Islamrat in Pakistan: Transgender-Rechte verstoßen gegen Scharia
Islamabad. Der Rat für Islamische Ideologie (CII) in Pakistan hat das Konzept der geschlechtlichen Selbstbestimmung als "unislamisch" kritisiert. Geltende Antidiskriminierungsgesetze für Transgender-Personen seien nicht mit den Regeln des islamischen Schariarechts vereinbar, sagte der CII-Vorsitzende Qibla Ayaz am Donnerstag der pakistanischen Tageszeitung "Dawn". Er sehe jedoch mit Sorge die sozialen und rechtlichen Probleme von Intersexuellen und Transsexuellen, so der Gelehrte. Der Schutz der grundlegenden Menschenrechte dieser Personen müsse gewährleistet werden.
Der Council of Islamic Ideology ist ein wichtiges Verfassungsorgan in Pakistan, das Regierung und Parlament in Rechtsfragen berät. Zahlreiche Politiker und Geistliche in dem mehrheitlich islamischen Land kritisieren seit langem das 2018 verabschiedete Gesetz zum Schutz von Transgender-Rechten. Sie sehen darin eine "Gefahr für die Familien- und Erbschaftssysteme". In Pakistan gilt das islamische Erbrecht, nach dem Männer doppelt so viel vom Vermögen verstorbener Angehöriger bekommen wie Frauen.
Die pakistanischen Transgender-Bestimmungen werden von Experten im internationalen Vergleich als fortschrittlich eingestuft. So können Betroffene ihre Geschlechtsidentität so wählen, wie sie sie selbst wahrnehmen. Die amtlichen Dokumente werden entsprechend geändert. Offiziell sind unter den rund 235 Millionen Einwohnern Pakistans mehr als 10.500 Transgender-Personen registriert. Schätzungen gehen jedoch von einer deutlich höheren Zahl aus.
Menschenrechte einer Minderheit
Der Transgender Persons (Protection of Rights) Act 2018 formuliert das Recht, als Person mit jedwedem Geschlecht, das als das eigene empfunden wird, anerkannt zu werden. Er erkennt darüber hinaus andere Grundrechte der betroffenen Menschen an. Transmänner und -frauen haben demnach das aktive und passive Wahlrecht sowie Anspruch auf Erbe, Bildung, Berufsanstellung, Gesundheit, Eigentum, Zugang zu öffentlichen Räumen und Versammlungsfreiheit. Dem neuen Gesetz zufolge haben die betroffenen Menschen alle Rechte, welche die Verfassung Pakistans Bürgern zuspricht.
Pakistaner haben somit das Recht, ihr Geschlecht entsprechend ihrer im Innersten subjektiv erlebten Identität zu inszenieren – unabhängig davon, ob dieses Geschlecht ihnen auch bei der Geburt zugeschrieben wurde. Ämter müssen sie mit der selbstgewählten Identität registrieren. Das gilt für sämtliche Zwecke vom Personalausweis über Führerschein und Pass bis hin zu Abschlusszeugnissen. Wer will, kann bestehende Einträge auch entsprechend ändern lassen.
Laut pakistanischem Recht kommt es nur auf das Identitätsempfinden an, aber nicht auf die Genitalien und andere körperlichen Merkmale. Als Transgender-Personen gelten juristisch "alle, deren geschlechtliche Identität oder geschlechtliche Selbstdarstellung von den sozialen Normen und den kulturellen Erwartungen abweicht, die mit dem Geschlecht, das ihnen bei der Geburt zugeschrieben wurde, verbunden sind".
Ein großer Schritt
Für Pakistan, ein muslimisch geprägtes Land mit konservativen Vorstellungen über Geschlechterrollen, ist diese Reform ein großer Schritt. In welchem Maße sie das Leben der betroffenen Community verbessern kann, bleibt abzuwarten. Traditionell sind die Hijras, wie Transvestiten, Transgender-Menschen und Eunuchen in ganz Südasien traditionell genannt werden, eine arme, ausgegrenzte Gemeinschaft am Rande der Gesellschaft.
Es gibt keine zuverlässigen Statistiken über Transgender-Menschen. Laut Volkszählungsdaten von 2017 gibt es in Pakistan rund 10.000 Hijras. Zivilgesellschaftliche Organisationen gehen dagegen von bis zu 500.000 aus. Volkszählungsdaten sind, was diskriminierte Minderheiten angeht, weltweit unzuverlässig. Aus ähnlichen Gründen ist auch nicht bekannt, was für Einkommen und welche Kaufkraft Hijras im Schnitt haben. Es ist aber offensichtlich, dass sie in der Regel unter multidimensionaler Armut leiden.
Pakistans Hijras leben isoliert in kleinen, verstreuten Gemeinschaften und werden von der Mehrheitsgesellschaft verachtet. Ihre Angehörigen verstoßen sie typischerweise, häufig schon bald nach der Geburt. Rückhalt finden sie nur bei Ihresgleichen. Ohne Chance auf sinnstiftende Berufstätigkeit schlagen sie sich mit Betteln, Schautänzen und Prostitution durch.
Sie werden ihr Leben lang verlacht und verspottet. Ständig drohen Belästigung, Gewalt, Ausbeutung und Vergewaltigung. Auch die Polizei wird allzu oft übergriffig. Nach Jahrzehnten der Vernachlässigung und Verfolgung bietet der Transgender Persons (Protection of Rights) Act nun neue Hoffnung – doch die strukturelle und systemische Diskriminierung ist noch längst nicht beendet. Die Behörden müssen sich nun auch an die neuen Prinzipien halten.
Richtersprüche
Völlig neu sind die neuen Prinzipien nicht. Die Justiz schafft bereits seit einem Jahrzehnt die Grundlagen, denn der Supreme Court Pakistans hat mehrere Entscheidungen zugunsten der Transgender-Community getroffen. Der erste Impuls ging von einem Anwalt aus, der 2009 eine Petition zum Schutz der Hijras einreichte. Bald darauf urteilte der Supreme Court, der Staat müsse sie mit dem Ziel umfassender sozialer Inklusion amtlich registrieren.
2012 entschied der Supreme Court dann, Hirjas hätten Anspruch auf Eintrag ins Wahlregister. Sie dürften sich auch als drittes Geschlecht bezeichnen. 2013 erkannte der Supreme Court Transgender-Menschen als gleichberechtigte Bürger an. Er hielt fest, sie genössen alle verfassungsgemäßen Grundrechte. Erwähnt wurden ausdrücklich das Recht auf Erbschaft, Identität, berufliche Beschäftigung sowie Schutz vor Schikanen von Polizei und anderen Sicherheitskräften.
Das Parlament hat diese Prinzipien im März auch gesetzgeberisch festgeschrieben. Seither sind viele wichtige Dinge erstmals passiert:
Schon im März wurde eine 21-jährige Journalistin zur ersten Transgender-Nachrichtensprecherin im Fernsehen.
Im April wurde die erste Berufsschule für Transgender-Menschen eröffnet.
Im August bekam erstmals ein Transgender-Mensch ein Bankkonto, und ein anderer startete eine eigene Modemarke.
Die Liste ließe sich fortsetzen. Solche Ereignisse zeigen, dass einige Betroffene vom Kulturwandel profitieren. Ihre Erfahrungen sind aber möglicherweise nicht typisch.
Diskriminierung gibt es jedenfalls weiterhin. Im September töteten vier Männer eine Transgender-Person, die sich gegen eine sexualisierte Attacke wehrte. Das Opfer wurde angezündet und starb an schweren Verbrennungen. Drei Tage später musste ein Vertreter der Law and Justice Commission dem Supreme Court Bericht erstatten. Seinen Aussagen zufolge wurden in den vergangenen drei Jahren mindestens 500 Transgender-Menschen getötet.
In derselben Sitzung kündigte Supreme-Court-Präsident Mian Saqib Nisar an, sein Gericht werde künftig Transgender-Menschen als Personal einstellen. Beobachter werten das als wichtiges Signal, der Alltag bleibt aber für viele Hijras trotzdem hart und bitter. Schikanen, Spott und Stigmatisierung halten an. Würde und leibliche Unversehrtheit werden ständig infrage gestellt. Die Zeit wird zeigen, welchen Wandel die Gesetzesreform im Alltag bringt.
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