieg noch schwerer,
denn er dauert oft Jahre/Jahrzehnte und beinhaltet das Durchbrechen von Schmerz
und Trauma. Er ist das langsame Abstand nehmen von diesem früheren Leben voller
Gewalt. Dieser psychische Ausstieg ist äußerst wichtig und es geht dabei nicht
darum, Erlebtes zu vergessen – es geht darum, die nicht mehr wegzuradierende
Vergangenheit anzunehmen, sie in das Leben zu integrieren und sich dennoch von
der Parallelwelt Prostitution zu lösen.
Häufig ist
den Betroffenen nicht sofort klar, wie sich ihre Verletzungen aus der
Prostitution im Alltag äußern können, was den Ausstieg zusätzlich erschwert.
Einige Hürden auf dem Weg in ein neues Leben möchten wir folgend erläutern.
Um überhaupt
in der Prostitution sein zu können und unzählige Penetrationen von Fremden ertragen
zu können, sind zunächst einmal Einstellungen notwendig, die diese Gewalt
gewissermaßen verharmlosen: dass all das machbar und/oder nicht so schlimm sei.
Wie kommt man zu so einer Haltung?
Wenn sehr
früh in der Kindheit der Körper und/oder die Seele missbraucht und verletzt
wurden, dann kann sich bei dem betroffenen Menschen die Vorstellung einprägen,
dass eine Misshandlung, die an ihm vorgenommen wird, nicht so schwerwiegend
oder sogar verdient oder normal ist. In der
Psychotraumatologie bezeichnet man das als Täterintrojekte. Täterintrojekte
sind Überlebensstrategien, um Gewalt besser ertragen zu können. Kann die
gegenwärtige, unerträgliche Situation nicht ausgehalten und auch nicht
verändert werden, so nehmen Betroffene häufig die Ansichten des Täters an, denn
wenn sie funktionieren wie der Täter es haben möchte, wird das Überleben
wahrscheinlicher. „Wenn ich genau mache, was sie mir sagen, werden sie mich
vielleicht in Ruhe lassen, wird es vielleicht weniger schlimm.“ Aus einem „Du
bist nichts wert“ kann ein „Ich bin nichts wert“ werden. Aus einem „Du wirst es
niemals schaffen“ ein „Ich werde es niemals schaffen“.
Diese
Verinnerlichung und Übernahme von Tätergedanken aus Schutzgründen heraus
manifestiert sich oft bis ins Erwachsenenalter hinein und prägt den Alltag
nicht nur in Form eines negativen Selbstbildes, sondern auch in Form von
mangelndem Selbstschutz und mangelnder Selbstfürsorge. Wer als
Überlebensstrategie zeitig lernen musste, Gewalt zu ertragen, der kann sich
später oft nicht davor schützen. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Eigene
Bedürfnisse und vor allem Grenzen werden nicht wahrgenommen, da sich die Opfer
von früh an auf die Bedürfnisse des Täters eingestellt haben und zugleich
permanent Grenzverletzungen erleben mussten.
Wenn dann
auch noch in einer Gesellschaft und in einem Staat sexualisierte Gewalt in Form
von Prostitution nicht als solche benannt, sondern diese verharmlosend als
machbare Dienstleistung bezeichnet wird, werden diese Täterintrojekte nicht
aufgelöst, sondern verstärkt. Prostituierten Menschen wird durch die Legalität
von Sexkauf vermittelt, dass die Gewalt, die sie durch die Prostitution
erleben, keine richtige Gewalt ist, da legal ist, dass sie zur sexuellen
Benutzung gekauft werden können. Der Staat signalisiert mit seiner liberalen
Gesetzgebung: „Prostitution ist keine Gewalt, sondern ein Job“. Diese Ansicht
wird übernommen, im Übrigen auch von vielen Beratungsstellen. Das ist
gefährlich, denn sie verleitet Menschen auch, überhaupt erst in die
Prostitution einzusteigen ohne sie über die immense Gewalt aufzuklären, die sie
dort erwartet.
Als mich
(Sandra) mein Zuhälter damals bei der Rekrutierung als Heranwachsende das erste
Mal in ein Bordell schleppte, hatte ich ein sehr schlechtes Bauchgefühl und
wollte am liebsten fliehen. Ich war jung, instabil und wusste nicht, wie ich
mich verhalten sollte und auch nicht, in welch gefährlicher Situation ich mich
befand. Er brachte mich zur Prostitution, drängte mich, ich solle mich nicht so
anstellen, es sei ja alles ganz normal. Ich erinnerte mich an die
Ansicht unseres Staates, dass Prostitution in unserem Land als Job angesehen
wird und Zuhälter sowie Bordellbetreiber in „seriösen“ Talkshows auftreten und
als Geschäftsleute betitelt werden anstatt als Kriminelle. Ich erinnerte mich
daran, dass dieses Milieu überwiegend als nicht so schlimm beschrieben wird.
Genau dieses Bild von der Normalität des Prostitutionsmilieus
vermittelt also auch unser Staat durch seine Gesetzgebung und so konnte ich noch
weniger sehen, dass ich auf dem Weg war, mitten in ein kriminelles Gewaltmilieu
abzurutschen. Es wurde nicht als solches benannt und wird weiterhin nicht als
solches benannt. Doch unser Staat hat eine Verantwortung in Form einer Vorbild-
und Orientierungsfunktion vor allem für junge und vulnerable Menschen. Hätte er
damals in Form eines Sexkaufverbots laut zu mir gesagt: „Prostitution ist
Gewalt und eine Menschenwürdeverletzung“, hätte dieser Menschenhändler es viel
schwerer gehabt, mich in die Prostitution zu bringen. Die traurige Wahrheit
aber ist: unser Staat hat verinnerlicht, dass sexualisierte Gewalt gegen Frauen normal ist,
denn nichts anderes bedeutet seine liberale Prostitutionsgesetzgebung. Und
daran orientieren sich die Menschen, so wachsen Kinder in Deutschland auf – in
dem Glauben, dass es keine Gewalt ist, wenn Menschen in der Prostitution
tagtäglich penetriert und ihrer Würde beraubt werden.
Aber es ist
Gewalt und diese traumatischen Erfahrungen in der Prostitution führen häufig zu
posttraumatischen Belastungsstörungen, deren Symptome die Wiedereingliederung
in ein Leben abseits der Prostitution enorm erschweren können, da sie
existieren, aber für Außenstehende oft nicht sichtbar sind und aufgrund von
Ablehnungsängsten auch häufig versteckt werden. Diverse Situationen können nach
Prostitutionserfahrungen triggern (nicht nur Tätermerkmale, sondern auch
Stress, eine Jahreszeit, Geräusche,…) und Ängste auslösen, was mit heftigen
körperlichen Reaktionen einhergehen und daher den Einstieg in ein anderes Leben
sowie die Aufnahme neuer sozialer Kontakte stark behindern kann. Extreme
Gefühle, die während der Prostitution dissoziiert waren, können im Alltag der
Ausgestiegenen durch Kleinigkeiten hervorgerufen werden und den Kontakt zu
neuen Bekanntschaften verunsichern, was sich zu einem Teufelskreis formen kann,
da es das Gefühl allein zu sein verstärkt und man sich weiterhin fremd und oft
nur von bekannten Personen aus dem Rotlichtmilieu verstanden fühlt. Das erhöht
die Gefahr, dass Aussteigerinnen erneut in die Prostitution abrutschen. Häufige
Symptome sind beispielsweise auch Panikattacken und dissoziative Phänomene. In
manchen Fällen führen diese Symptome dazu, dass die Konzentrations- und
Leistungsfähigkeit so stark eingeschränkt ist, dass das Dasein zur einzigen
Qual wird. Neben den Traumata sind auch körperliche Erkrankungen sehr häufig.
Ein weiteres
Problem beim Ausstieg ist, dass ein Leben in der Prostitution isoliert. Diese
Isolation stellt auch eine gezielte Täterstrategie dar, um Betroffene intensiver
an sich zu binden. Einsame Menschen sind leichter in der Spur zu halten als
solche, die Kontakte zu anderen pflegen. Viele sich prostituierende Menschen
sind bei ihrem Ausstieg komplett allein, müssen von null anfangen, da nur die
Kontakte ins Rotlichtmilieu bestehen. Viele sind bereits in jungen Jahren in
die Prostitution eingestiegen und konnten somit keine Schul- und/oder
Berufsausbildung abschließen. Sie kommen aus der Prostitution und sehen keine
Perspektive für sich. Um diese verloren gegangene Zeit und das, was einem in
der Prostitution gestohlen wurde, nachzuholen, persönlich wie beruflich,
benötigt es teilweise Jahre und verlangt von den Betroffenen neben der
Aufarbeitung ihrer schmerzhaften Vergangenheit ein großes Ausmaß an Geduld und
einen festen Glauben an sich selbst, der nach einer Prostitutionserfahrung
leider oft tief erschüttert ist.
In der
Prostitution regiert die Gewalt – dennoch haben viele das Gefühl, als hätten
sie dort wenigstens einen Platz. Das Leben außerhalb erscheint fremd, als ob
sie in dieser neuen Welt niemals akzeptiert und niemals willkommen sein werden.
Eine uns bekannte ehemalige Prostituierte suchte nach ihrem Ausstieg aus der
Prostitution einen Job und versuchte es mit Ehrlichkeit. Sie erzählte ihrem
potentiellen Arbeitgeber, dass sie Prostituierte war und einen Ausweg suche.
Sie bekam folgende Antwort: „Meine Frau hat ein Problem damit, wenn Sie hier
arbeiten und Prostituierte waren, aber wenn Sie wollen, dann können wir beide
uns heute Abend privat im Hotel treffen. Ich zahle auch gut.“ Für die
Aussteigerin war diese Begegnung tief demütigend. Sie wollte sich aus dem
Prostitutionssystem, in dem sie objektiviert und zu einer Ware degradiert
wurde, herauskämpfen. Anstatt einer Unterstützung bekam sie erneut den Stempelaufdruck:
„Du bist nichts anderes wert als sexuell benutzt zu werden.“ Genauso fühlen
sich Menschen in der Prostitution. Wenn sie dann während der Ausstiegsphase
solch eine Erfahrung machen, ist es wahrscheinlich, dass sie die Hoffnung
verlieren und wieder ins System zurückfallen. Wenn sonst niemand sie will, wenn
sie sonst nichts wert sind, wenn sie sonst nichts können, so die Gedankengänge,
so gehen sie wieder an ihren alten Platz zurück. Für die Betroffenen ist es
sehr schwer, diesem Kreislauf zu entkommen.
Eine Sache
ist sicher: Der Ausstieg aus der Prostitution ist extrem schwierig, ein
steiniger Weg, oft geprägt von hoffnungslosen Situationen und scheinbaren
Ausweglosigkeiten. Ein Wiedereinstieg in die Prostitution ist aber keine
hilfreiche Stufe auf dem Weg aus der Misere, sondern eine weitere Hürde. Die
Rückkehr in die Prostitution ist nicht ein Teil des Weges, der nach draußen und
damit langsam zur Freiheit führt, wie manche annehmen und vielleicht deshalb
wieder einzusteigen überlegen, sondern bringt einen Menschen auf einen ganz
anderen Weg zurück – auf einen Weg der kompletten Zerstörung von Körper, Geist
und Seele, den er einst genau aus diesem Grund verlassen hat.
Der
Wiedereinstieg gleicht einer Form der Verharmlosung der schwerwiegenden Traumatisierung
gegenüber sich selbst, die nicht nur durch sichtbare körperliche Symptome
einhergeht, sondern die Fortsetzung der Zerstörung des Selbstwertgefühls, des
Selbstvertrauens und der Selbstliebe bedeutet. Viele wichtige Fähigkeiten wie
diese wurden vielleicht erst gar nicht entwickelt, wenn der Einstieg in die
Prostitution sehr früh stattfand, oder gehen in der Prostitution verloren.
Wurde nach einem Ausstieg angefangen, diese Fähigkeiten zu entdecken und zu
entfalten, so verblassen sie mit einem Wiedereinstieg erneut. Es ist als würde
man auf eine Löschtaste drücken. Die Rückkehr in die Prostitution ist keine
vorübergehende Lösung und niemals ein Vorankommen.
Nichtsdestotrotz: Prostitution
ist sexuelle Gewalt und hier herrschen Gewaltmechanismen, die Betroffene
zurücktreiben und fern jeder Logik liegen können, die Unbeteiligte zu verstehen
vermögen. Auch wenn man aufgeklärt ist und Bescheid weiß über das System und
seine Mechanismen, über die Gewalt, über die Ursachen und die Folgen, so können
gerade in der Festigungsphase des Ausstiegs nicht nur die nicht ausreichend
vorhandenen Hilfen, sondern innere verletzte Anteile aktiv werden und dafür
sorgen, Betroffene in die Prostitution zurückzudrängen und ihren Ausstieg zu
sabotieren. Einen Vorwurf auf persönlicher Ebene kann und darf man Menschen,
die wiedereinsteigen, deshalb auf gar keinen Fall machen.
Eine
Rückkehr in die Prostitution sollte jedoch öffentlich niemals als eine Lösung
dargestellt werden. Hier setzt der Abolitionismus an, der Menschen aus dem
System herausholen möchte, selbst dann, wenn die Prostitution in Deutschland
noch als normale Dienstleistung bezeichnet wird und sich das „nordische Modell“
noch nicht durchsetzen konnte. Denn er weiß: Eine Rückkehr in die Prostitution
ist kein Weg hinaus, sondern eine fortdauernde permanente Grenzverletzung, die
immer etwas mit einem Menschen macht, die einen Menschen immer weiter zerstört
anstatt ihn vorwärts zu bringen. Sie lässt die Wunden nicht verheilen, sondern
reißt sie immer wieder auf.
Was wichtig
ist, ist ein vermehrter und einfacherer Zugang zur Traumatherapie, um die
schweren Hürden nach der Prostitution besser bewältigen zu können und den
Ausstieg zu festigen. Sie kann helfen, Grenzen oft erst kennenzulernen, sie
dann setzen und sich von gewalttätigen Beziehungen und/oder Lebensweisen lösen
zu können. Nur wer versteht, was passiert, kann, wenn er das möchte, nach
Lösungen suchen und einen Ausweg finden. Die Überwindung der Traumafolgen ist
von enormer Bedeutung, aber nicht möglich, wenn man jene Tätigkeit weiterhin
ausübt, die das Trauma verursacht hat oder mit der man andere Traumata
reinszeniert.
Manchmal
erscheint dieser Weg des Ausstiegs zu lang, so dass man aufgeben will, weil man
denkt, dass man nicht genügend Kraft hat und das Ende des Tunnels niemals
erreichen wird, aber man sollte für sich selbst weitergehen bis man sein Ziel
erreicht hat.
Auch für
mich (Sandra) war der Weg aus der Prostitution ein langer und schwieriger.
Allein der physische Ausstieg und das Nachholen einer Schulausbildung bis an
die Universität hin zu einem Studium schienen kaum machbar. 2012 fing ich im
Bordell an mein Abitur nachzuholen. Ich wurde belächelt: „Die wird es niemals
schaffen“. Diesen Satz trug ich lange mit mir herum, ich hatte ihn
verinnerlicht, doch irgendwann fing ich an, mich dagegen zu wehren. Ich wollte
es schaffen. Ich wollte da raus. Ich wollte ein Leben. 2014 konnte ich aus der
Prostitution aussteigen und habe das Abitur beendet. Heute, im Jahr 2018, neigt
sich mein Studium langsam dem Ende zu. Seit 6 Jahren bin ich nun am Lernen, um
Bildung nachzuholen, die mir durch die Prostitution gestohlen wurde. Ich
wusste: Bildung ist der Schlüssel aus dem Elend. Die Prostitution verlassen zu
wollen und sie letztlich zu verlassen bedeutet, die große Herausforderung
anzunehmen, sich ins Leben zurück zu kämpfen, was einen zeitweise verzweifeln
lassen kann.
Das Trauma
kann sich auch im Körper verankern und auf unterschiedliche Weise äußern. Nach
meinem Ausstieg traten Traumafolgestörungen nicht nur in Form von Panikattacken
auf, die mir den neuen Alltag mit Atemnot und einem stetigen Gefühl von
Bewusstseinsverlust unerträglich machten. Sie äußerten sich auch an meinem
Bewegungsapparat, der so schwach wurde, dass ich kaum mehr gehen konnte. Gewalt
ertragen zu müssen, schwächt Körper und Seele. Gewalt ertragen zu müssen, die
nicht als Gewalt anerkannt wird (so wie in Deutschland nicht anerkannt wird,
dass Sexkauf Gewalt ist), schwächt Körper und Seele noch mehr, denn zum einen
redet man sich zunächst ein, dass alles nicht so schlimm sein kann und erwartet
von sich selbst, aushalten zu müssen, was nicht auszuhalten ist.
Später habe
ich mir die Frage gestellt, wie ich es dennoch 6 Jahre aushalten konnte. Nicht
nur die Betäubung mit Alkohol half dabei, sondern vor allem, was mir erst
später klar wurde, die Dissoziation. Die Dissoziation ist ein Schutzmechanismus
des Körpers, der Empfindungen vom Bewusstsein trennt, um nicht aushaltbare
Gewalt ertragen zu können. Es hat Jahre gebraucht bis ich überhaupt verstanden
habe, was Dissoziation ist, wie sie funktioniert und in welcher Art und Weise
sie mir geholfen hatte. Sie kann sich in vielen verschiedenen Formen äußern:
Bei mir war es dieses Gefühl, nicht richtig da zu sein und alle Sinne gedämpft
wahrzunehmen, wie in Watte. Ich habe mich und das Leben wie hinter einer
schalldichten Glaswand erlebt, wie durch einen Tunnel bin ich durchs Leben
gelaufen. So spürt man natürlich weniger seelischen und körperlichen Schmerz –
das ist das Ziel der Dissoziation. Ich war permanent in einer Art
Trance-Zustand und es hat lange gedauert, diesen bereits zum Automatismus
erstarkten Schutzmechanismus nach der Prostitution aufzulösen und mich und das
Leben um mich herum wieder richtig spüren zu können. Lange wusste ich nicht,
was mit mir los war und das daraus entstehende Vermeidungsverhalten und der
Rückzug trieben mich noch mehr in die Isolation.
Heute bin
ich ein anderer Mensch. Damals geschwächt von den Traumafolgen kann ich jetzt
Berge besteigen und habe ein unerschütterliches Selbstvertrauen entwickelt, so
dass ich zu 100 % weiß, dass ich alles schaffen kann, was ich mir vornehme und
wofür ich hart kämpfe. Ich genieße jedes kleine Detail. Seit ich aus der
Prostitution ausgestiegen bin, entdecke ich die Welt neu. Ich bin stark
geworden und nichts kann mich mehr erschüttern. Eines ist klar: Die
Prostitution werde ich niemals vergessen, aber ich bin physisch und psychisch
ausgestiegen.Für immer!
Das ProstG
von 2002 gilt seit Jahren als gescheitert. Öfter wurde angebracht, dass
prostituierte Menschen sich selbst organisieren und für ihre Rechte eintreten
sollten, aber das ist schwierig bis unmöglich, weil sie in der Prostitution
zugrunde gehen und zwar nicht nach Jahren, sondern sofort. Bei mir war die
Überwindungsgrenze mich mit dem ersten Freier einzulassen sehr hoch. Gefühle
wie Ekel, Abscheu, Scham, Trauer und Angst machten es mir nahezu unmöglich,
diesen Akt durchzuführen. Ich war kurz davor zu schreien, zu weinen. Als der
Akt vorbei war, war etwas in mir kaputt gegangen. Ich wollte schreien, aber ich
konnte nicht mehr. Ich wollte weinen, aber ich konnte es nicht mehr. Was ich
fühlte, war betäubt und abgetötet. Die Fähigkeit sich zu wehren und Widerstand
zu leisten geht bei jedem Freier mehr verloren, weil durch diesen Akt der
ungewollten Penetration nicht nur die Dissoziation den Körper beherrscht,
sondern auch die Persönlichkeit immer weiter gebrochen wird. Dieser Akt der
Penetration bedeutet eine permanente Demütigung und Degradierung zu einem
Objekt sexueller Benutzung. Die Menschenwürde wird entzogen. Man hört auf, sich
als fühlender Mensch wahrzunehmen. Das ist einer der Gründe, warum viele
Menschenhandelsopfer auch später, wenn der Täter auf Abstand gerückt ist, in
der Prostitution bleiben. Ihre Persönlichkeit, ihr Wille, ihre Identität, wurde
gebrochen. Es ist absurd anzunehmen, dass genau jene Menschen dann Widerstand
leisten und für ihre Rechte kämpfen sollen. Der Staat ist es, der hier die
Aufgabe hat, diese Menschen zu schützen! Deswegen ist es auch skandalös von den
Grünen, die das ProstG 2002 auf den Weg gebracht haben, dass sie auf ihrem
kürzlich veranstalteten feministischen Zukunftskongress am 7. und 8. September
keine kritischen Stimmen zur Prostitution gehört haben, sondern weiterhin
ungeniert an ihrer liberalen Prostitutionsgesetzgebung festhalten.
Die
Prostitution hinter sich zu lassen ist ein Kampf für einen selbst gegen alle
Hindernisse und (Selbst-) Zweifel, gegen einen Staat, der diese Gewalt
normalisiert, indem er sie legitimiert anstatt ihr einen Riegel vor zu setzen.
Unsere Gesellschaft sollte endlich begreifen, dass Prostitution Gewalt ist und
der Ausstieg aufgrund der ganzen Umstände auch in Deutschland sehr schwierig ist.
Sie sollte Arme und Tore öffnen anstatt sie zu schließen. Der Ausbau von
Ausstiegshilfen ist enorm wichtig, denn wir haben in Deutschland viel zu wenig
davon.
Für
Aussteigerinnen ist es wichtig, trotz aller Hindernisse und Schwierigkeiten an
das Gute zu glauben, an respektvolle Beziehungen, an die Liebe, an echte
Freundschaften. Geduld ist der Schlüssel. Hoffnung und Vertrauen (in sich
selbst), dass der Ausstieg klappen wird, dass es besser werden und man den Weg
hinaus dauerhaft finden wird.
Ein wichtiger
Punkt ist dieser innere Prozess des psychischen Ausstiegs. Ein innerer Prozess
der tiefen Überzeugung, dass Prostitution aufgrund der Gewalt, die dort
passiert, nie wieder eine Option sein kann. Ein innerer Prozess, dass man sich
nie wieder demütigen lassen wird, weil man etwas wert ist und eine Würde hat,
die unverletzbar ist. Ein innerer Prozess, dass man seine Selbstliebe nie
wieder so aufgibt, dass Freier die Macht bekommen, einen derart verletzen und
traumatisieren zu können. Deutschland muss endlich aufwachen und diejenigen
bestrafen, die Gewalt antun – die Freier. Aber wir hoffen und wollen mit diesem
Text bezwecken, dass bis der deutsche Staat seine Schutzpflichtaufgabe
verstanden hat, Aussteigerinnen sich dennoch nicht aufgeben, indem sie wieder
in die Prostitution zurückkehren. Deswegen ist unsere Botschaft an alle Frauen,
die Wiedereinstiegsgedanken haben:
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denn Wissen ist Macht!
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