Freitag, 20. Januar 2023

Tritt Trans*geschlechtlichkeit bei Jugendlichen nicht sehr plötzlich und vor allem aufgrund ihres sozialen Umfelds auf ("Rapid Onset Gender Dysphoria" /ROGD)?

 

1. Legen Natur und Biologie das Geschlecht fest?

Nein. Die Debatte um die Anerkennung und Akzeptanz von Trans*geschlechtlichkeit ist auch eine Auseinandersetzung über die Definition und Bedeutung von Geschlecht.

Was ist Geschlecht? Welche Kriterien sind dafür ausschlaggebend? Welche Rolle spielen Körper und Natur? Ob in der Medizin, der Biologie oder in den Sozialwissenschaften - aus wissenschaftlicher Sicht ist die Vorstellung einer „natürlichen“ Zwei-Geschlechtlichkeit inzwischen widerlegt.

Aus der Biologie wissen wir, dass mehr als 1.000 Gene bei der Entwicklung der Genitalien beteiligt sind (1). Die Deutsche Gesellschaft für Psychologie beschreibt Geschlecht in einer Stellungnahme als ein „mehrdimensionales Konstrukt, dessen Entwicklung durch das komplexe Zusammenspiel verschiedener körperlicher, psychosozialer und psychosexueller Einflussfaktoren bedingt“ sei (2).

Das zeigt: Geschlecht ist vielfältiger und nicht allein über biologische Merkmale zu bestimmen.

Dieser wissenschaftlichen Erkenntnis folgt auch das Bundesverfassungs-Gericht in mehreren Urteilen. Danach wird die Geschlechts-Zugehörigkeit einer Person nicht allein durch körperliche Geschlechts-Merkmale bestimmt, sondern wesentlich auch durch die geschlechtliche Identität.

Daher steht diese auch indirekt unter dem besonderen Schutz des Grundgesetzes, wie z.B. durch das in Art. 2 Abs. 1 formulierte Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. Das geschlechtliche Selbsterleben ist also zentral für die Definition von Geschlecht.

Die Anerkennung der Geschlechts-Identität gehört zu den Grundrechten. Anders als mitunter behauptet, geht es trans* Personen weder darum, Geschlecht abzuschaffen, noch Biologie oder Körper zu negieren. Die Existenz von trans* Personen zeigt aber, dass bestimmte als Geschlechts-Merkmale definierte körperliche Merkmale nicht automatisch zu einer bestimmten Geschlechts-Identität und damit Geschlechts-Zugehörigkeit führen müssen.

Die leider noch weit verbreitete falsche Vorstellung, dass allein Genitalien das Geschlecht bestimmen, führt dazu, dass die Existenz von trans* Personen geleugnet oder abgelehnt wird. Statt die Definition von Geschlecht zu hinterfragen, gelten trans* Personen in dieser Vorstellung als „krank“ oder ihnen wird schlicht nicht geglaubt. Dadurch stehen sie unter einem hohen Druck, ihre Geschlechts-Identität zu beweisen und zu erklären.

Ihnen wird vielfach die Transition verweigert, weil Personen, die nicht trans* sind, die geschlechtliche Identität von trans* Personen einfach nicht überzeugend genug finden. Selbst nach erfolgter Transition werden trans* Personen oft weiterhin angezweifelt und gelten als „unecht“.

Übrigens schaden enge Geschlechter-Vorstellungen und damit verbundene Rollen-Erwartungen nicht nur trans* Personen. Mit der Zuschreibung von Geschlecht bei Geburt und der Einordnung als Junge oder Mädchen wird von frühester Kindheit an ein bestimmtes Verhalten gutgeheißen oder kritisiert, belohnt oder bestraft.

Wenn größere Spielräume entstehen, wie Geschlecht gelebt werden kann, führt das zu mehr Selbstbestimmung und Freiheit für alle Personen. Egal wie sie sich geschlechtlich verorten.

2. Ist Trans*geschlechtlichkeit nicht bloß das Ergebnis der "Gender-Ideologie"?

„Gender-Ideologie“ ist ein zentraler Kampfbegriff, der vor allem von rechtspopulistischen, rechtskonservativen oder rechtsreligiösen Akteur*innen benutzt wird. Damit sollen nicht nur die Rechte, Anerkennung und Gleichbehandlung von trans* Personen abgewehrt werden, sondern auch Gleichstellungs-Politik oder sexuelle und reproduktive Rechte generell.

Mit der Verwendung des Begriffs Ideologie wird versucht politische Anliegen zu verunglimpfen. „Ideologie“ klingt nach unecht, falsch und gefährlich, nach Gehirnwäsche und Manipulation.

Demgegenüber soll die eigene Weltsicht als objektiv und neutral dargestellt werden. Wenn wir über geschlechtliche Vielfalt sprechen, geht es um Menschenrechte. Das soll mit dem Kampfbegriff „Gender-Ideologie“ abgewehrt werden.

Gefährlich daran ist, dass damit Menschen und deren Identitäten als Ergebnis einer Ideologie oder Ausdruck einer politischen Agenda gelten. Dies wird genutzt, um Gewalt und Diskriminierung gegenüber diesen Personen zu rechtfertigen.

3. Ist trans* nicht nur so ein Trend oder Hype?

Nein. Vielfältige geschlechtliche Identitäten gab es schon immer. In manchen Gesellschaften wurde bis zum Kolonialismus respektvoll mit dieser Vielfalt umgegangen. In vielen Gesellschaften – so auch in Deutschland – wurde geschlechtliche Vielfalt jedoch über Jahrhunderte gewaltvoll unterdrückt und ignoriert.

Inzwischen gibt es zum Glück eine Entwicklung hin zu mehr Sichtbarkeit, Offenheit und Anerkennung von trans* Personen. Das ist positiv, denn trans* zu leben sollte akzeptiert sein. Eine trans*freundliche Gesellschaft führt auch nicht dazu, dass es mehr trans* Menschen gibt, sondern dazu, dass sie sich mehr Personen outen und/oder für eine Transition entscheiden. Diese Entwicklung hält hoffentlich weiter an. Unsere Gesellschaft sollte es allen Personen ermöglichen, so zu sein und zu leben, wie sie sind.

Eine Bewertung ihrer sexuellen Identität als „Trend“, „Modeerscheinung“ oder „Hype“ müssen sich auch schwule, lesbische und bisexuelle Personen immer wieder anhören. Nun trifft es verstärkt auch trans* Personen. Damit wird behauptet, dass Menschen eigentlich gar nicht wirklich lesbisch, schwul, bisexuell oder trans* sind. Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt als „Trend“ abzuwerten, ergibt nur dann Sinn, wenn man diese Vielfalt ablehnt. Denn in dem Begriff steckt die Hoffnung, dass solch ein „Trend“ nur von kurzer Dauer ist und bald wieder verschwindet.

Die Unterstellung, dass Menschen eigentlich gar nicht wirklich trans* sind, erschwert die Anerkennung von trans* Personen. Insbesondere trans* Kindern und Jugendlichen wird nicht geglaubt, dass sie wissen, wer sie sind. Ihnen wird unterstellt, ihre Identitäten seien nicht real oder sie würden sich diese aussuchen. So wird ihnen das Gefühl für sich selbst und ihre Selbstbestimmung abgesprochen. Sie werden nicht ernst genommen oder unterstützt, obwohl Studien eindeutig belegen, dass sich bereits Kinder und Jugendliche über ihre geschlechtliche Identität im Klaren sind (3).

4. Tritt Trans*geschlechtlichkeit bei Jugendlichen nicht sehr plötzlich und vor allem aufgrund ihres sozialen Umfelds auf ("Rapid Onset Gender Dysphoria" /ROGD)?

Die pseudowissenschaftliche Idee von Rapid Onset Gender Dysphoria (zu Deutsch etwa: „plötzlich auftretende Geschlechtsdysphorie“) vertritt die Annahme, dass sich Jugendliche überraschend und aufgrund von sozialem Druck als trans* outen.

Diese Darstellung beruht auf einer Studie, in welcher allein Eltern von trans* Jugendlichen befragt wurden, die das Coming-out ihres Kindes nicht akzeptierten. Die Jugendlichen selbst wurden nicht in die Studie einbezogen.

Diese einseitige Auseinandersetzung wurde nach Veröffentlichung deutlich kritisiert. Die renommierte Brown University, an der die Studie ursprünglich durchgeführt wurde, entfernte den Verweis auf diese Forschungsarbeit von der eigenen Website (4). Die wissenschaftliche Zeitschrift, welche die Studie zuerst veröffentlicht hatte, druckte eine überarbeitete und kommentierte Version der Arbeit, die die zugrunde liegende Annahme der Rapid Onset Gender Dysphoria nicht belegen konnte.

Die Vorstellung, dass trans* Jugendliche sich sehr spontan und aufgrund von sozialem Druck outen, konnte auch in weiteren Studien nicht bestätigt werden (5). Im Gegenteil zeigt sich deutlich, dass trans* Jugendliche meist mehrere Jahre bis zum äußeren Coming-out abwarten und in ihrem Umfeld häufig weiterhin leider Abwertung und Ausgrenzung ausgesetzt sind.

Sagen vor allem Jugendliche, dass sie trans* sind, weil es cool ist?

Nein. Diese Behauptung ignoriert alltägliche Diskriminierungs-Erfahrungen und verkennt die Lebensrealität von trans* Jugendlichen. Trans*sein wird nach wie vor eher stigmatisiert und diskriminiert, als dass es als gleichwertig akzeptiert wird. Ein Coming-out als trans* wird selten vom Umfeld begrüßt, gefeiert oder wohlwollend zur Kenntnis genommen. In der Regel bringt es Nachteile mit sich.

Viele erleben das eigene Coming-out als sehr belastend. Sie unterdrücken oft jahrelang ihre tatsächliche geschlechtliche Identität. Das wirkt sich negativ auf die psychische Gesundheit aus (6). Viele trans* Jugendliche trauen sich lange Zeit nicht, sich zu outen. Denn als Minderjährige sind sie sehr stark von ihrer Familie abhängig und können auch nicht einfach die Schule wechseln. Sie befürchten Ablehnung in der Familie, den Verlust von Freund*innen oder Nachteile in der Schule oder in der Ausbildung. Leider nicht zu Unrecht.

Erfahrungen von Mobbing in der Schule und Konflikten in der Herkunftsfamilie sind unter trans* Jugendlichen häufig (7). Auch in der Öffentlichkeit und im Alltag kommt es regelmäßig zu trans*feindlichen Diskriminierungen wie verächtlichen Blicken oder Anstarren, Lächerlichmachen, Beschimpfungen bis hin zu Bedrohungen oder Übergriffen. Diese wiederholte Erfahrungen von Diskriminierung sind belastend und erhöhen das Risiko unter trans* Jugendlichen, eine Depression oder Angststörung zu entwickeln oder eine Suizidversuch zu unternehmen (8).

In der Behauptung, dass viele nur aus Coolness trans* sind, schwingt zuletzt eine sehr gefährliche Logik mit. Denn im Umkehrschluss müsste man Trans*sein wieder stärker stigmatisieren und weiter abwerten, damit sich so wenig Menschen wie möglich als trans* outen. Zu Ende gedacht würde das bedeuten, die Anerkennung von trans* Personen so schwer wie möglich zu machen. Und das lehnen wir eindeutig ab.

6. Wird Jugendlichen geschadet, weil ihnen zu schnell Pubertäts-Blocker verschrieben werden?

Nein. Pubertäts-Blocker werden weder zu schnell verschrieben und noch verändern sie den Körper der Jugendlichen. Pubertäts-Blocker sind Medikamente, die bei cis und trans* Jugendlichen eingesetzt werden, um den Beginn der Pubertät zu verzögern. Die Behandlung ist umkehrbar.

Pubertäts-Blocker stoppen die Entwicklung des Körper. Sie verändern diesen aber nicht. Werden Pubertäts-Blocker abgesetzt, setzt auch die Pubertät wieder ein. Nebenwirkungen wie Stimmungs-Schwankungen oder Hitze-Wallungen während der Einnahme sind selten und vorübergehend (9). Mögliche langfristige und ebenfalls seltene Nebenwirkungen wie eine Veränderung der Knochendichte auch über die Einnahme hinaus gelten als Grund, um die Behandlung nicht länger als nötig fortzuführen.

Anders als häufig dargestellt, ist es für trans* Jugendliche enorm schwer, Pubertäts-Blocker zu bekommen. Ärzt*innen verschreiben Pubertäts-Blocker erst nach einer Diagnose und ausführlicher Beratung. Oftmals vergehen Monate oder Jahre, bis es überhaupt zu einem Termin für ein Erstgespräch kommt (10).

Die Einnahme von Pubertäts-Blockern verschafft trans* Jugendlichen Zeit. Damit müssen sie gerade keine übereilten Entscheidungen treffen, aus Angst bzw. aus dem Druck heraus, dass die Pubertät einsetzt. Die Behandlung ist losgelöst und unabhängig von einer rechtlichen Änderung des Namens oder Geschlechtseintrags.

Die Einnahme von Pubertäts-Blockern wird von geschlechtsangleichenden Maßnahmen wie etwa der Einnahme von Hormonen oder Operationen unterschieden. An die Behandlung mit Pubertäts-Blockern kann, muss aber nicht eine Hormontherapie mit Testosteron / Östrogenen oder eine Operation anschließen. Das heißt, die Behandlung mit Pubertäts-Blockern ist ergebnisoffen. Die Jugendlichen können sich jederzeit entscheiden, die Einnahme zu beenden. Nach einer Absetzung entwickelt sich der Körper auf dieselbe Weise weiter, wie er es auch vor der Medikamenten-Einnahme getan hätte.

Die Pubertät ist für viele trans* Personen herausfordernd, weil sich der eigene Körper in eine Richtung entwickelt, die als unangenehm erlebt wird. Das erzeugt bei einigen trans* Personen großes Unwohlsein (in der Fachsprache Dysphorie genannt).

Wie Studien zeigen, leiden trans* Jugendliche oft stark, wenn sie in der Pubertät keinen Zugang zu trans*spezifischer Gesundheitsversorgung haben. Das Risiko eine Depression, Angststörung oder Suizidgedanken zu entwickeln ist erhöht (11).

Dagegen verringert die Einnahme von Pubertäts-Blockern Suizidgedanken. Weitere psychische Belastungen bei trans* Jugendlichen nehmen stark ab bzw. das Wohlbefinden und die Zufriedenheit steigt. Trans* Jugendliche, die von ihrem Umfeld unterstützt werden und in ihrer Identität anerkannt werden, zeigen sich nicht stärker psychisch belastet als cis Jugendliche (12).

Wenn trans* Jugendlichen Pubertäts-Blocker verweigert werden, hat das starke negative Effekte, die nicht rückgängig gemacht werden können. Denn im Gegensatz zur Einnahme von Pubertäts-Blockern ist die Pubertät nicht umkehrbar: Ist die Pubertät einmal durchlaufen, wird es für viele trans* Personen später wesentlich schwieriger, in ihrem Identitätsgeschlecht zu leben. Sie werden dann ihr weiteres Leben lang eher als trans* „erkannt“. Das führt zu einem höheren Risiko, Diskriminierung und Gewalt zu erfahren.

Diese Risiken, die durch ein Vorenthalten der Behandlung im Jugendalter entstehen, und die positiven Effekte von Pubertätsblockern werden in der öffentlichen Diskussion leider häufig vernachlässigt .

Werden Jugendliche übereilten Hormon-Therapien und Operationen unterzogen?

Nein. In der Behandlung von trans* Jugendlichen werden wohlüberlegte Entscheidungen getroffen: Therapeut*innen und Psychiater*innen sind bei jeder jugendlichen trans* Person mehrere Jahre lang eingebunden, bevor Maßnahmen ergriffen werden.

Frühestens mit dem Einsetzen der Pubertät startet eine medizinische Behandlung mit Pubertäts-Blockern. Trans* Jugendliche treffen diese und jede weitere Entscheidung erst nach ausführlicher Beratung.

Zu den sogenannten geschlechtsangleichenden Maßnahmen zählen etwa die Einnahme von Östrogen bzw. Testosteron oder chirurgische Eingriffe. Sowohl Hormon-Therapien als auch operative Maßnahme werden sorgfältig medizinisch und therapeutisch begleitet. Operationen finden vor Vollendung des 18. Lebensjahres nur sehr selten statt.

Wichtig zu wissen ist: Viele trans* und nicht-binäre Personen wollen keine bzw. nicht alle medizinisch möglichen geschlechtsangleichenden Maßnahmen. Welche Maßnahmen Personen für sich in Betracht ziehen, ist sehr individuell. Dennoch gilt der Wunsch nach Hormontherapie und Operationen vielen cis Menschen als „Echtheitsbeweis“ für das Trans*sein.

Diese Sichtweise kann Druck auf trans* Personen ausüben. Die individuellen Bedürfnisse der trans* Personen müssen im Zentrum der Behandlungen stehen, damit sich jede Person für oder auch gegen medizinische Transitionsschritte entscheiden kann.

8. Aber zeigt der Fall Keira Bell und ihre Detransition, dass Jugendliche keine Pubertätsblocker und Hormone bekommen sollten?

Während die überwiegende Mehrheit der trans* Jugendlichen mit den medizinischen Behandlungen sehr zufrieden ist, wird gegen Pubertäts-Blocker (siehe Frage 6) und Hormontherapie immer wieder der Fall "Keira Bell" angeführt.

Keira Bell verklagte eine Klinik, die ihr auf eigenen Wunsch als Teenager pubertäts-blockierende Medikamente und Testosteron verschrieben hatte. Kurzzeitig verbot ein Gericht es daher britischen Ärzt*innen, Pubertätsblocker an unter 16-jährige Jugendliche abzugeben, selbst wenn die Eltern damit einverstanden wären (14).

Dieses Verbot wurde im September 2021 durch die nächsthöhere Instanz wieder aufgehoben. Es sei unangemessen, eine allgemeine Altersgrenze für die Einwilligungsfähigkeit zu definieren (15). Über die Einwilligungsfähigkeit haben die Ärzt*innen zu entscheiden, keine Gerichte, so das Urteil. Der Weg über die Gerichte würde außerdem dazu führen, dass trans* Jugendlichen prinzipiell eine Behandlung verweigert wird. Das dürfe nicht sein. Zudem trugen die Richter*innen der Klinik auf, ihre Wartezeiten für Termine deutlich zu verkürzen, um den Bedürfnissen von trans* Jugendlichen gerecht zu werden.

Outen Jugendliche sich als trans*, um engen Geschlechterrollen zu entkommen?

Nein. Jugendliche outen sich nicht als trans*, weil sie sich davon einen Vorteil versprechen. Sie outen sich, weil die geschlechtliche Zuschreibung von außen nicht stimmt. Es gibt viele Möglichkeiten, wie trans* Personen, jugendlich oder erwachsen, den Prozess beschreiben, der sie zu ihrem Coming-out bewegte. „Weil ich nicht mehr das Gefühl hatte, ich selbst zu sein“, „weil ich aufgehört habe, mich zu spüren“ oder „weil mir diese Zuschreibung die Luft zum Atmen nahm,“ sind mögliche Antworten auf diese Fragen.

Sicher bleibt für viele cis Personen ein Coming-out als trans* schwer nachvollziehbar. Es ist tatsächlich schwer zu vermitteln, was Trans*geschlechtlichkeit bedeutet, wenn es nicht die eigene gelebte Erfahrung ist.

Klar ist jedoch: Bis heute zögern viele trans* Jugendliche über Jahre, bevor sie sich ihrem Umfeld anvertrauen und offen mit Freund*innen, in der Schule oder mit erwachsenen Bezugspersonen über die eigene geschlechtliche Identität sprechen (siehe Frage 10).

Oft versuchen trans* Jugendliche, in der zugeschriebenen Rolle zu leben. Dabei probieren sich einige vor dem Coming-out an den Grenzen von Männlichkeits- oder Weiblichkeits-Vorstellungen aus. Erst wenn sich das Unwohlsein trotz einer neuen Frisur oder Kleidungsstils nicht verringert, wenn einfach der Name, die Anrede und die zugeschriebene Rolle nicht stimmt, trauen sich trans* Jugendliche doch, sich zu outen.

Viele haben große Angst vor den Reaktionen im Umfeld. Und leider gibt es eben diese Berichte von trans* Jugendlichen, die starke Ablehnung im Familien- und Freund*innenkreis oder Mobbing durch Mitschüler*innen erfahren.

Trans* Jugendliche nehmen diese Erfahrungen in Kauf, wenn sie sich outen. Sie outen sich, weil sie sich selbst näherkommen möchten oder die eindringliche Wahrnehmung haben, dass sie im zugeschriebenen Geschlecht nicht mehr leben wollen oder können.

10. Gibt es mehr trans* männliche als trans* weibliche Jugendliche?

Nein. Generell ist es eine erfreuliche Entwicklung, dass sich trans* Kinder und Jugendliche immer früher in ihrem Leben trauen, über ihre geschlechtliche Identität zu sprechen und sich als trans* zu outen.

Dennoch liegen zwischen der persönlichen Erkenntnis (inneres Coming-out) und dem offenen Sprechen über die eigene geschlechtliche Identität (äußeres Coming-out) in vielen Fällen weiterhin mehrere Jahre. In einer Studie unter queeren Jugendlichen stellte das Deutsche Jugendinstitut (DJI) fest, dass bei trans* Mädchen/Frauen zwischen innerem und äußerem Coming-out im Durchschnitt 6,8 Jahre vergingen. Bei trans* Jungen/ Männern und nicht-binären Jugendlichen dagegen verstrichen „nur“ 4,1 bzw. 3,5 Jahre (16). Da sich trans*weibliche Personen meist später outen, gleicht sich erst im Erwachsenenalter das Verhältnis zwischen trans*männlichen, trans*weiblichen und nicht-binären Personen an.

In der weltweit größten Studie unter erwachsenen trans* Personen (ca. 28.000 Teilnehmer*innen) gaben jeweils ungefähr ein Drittel der Teilnehmer*innen an, sich als trans*männlich, trans*weiblich oder als nicht-binär zu identifizieren (17).

Dass heute an vielen Stellen über den Eindruck diskutiert wird, es gäbe mehr trans*männliche oder nicht-binäre Coming-outs, hängt nicht zuletzt auch damit zusammen, dass diese inzwischen ernster genommen werden. In vergangenen Jahrzehnten wurde diesen Coming-outs weniger Beachtung geschenkt. Wenn eine Zunahme von trans*männlichen und nicht-binären Coming-Outs beobachtet wird, hat dies also vor allem mit einem steigenden Bewusstsein und der höheren Sichtbarkeit von trans*männlichen und nicht-binären Lebensweisen zu tun.

Zwingt eine übermächtige „Translobby“ der Gesellschaft ihren Willen auf?

Nein. Heutzutage werden feste Rollen-Zuschreibungen und enge Vorstellungen von Geschlecht deutlicher kritisiert. Es werden mehr Vielfalt und Individualität zugelassen.

Cis Frauen, lesbische, schwule, bisexuelle, trans*, inter* und nicht-binäre Personen verschaffen sich mehr Gehör. Sie alle engagieren sich für Gleichberechtigung, fordern die Anerkennung der Menschenrechte für alle und werden inzwischen mehr wahrgenommen. Das ist ein Fortschritt.

Dass sich Menschen zusammentun, um gemeinsam für Ziele zu streiten, ist nichts Besonderes. Vielmehr gehört es innerhalb einer pluralistischen Demokratie dazu, dass aus der Gesellschaft heraus Anliegen vorgebracht und Forderungen erhoben werden. Interessens-Vertretung ist Teil von Demokratie. So gibt es in Deutschland circa 15.500 Verbände, die sich für die Anliegen ihrer Mitglieder einsetzen.

Ja, es gibt Verbände und Organisationen, die sich für die Verwirklichung der Grundrechte von trans* Personen einsetzen. Sie kritisieren zu Recht die Abwertung, Diskriminierung und Gewalt, die trans* Personen erfahren müssen, und fordern die Anerkennung der in unserem Grundgesetz verbrieften Rechte für diese Gruppe ein. Warum wird es kritisiert, dass sich Mitglieder einer benachteiligten Gruppe zusammenschließen, um sich gegen Diskriminierung einzusetzen?

Grundrechte gelten für alle Menschen. Aufgrund ihrer benachteiligten Position brauchen diskriminierte Gruppen Bündnisse, wenn sie sich Gehör verschaffen wollen. Das Herbeireden einer übermächtigen „Trans-Lobby“ überschätzt ähnlich wie die ebenfalls verbreitete Vorstellung einer „Homo-Lobby“ die finanziellen und politischen Möglichkeiten der wenigen Trans*organisationen.

Gleichzeitig wird damit der gerechtfertigte Einsatz für die Rechte von trans* Personen abgelehnt. Die Verwendung des Begriffs „Lobby“ manipuliert hierbei durch Assoziationen mit Macht-Einfluss, fehlender Transparenz und Verschwörung. Ansprüche auf Gleichbehandlung und Anerkennung sollen damit abgewehrt werden. Doch der Schutz von Grundrechten ist essenziell für Demokratien und begrenzt auch die Macht von Mehrheiten.


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