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Nikita Noemi Rothenbächer 2015
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Geschlechtsidentität
im deutschen Recht
Eine "Geschlechtsidentität" haben alle Menschen,
diese wird aber nur dann thematisiert, wenn sie von der Norm abweicht. Zwei
große Fragestellungen der Geschlechtsidentität fordern das Rechtssystem heraus:
Transgender und Intersex.
Einleitung
Das Recht ist seit jeher ein Ort, in dem Geschlechterfragen
verhandelt werden, und demokratisch gesetztes Recht bewegt sich immer im
Spannungsfeld zwischen Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz. Nun ist es kein
Ding der Unmöglichkeit, eine Mehrheit von den schützenswerten Interessen einer
Minderheit zu überzeugen. Eine Herausforderung ist es aber allemal, und dies
gilt vor allem für Fragen des Geschlechts. Die historisch wie aktuell relevante
gesellschaftliche Ordnungskategorie "Geschlecht" hat - vergleichbar
mit der Hautfarbe - die Eigenschaft, insbesondere dann unsichtbar zu sein, wenn
sie unproblematisch ist, das heißt der Vorstellung des gesellschaftlich (und
rechtlich) gesetzten "Normal-Subjekts" entspricht.
"Geschlecht" wird aufgrund dieser Dynamik ebenso wie gender
regelmäßig mit der "Frauenfrage" gleichgesetzt. Und auch die
"Geschlechtsidentität" ist eine Eigenschaft, die alle Menschen
tragen, die aber nur dann thematisiert wird, wenn sie von der Norm abweicht und
so zur Herausforderung für das Rechtssystem wird.
Geschlecht und
Geschlechtsidentität als unbestimmte Rechtsbegriffe
Ob und wie Geschlechtsidentität ausgelebt werden darf,
unterliegt rechtlicher Regulierung. Weder Geschlecht noch Geschlechtsidentität
werden allerdings vom Recht definiert. "Geschlecht" ist als
Rechtsbegriff von schwindender Bedeutung. Immer weniger Rechtsvorschriften
knüpfen an das Geschlecht an. Dies ist natürliche Folge der Anwendung
derjenigen Vorschriften, die dies noch tun, nämlich der nationalen,
internationalen und europäischen Verbote von Diskriminierung "wegen des
Geschlechts". Artikel 3 Absatz 3 Grundgesetz (GG) verbietet die
Diskriminierung unter anderem wegen des Geschlechts, sie ist nach der seit 20
Jahren gefestigten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) aber
gerechtfertigt, wenn sie auf "natürlichen Gründen" beruht. Mit natürlichen
Gründen sind biologische gemeint, das heißt, gesellschaftliche Zuschreibungen
und Aufgabenzuweisungen sind nach dieser Rechtsprechung keine anerkannten
Differenzierungsgründe mehr sie waren es zuvor jahrzehntelang.[1] Das Recht
knüpft immer seltener und aktuell nur noch an zwei Stellen an das Geschlecht
an: Bei der Entscheidung, ob zwei Menschen (wegen der Verschieden-
beziehungsweise Gleichgeschlechtlichkeit ihrer Verbindung) heiraten oder sich
"verpartnern" können, und in Artikel 12a GG (Wehrpflicht nur für
Männer).
"Geschlecht" wird im Recht also an sich nur noch
mit antidiskriminatorischer Zielsetzung und so gut wir gar nicht mehr
affirmativ genannt. Dennoch hält das Recht an der Bedeutsamkeit der Frage, wer
eigentlich welches Geschlecht "hat", fest: Das Geschlecht eines
Menschen wird auf seinem Reisepass (Paragraf 4 Absatz 1 Nr. 6 Passgesetz) sowie
seiner Geburtsurkunde (Paragraf 59 Absatz 1 Nr. 2 Personenstandsgesetz (PStG))
vermerkt, und es ist im Geburtsregister (Paragraf 21 Absatz 1 Nr. 3 PStG)
erfasst. Keine dieser Regelungen, auf die noch einzugehen ist, enthält eine
Definition des Begriffes
"Geschlecht".
Das Recht erklärt
weder, was Geschlecht ist, noch, wie die Geschlechtszugehörigkeit festzustellen
ist.
Da das AGG und einige Landesverfassungen[2] den Begriff
"sexuelle Identität" verwenden, und damit sowohl die individuelle
Geschlechtsidentität, das heißt die Frage, welchem Geschlecht sich ein Mensch
zugehörig empfindet, als auch die sexuelle Orientierung meinen, ist es im deutschen
Rechtsdiskurs empfehlenswert von "Geschlechtsidentität" zu sprechen,
wenn tatsächlich das individuelle Geschlechtszugehörigkeitsempfinden allein und
nicht (auch) die sexuelle Orientierung gemeint ist. Dies entspricht auch dem
Sprachgebrauch des BVerfG. Explizit verankert ist der Schutz von
"Geschlechtsidentität" nicht.
Schutz von
Geschlechtsidentität
Die Annahme, dass es zwei und nur zwei Geschlechter gibt,
die sich aufgrund körperlicher Merkmale auf natürliche Weise voneinander
unterscheiden, und jeder Mensch (nur) einem dieser beiden Geschlechter
eindeutig und unwandelbar zugehört, ist Teil des nicht hinterfragten
Alltagswissens, sie prägt unsere Gesellschaft und dementsprechend unser
Rechtssystem. Der Schutz von Geschlechtsidentität ist selbstredend
gewährleistet, solange diese Annahme bestätigt wird, das heißt das
Geschlechtszugehörigkeitsempfinden sich innerhalb dieses binären Systems der
Zweigeschlechtlichkeit bewegt und nicht von dem Geschlecht abweicht, das bei
Geburt zugewiesen wurde. Dass es durchaus Fälle gibt, auf die diese Annahme
nicht zutrifft, gelangt allmählich ins öffentliche Bewusstsein und ist auch dem
Recht nicht verborgen geblieben. Obwohl der Alltag von Personen mit
"auffälliger" Geschlechtsidentität von zahlreichen Diskriminierungen
geprägt ist, die teilweise traumatisierend sind, wird - in der Bundesrepublik -
der Schutz von Geschlechtsidentität nicht im Antidiskriminierungsrecht, sondern
anlässlich der Frage der personenstandsrechtlichen Anerkennung dieser
"abweichenden" Geschlechtsidentität verhandelt. Dies ist dem Umstand
geschuldet, dass das Personenstandsrecht reguliert, welche Informationen
persönliche Dokumente wie Ausweise, Pässe, Geburtsurkunden und - diesen
entsprechend - Zeugnisse und sonstige Bescheide (zwangs-)offenbaren.
Und diese Regulierung bewirkt, dass man an das Geschlecht,
das einem bei Geburt zugewiesen wurde, gebunden ist, man kann dieses
"rechtliche Geschlecht" nicht ohne Weiteres, also nicht nach
Belieben, ändern. Die Geschlechtsidentität eines Menschen lässt sich bei dessen
Geburt jedoch nicht erkennen.
Sie entwickelt sich erst im Laufe seines Lebens und hängt
vor allem von psychischen Faktoren ab. Ob und welche somatischen Faktoren dabei
eine Rolle spielen, ist umstritten. Dennoch werden die beiden Hauptanwendungsfälle
eines Rechts auf (ungestörtes Ausleben der) Geschlechtsidentität danach
unterschieden, ob sie auf einer angeborenen körperlichen Besonderheit beruhen
oder nicht: Von "Intersex" wird bei uneindeutigen
Geschlechtsmerkmalen gesprochen, von "Transgender" oder
"Transsexualität", wenn die Geschlechtsidentität nicht mit dem an
sich "eindeutigen" Körper übereinstimmt.
Transgender
Der Schauplatz der Anerkennungskämpfe von Transidentitäten
heißt in Deutschland "Gesetz über die Änderung der Vornamen und die
Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen -
Transsexuellengesetz" (TSG) und ist wie jedes Gesetz ein Kind seiner Zeit.
Die in der Regelung verwendeten Ausdrücke
"Transsexuelle" und "Transsexualismus" entsprechen dem Sprachgebrauch
der Entstehungszeit (1980) und lassen erkennen, dass dem TSG das damals
durchaus zeitgemäße Konzept "Transsexualität" zugrunde liegt. Dieses
basiert auf einer (pathologisierenden) Vorstellung von Transidentität als
psychischer Störung, deren Vorliegen an die Diagnose einiger Schlüsselsymptome
geknüpft ist: der seit der Kindheit
bestehende Wunsch eindeutig dem anderen Geschlecht zuzugehören, eine
heterosexuelle Orientierung im empfundenen Geschlecht sowie Hass auf die
eigenen Genitalien und dementsprechend der Wunsch, körperliche
Angleichungsmaßnahmen vorzunehmen.
Mittlerweile haben Betroffene (mehr) Definitionsmacht
eingefordert, und hat die Sexualforschung diese Diagnostik revidiert. Das
Unbehagen hinsichtlich des zugewiesenen Geschlechts kann, muss aber nicht
unbedingt mit dem Wunsch nach hormonellen oder chirurgischen Maßnahmen
einhergehen, kann uneindeutige, auch zwischengeschlechtliche Verortungen
einschließen und ist an keine bestimmte sexuelle Orientierung gekoppelt. Dies
hat zum einen zur Einführung des Begriffs "Transgender" oder sogar
"Trans*" geführt, um die Abgrenzung zu dem Ausschlüsse produzierenden
Konzept "Transsexualität" zu verdeutlichen beziehungsweise sich der
zuschreibenden Vergeschlechtlichung ganz zu entledigen, und zum anderen zu
Revisionen des TSG durch das BVerfG.
Acht Mal hat sich das BVerfG bisher mit Fragen von
Transidentität beschäftigt, sechs Mal ging es um Regelungen des TSG, die dann
jeweils für verfassungswidrig und unanwendbar erklärt wurden. In der ersten
Entscheidung des BVerfG zum Thema Transsexualität ging es um die Ermöglichung
der Personenstandsänderung überhaupt: 1978 gab es noch kein TSG und damit keine
gesetzliche Möglichkeit, den Geschlechtseintrag zu ändern.
Das BVerfG befand, dass das Recht auf Anpassung des
rechtlichen Geschlechts bei Vorliegen einer medizinisch feststellbaren
"transsexuellen Prägung" im Grundrecht des Allgemeinen
Persönlichkeitsrechts enthalten sei und forderte den Gesetzgeber auf, ein
Verfahren dafür zu installieren. Das war 1978 eine geradezu revolutionäre
Infragestellung der gesellschaftlichen Grundannahme der Unwandelbarkeit des
Geschlechts.
Der nachfolgende Gesetzgebungsprozess hatte die
Ressentiments und Berührungsängste zu überwinden, die allem geschlechtlich
Unangepassten anhaften. Das Ergebnis war ein Gesetz, dass allein in seiner
Existenz einen bahnbrechenden Fortschritt bedeutete (nur Schweden hatte bereits
ein ähnliches Gesetz), in seiner Ausgestaltung aber doch recht restriktiv und
vor allem deutlich von den Schlüsselsymptomen der Sexualforschung der 1970er
Jahre geprägt war.
Die beiden Altersbeschränkungen ab jeweils 25 Jahren etwa
waren Zugeständnisse an den schwer zu überzeugenden Bundesrat gewesen und
wurden durch die zweite und dritte Entscheidung des BVerfG beseitigt.[11] Das
TSG kennt zwei Verfahrensarten: Bei der "großen Lösung" (Paragraf 8
TSG) wird die Zugehörigkeit zum anderen Geschlecht gerichtlich festgestellt,
das heißt, Geburtseintrag und -urkunde sowie alle anderen Dokumente werden
hinsichtlich des Geschlechtseintrags geändert, ein neuer Vorname kann
eingetragen werden. Die "kleine Lösung" ermöglicht die Änderung des
Vornamens (Paragraf 1 TSG), ohne dass das jedoch Auswirkungen auf das
"rechtliche" Geschlecht hat.
Der neue Vorname kann bei der "kleinen Lösung" in
alle Dokumente eingetragen werden; eine Reform des Passgesetzes erlaubt seit
2007 sogar, dass der Geschlechtsvermerk im Pass dem Geschlecht, auf das der
neue Vorname verweist, angepasst wird (also im Widerspruch zum
"rechtlichen Geschlecht" steht).
Dass eine Änderung des Vornamens nur Sinn ergibt, wenn die
betroffene Person gleichzeitig im empfundenen Geschlecht angeredet wird, hat
das BVerfG in seiner vierten Entscheidung festgestellt.
Dies bewirkt, dass die Vornamensänderung auch Auswirkungen
auf etwaige Titel hat.
Die Geburtsurkunde einer adeligen Transfrau, die lediglich
die "kleine Lösung" durchlaufen hat, kann sich also so lesen:
"L. I. Freifrau ..., männlichen Geschlechts". Warum diese merkwürdige Konstruktion
auseinanderfallender Geschlechtsmarker?
Die "kleine Lösung" war als Durchgangsstadium
konzipiert worden, um eine erhebliche Alltagserleichterung zu bieten, bevor die
Voraussetzungen der "großen Lösung" vorlagen. Denn die "große
Lösung" hatte ursprünglich sehr viel höhere Voraussetzungen als die
"kleine".
Beide Varianten setzen eine dauerhafte, wahrscheinlich
irreversible "transsexuelle Prägung" voraus. Die weiteren
Voraussetzungen des rechtlichen Geschlechtswechsels waren bis zur siebten
Entscheidung des BVerfG das Erfordernis,
nicht im Ausgangsgeschlecht verheiratet zu sein, und bis zur achten
Entscheidung die Vornahme
(chirurgischer) Angleichungsmaßnahmen inklusive der Beseitigung der
Fortpflanzungsfähigkeit.
Das Erfordernis der Ehelosigkeit verhinderte, dass durch Änderung
des rechtlichen Geschlechts eines Ehepartners dessen bestehende Ehe zur
"Homo-Ehe" wurde, was vor und sogar nach Einführung der eingetragenen
Lebenspartnerschaft nicht erwünscht war.
Das BVerfG fand dies ein durchaus legitimes Anliegen des
Gesetzgebers, das jedoch vom individuellen Recht, nicht zur Scheidung gezwungen
zu werden, übertroffen würde. Die Voraussetzungen der Fortpflanzungsunfähigkeit
und der Angleichungsoperation waren Ausdruck der Relevanz, die einer
körperlichen Verschiedenheit der Geschlechter(funktionen) gesellschaftlich
beigemessen wird.
Der von diesen Vorschriften ausgehende "OP-Zwang"
war vor der sie aufhebenden Entscheidung Gegenstand rechtspolitischer
Diskussion gewesen:[ Seit Längerem schon
war in Medizin und Sexualforschung die Annahme, wer transsexuell sei, brauche
operative Geschlechtsangleichung, und nur, wer operative Geschlechtsangleichung
anstrebe, sei transsexuell, als Zirkelschluss entlarvt und waren vielfältigere Formen als ebenso
"echte" Transidentität erkannt worden.
Bereits in seiner fünften Entscheidung hatte das BVerfG die Notwendigkeit des
"OP-Zwangs" infrage gestellt, da viele Betroffene dauerhaft in der
"kleinen Lösung" verblieben, weil sie die Voraussetzungen für die
"große" nicht erfüllen könnten oder wollten. Gegenstand der
Entscheidung war allerdings Paragraf 7 Absatz 1 Nr. 3, nach dem im Falle einer
Eheschließung im rechtlichen Geschlecht der in der "kleinen Lösung"
geänderte Vorname in den alten Vornamen zurück zu ändern war. Hintergrund war
zum einen die Annahme, die Eheschließung beweise, dass sich die Person nunmehr
erneut in ihrem "Ausgangsgeschlecht" verorte, und zum anderen das gesetzgeberische Anliegen,
den Anschein einer "Homo-Ehe" zu verhindern, der durch Eheschließung
zweier rechtlich verschiedengeschlechtlich, aber nach den Vornamen als
gleichgeschlechtlich zu beurteilende Menschen entstünde.
Auch hier hielt das BVerfG die Bemühungen des Gesetzgebers,
die Verschiedengeschlechtlichkeit der Ehe zu schützen, für legitim, ließ dies aber
zurücktreten hinter die überwiegenden Rechte erstens auf einen Vornamen, der
Ausdruck der empfundenen Geschlechtsidentität ist, und zweitens auf die
Möglichkeit, mit der Person seiner Wahl irgendeine Form der rechtlich
verbindlichen Partnerschaft eingehen zu können.
Die fünfte, siebte und achte Entscheidung sind Ausdruck der
Verquickung von Fragen der Geschlechtsidentität und der sexuellen Orientierung:
Auch die achte Entscheidung stand im Zusammenhang mit der Frage, ob einem
rechtlich verschiedengeschlechtlichen, aber nach den (der Geschlechtsidentität
entsprechenden) Vornamen gleichgeschlechtlichen Paar die Ehe oder die
Lebenspartnerschaft offenstehen sollte.
Das BVerfG entschied sich dafür, die Änderung des
rechtlichen Geschlechts auch ohne körperliche Angleichung zuzulassen, um das
Eingehen einer (der empfundenen gleichgeschlechtlichen Orientierung der
Beschwerdeführerin entsprechenden) Lebenspartnerschaft zu ermöglichen - und
gleichzeitig den Anschein einer "Homo-Ehe" zu verhindern.
Mehrere Paradigmenwechsel haben durch diese Entscheidungen
stattgefunden. Mit der Aufgabe der körperlichen Basis von Geschlecht lässt das
BVerfG Menschen mit widersprüchlichen "Geschlechtsmerkmalen" zu, was
geradezu revolutionär erscheint, aber der Rechtslage vieler anderer Länder
entspricht, etwa Großbritanniens und Spaniens. Die Anerkennung einer
gleichgeschlechtlichen Orientierung im empfundenen Geschlecht entspricht nicht
nur aktueller Sexualforschung, sondern einer größeren gesellschaftlichen und
rechtlichen Anerkennung gleichgeschlechtlicher Orientierung überhaupt.
Die Argumentation mit dem legitimen gesetzgeberischen
Anliegen, "Homo-Ehen" oder deren Anschein verhindern zu wollen,
scheint zwar eine Verteidigung der letzten Bastion der Strukturmerkmale der Ehe
zu sein.
Zu beachten ist aber, dass sie in der fünften und siebten
Entscheidung zugunsten der individuellen Rechte unterliegen musste und in der
achten Entscheidung praktisch die Krücke war, mithilfe derer die Aufgabe der
hoch umstrittenen Voraussetzungen Fortpflanzungsunfähigkeit und
Angleichungsoperation gerechtfertigt wurde.
Das BVerfG meint es offensichtlich gut mit transidenten
Menschen. Jedes bisher geführte Verfahren hatte Erfolg und führte zu einer
Verbesserung der Rechtslage. Die sechste Entscheidung steht ebenfalls unter
diesem Zeichen, sie erweiterte den Kreis derjenigen, auf die das TSG anwendbar
ist.
Dennoch bleibt noch Einiges zu tun. Die Rede von
"Ausgangsgeschlecht", "Geschlechtswechsel" und
"Umwandlungsoperationen" suggeriert, dass das "alte"
Geschlecht wirklich einmal das "wahre" Geschlecht war, das nun
geändert wird. Tatsächlich wird meist durch die Änderung des Vornamens, des
Personenstands und gegebenenfalls des Körpers nur einer immer schon bestehenden
- psychisch begründeten - Geschlechtszugehörigkeit Ausdruck verliehen.
Gleichzeitig ist nicht zu verlangen, dass das
Geschlechtszugehörigkeitsempfinden unwandelbar, also schon seit Kindheit und
lebenslang bestehen müsse. Temporäre Geschlechtswechsel sollten Teil einer
möglichen und anerkennungsfähigen Transidentität sein; für sie bietet das TSG
mit seiner jetzigen Voraussetzung der Dauerhaftigkeit keinen Raum. Mit dem
Wegfallen der weiteren Voraussetzungen ist jetzt die "große Lösung"
zwar zum Preis der "kleinen" zu haben, das heißt so niederschwellig
wie nie. Einfach ist ein rechtlicher Geschlechtswechsel dennoch nicht.
Die von Paragraf 4 Absatz 3 TSG vorausgesetzten Gutachten
legen den Betroffenen ein langwieriges und kostspieliges Verfahren auf; dass
Paragraf 1 Absatz 1 Nr. 1 verlangt, vor der Vornamensänderung bereits ganze
drei Jahre lang im empfundenen Geschlecht zu leben ("Alltagstest"),
ist für viele schlicht eine Zumutung und konterkariert die Idee, die
Vornamensänderung solle vor der Personenstandsänderung den Alltag, insbesondere
im Umgang mit Arbeitgebern und Behörden, erleichtern.
Diese Umstände, nicht ihre geschlechtliche Identität, sind
für die Betroffenen Auslöser von Traumatisierungen.
Das BVerfG hat dem Gesetzgeber anheimgestellt, wie er mit
der Nichtanwendbarkeit der verfassungswidrigen Voraussetzungen umgeht. Er könne
etwa durch eine Veränderung der Voraussetzungen für die Nachweisbarkeit der
Transidentität dafür sorgen, dass die Unterscheidung in "kleine" und
"große Lösung" aufrechterhalten wird, aber auch das TSG einer Gesamtreform
unterziehen.
Dies lässt befürchten, dass sich die ohnehin schon
problematische Gutachterpraxis verschärft, und gleichzeitig hoffen, dass das
TSG in einer Gesamtüberarbeitung noch von weiteren diskriminierenden, aber
bisher noch nicht angegriffenen Regelungen bereinigt wird.
Das BVerfG sieht zu Recht den Schutz der
Geschlechtsidentität im Allgemeinen Persönlichkeitsrecht verankert. Über diese
individualistische Fassung hinaus wäre es angebracht, die Hürden, die
Gesellschaft und Rechtssystem dem Ausleben einer normabweichenden
Geschlechtsidentität entgegensetzen, als Geschlechtsdiskriminierung zu sehen,
da letztlich Menschen danach bevorzugt oder benachteiligt werden, ob sie die
Erwartung, sich einem von zwei vorausgesetzten und voneinander klar
unterschiedenen Geschlechtern, und möglichst dem bei Geburt zugewiesenen,
zuzuordnen, erfüllen oder nicht.
Diese Erwartung ist Teil der vielseitigen Zuschreibungen,
welche die Kategorisierung "Geschlecht" bedingt, und die Artikel 3
Absatz 3 GG verbietet zu berücksichtigen.
Eine solche antidiskriminatorische Fassung würde die
Privilegierung, die eine normkonforme Geschlechtsidentität bedeutet, in den
Blick rücken und hätte im Vergleich zum Schutz über die individuelle Freiheit
der Persönlichkeit ein höheres emanzipatorisches Potenzial. Dies gilt auch für
die Behandlung der anderen großen Fragestellung der Geschlechtsidentität:
Intersex.
Intersex
Auch hier geht es um die Anerkennung einer normabweichenden
Geschlechtszugehörigkeit. Während im Rahmen der rechtlichen Behandlung von
Trans*-Fragen hauptsächlich der Wechsel von einem zum anderen herkömmlichen
Geschlecht (männlich oder weiblich) und zwischengeschlechtliche Verortungen
bisher nur am Rande und in der Verfassungsrechtsprechung noch gar nicht thematisiert
wurden, ist genau dies bei Inter*-Fragen virulent. Seit Einführung des
Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) ist der "Zwitter" aus dem deutschen
Rechtssystem verschwunden, die Eintragung eines weder männlichen noch
weiblichen Geschlechts in Geburtsregister, -urkunde und Pass ist bisher noch
nicht erreicht worden.
Die Thematik hat aber öffentliche Aufmerksamkeit erlangt,
Bundestag und Landesparlamente und jüngst der Deutsche Ethikrat im Auftrag der
Bundesregierung beschäftigen sich mit ihr.
Mangels gesetzgeberischer Initiative bleibt zu hoffen, dass
sich das BVerfG, das bisher noch nicht mit der Frage befasst worden ist, zu ihr
äußert und - wie in der Geschichte von Trans*-Rechten - zum Wegbereiter wird.
Nach heutigem Recht gilt, wie bereits erwähnt, dass das
Geschlecht eines Menschen registriert werden muss.
Welcher Art der Geschlechtseintrag zu sein hat, ist
gesetzlich nicht vorgegeben, seit 2010 weist eine Verwaltungsvorschrift die
Standesbeamt_innen erstmals an, entweder "männlich" oder "weiblich"
einzutragen.
Verheißungsvoll und fortschrittlich schien die Änderung des
PstG zu sein, nach der seit 2009 auf Antrag eine Geburtsurkunde ohne Eintrag
des Geschlechts ausgestellt werden kann.
Dies mag eine begrenzte Alltagserleichterung bedeuten, aber
keine echte "Geschlechtsfreiheit": Der Eintrag im Geburtsregister
bleibt bestehen, es muss ein binär codiertes Geschlecht eingetragen werden.
Drängend sind aber auch andere Problematiken. Nach wie vor
werden Kinder mit uneindeutigen Genitalien an diesen operiert, bevor sie
Einwilligungsfähigkeit erlangt haben. Dies kann verhindern, dass sich die
Geschlechtsidentität des Kindes (zu welchem Geschlecht auch immer) ungestört
entwickeln kann. Durch die Veränderung an den empfindlichen Sexualorganen wird
die sexuelle Selbstbestimmung erheblich beeinträchtigt. Das Recht auf sexuelle
Selbstbestimmung ist nicht nur Teil des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts,
sondern wird von der Kinderrechtskonvention ebenso wie vom Strafrecht
geschützt: Zu Recht wird die straf- und deliktsrechtliche Bedeutung von
Operationen angenommen, die vor der entstehenden Möglichkeit einer
Einflussnahme durch die Betroffenen vorgenommen werden.
Es geht dabei einerseits um die Ärzt_innen, die sich wegen
Verletzung von Aufklärungspflichten und unter Umständen sogar wegen der
rechtlichen Unmöglichkeit einer Einwilligung in sterilisierende Operationen
nach Paragraf 1631c BGB strafrechtlich verantworten müssten, und andererseits
um die Eltern, die möglicherweise gar nicht vertretungsbefugt sind, also die
Zustimmung ihrer Kinder nicht ersetzen können.
Hier besteht
erheblicher Regelungsbedarf. So ist zu verhindern, dass Eltern aus Mangel an
Information oder aus Furcht vor einer stigmatisierenden
"Besonderheit" ihres Kindes Angleichungsoperationen geschehen lassen,
ohne die möglicherweise traumatischen Folgen abschätzen zu können. Außerdem ist
zu betonen, dass ein Heileingriff grundsätzlich zur Verbesserung des
Wohlbefindens des/der Patient_in, nicht der Angehörigen, stattzufinden hat.
Mit seiner achten Entscheidung zur Transidentität hat das
BVerfG die Rechtskategorie "Geschlecht" auf radikale Weise
dekonstruiert und denaturalisiert, indem es ihr die Notwendigkeit einer
körperlichen Basis abgesprochen hat. Damit könnte rechtsdogmatisch wie
-politisch der Weg für eine ebenso radikale Verbesserung der
Intersex-Rechtslage bereitet werden.
Wichtige Argumentationen der Entscheidung lassen sich für
Inter*-Belange ins Feld führen, etwa: "Die personenstandsrechtliche
Anerkennung des empfundenen Geschlechts darf nicht von Voraussetzungen abhängig
gemacht werden, die schwere Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit
bedingen und mit gesundheitlichen Risiken verbunden sind, wenn diese nach
wissenschaftlichem Kenntnisstand keine notwendige Voraussetzung einer
dauerhaften und erkennbaren Änderung der Geschlechtszugehörigkeit sind."
Dies müsste doch umso mehr gelten, wenn gar keine Änderung,
sondern lediglich die Anerkennung einer von vornherein bestehenden Identität
angestrebt wird. Auch die Aussage, eine "Operation, mit der die
Geschlechtsmerkmale eines Menschen großteils entfernt beziehungsweise so
umgeformt werden, dass sie im Aussehen dem empfundenen Geschlecht möglichst
weitgehend entsprechen," stelle "eine massive Beeinträchtigung der
von Art. 2 Abs. 2 GG geschützten körperlichen Unversehrtheit mit erheblichen
gesundheitlichen Risiken und Nebenwirkungen für den Betroffenen dar", gilt
erst recht, wenn nicht zum empfundenen Geschlecht hin, sondern eine ganz
individuelle Geschlechtszugehörigkeit wegoperiert wird.
Drittes Geschlecht?
Warum überhaupt Geschlecht?
In der
rechtspolitischen Diskussion wird, neben der straf-, medizin- und
sorgerechtlichen Regulierung der Fälle, der Ruf nach der Möglichkeit eines
Geschlechtseintrags laut, der weder männlich noch weiblich lautet, eines
dritten Geschlechts also. Die Forderung ist mittelfristig zu unterstützen, als
sie zwischengeschlechtlichen Identifikationen die rechtliche Anerkennung
verleihen würde, die sie verdienen. Dies könnte unter Umständen auch den
Zuweisungsdruck nehmen, unter dem Ärzt_innen und Eltern bei Geburt eines
geschlechtlich uneindeutigen Babys stehen. Die Zuweisung eines binären
Erziehungsgeschlechts mag aber gesellschaftlich praktikabel bleiben. Eine
solche neue Geschlechtsgruppe birgt aber die Gefahr der Essenzialisierung der
herkömmlichen beiden Gruppen.
"Echte"
Männer und "echte" Frauen blieben sicherlich die hegemonialen
Geschlechtskategorien, das "dritte Geschlecht" ein Sammelbecken für
alles geschlechtlich Abweichende und Marginalisierte. Vielversprechender
scheint die (näher rückende?) Utopie, auf die Geschlechtszuweisung und
-erfassung ganz zu verzichten.
Wozu braucht das
Recht "Geschlecht"?
Affirmativ wie
beschrieben eigentlich gar nicht mehr. Als Grund für leider nach wie vor zu
befürchtende Diskriminierungen muss das Recht "Geschlecht" noch
kennen. Dafür bedarf es aber keiner registerrechtlichen Erfassung - Rassismus
kann schließlich auch benannt werden, ohne dass es eines
"Rasseeintrags" im Geburtsregister bedarf.
Recht würde
"Geschlecht" dann nur noch in diesem antidiskriminatorischen Sinne
gebrauchen, und damit darauf hinwirken, dass Geschlecht gesellschaftlich als
etwas ganz Persönliches, Individuelles behandelt wird, dass mit der
körperlichen Ausstattung zusammenhängen kann, aber nicht muss, und vor allem
von dem abhängt, was sich im Kopf abspielt, oder, wie jüngst der
"Tatort" titelte: "Zwischen den Ohren".
Jenseits von Mann
und Frau – Anhörung des Deutschen Ethikrates zum Thema Intersexualität
Dürfen zwischengeschlechtlich geborene Kinder medizinisch
vereindeutigt werden? Viele Betroffene im Erwachsenenalter beklagen die für sie
belastenden Folgen solcher meist irreversibler Eingriffe und fordern deren
Verbot. Im Zuge der öffentlichen Anhörung des Deutschen Ethikrates am 8. Juni
2011 in Berlin wurden ethische, medizinische, rechtliche, psychologische und
gesellschaftliche Fragen im Umgang mit Intersexualität lebhaft und kontrovers
diskutiert.
Mit Intersexualität bezeichnet man unterschiedliche Formen
der Uneindeutigkeit der Geschlechtszugehörigkeit eines Menschen. Sie beruht auf
der fehlenden Übereinstimmung zwischen den äußeren und inneren körperlichen
Geschlechtsmerkmalen und den genetischen Merkmalen eines Menschen.
Intersexualität ist ein Thema, das in der Öffentlichkeit immer noch tabuisiert
wird. Dabei sind grundsätzliche Fragen der Medizin und der Ethik, der
Grundrechte von Betroffenen und unseres Verständnisses von Geschlechtlichkeit
betroffen.
Für den Deutschen Ethikrat ist das Thema Intersexualität
Anlass, erstmals eine onlinebasierte Beteiligungsplattform zu starten. Die
Debatte zum Thema Intersexualität kann ab sofort auf diskurs.ethikrat.org
öffentlich fortgeführt werden.
In den beiden Foren zu den Themen „Medizinische Behandlung,
Indikation, Einwilligung“ sowie „Lebensqualität, gesellschaftliche Situation
und Perspektiven von Menschen mit Intersexualität“ stellten Experten und
Betroffene ihre Positionen zum Thema vor. Im Anschluss folgte eine Befragung
durch die Mitglieder des Deutschen Ethikrates. Publikumsanwälte sammelten
schließlich Fragen der anwesenden Öffentlichkeit ein und richteten sie
gebündelt an die Sachverständigen.
Zu diesen zählten Mediziner, Psychologen, Juristen,
Vertreter von Elterninitiativen, Betroffenenvereinen und -organisationen. Ziel
der Anhörung und des sich an die Anhörung anschließenden öffentlichen Diskurses
(bis 31. Juli 2011) auf diskurs.ethikrat.org ist die Erarbeitung einer Stellungnahme
des Ethikrates zum Thema Intersexualität für die Bundesregierung bis Ende 2011.
Als besonders kontrovers erwiesen sich folgende Fragen:
Dürfen intersexuell Neugeborene und Kleinkinder durch medizinische Eingriffe
dem männlichen oder weiblichen Geschlecht zugewiesen werden? Wird damit in
unzulässiger Weise in das Grundrecht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit
und in sein Persönlichkeitsrecht, dass das Recht auf Selbstbestimmung,
Fortpflanzung und eigene geschlechtliche und sexuelle Identität umfasst,
eingegriffen? Wie weit geht das Elternrecht zur Einwilligung
Die Betroffenen betonten die Notwendigkeit, hier eine klar
begrenzende Regelung zu schaffen, da intersexuelle Menschen dadurch
irreversibel psychisch und physisch geschädigt werden. Zudem wurden eine
bessere psychosoziale Betreuung und Beratung für Betroffene und Eltern sowie
Verbesserungen in der medizinischen Versorgung und im Versicherungsbereich
gefordert.
Von verschiedenen Experten wurde eine breite Aufklärung der
Öffentlichkeit und Verankerung des Themas Intersexualität in der medizinischen
Ausbildung vorgeschlagen. Diskutiert wurde auch die Frage einer Entschädigung
der Betroffenen. Die im Personenstandsrecht geregelte Verpflichtung, mit der
Geburt auch das Geschlecht des Kindes einzutragen, wurde kritisiert, da es
Eltern und später auch vielen Betroffenen selbst im Erwachsenenalter nicht
möglich ist, sich dem Geschlecht männlich oder weiblich zuzuordnen, sie sich
vielmehr als dazwischen stehend oder als Geschlecht eigener Art empfinden und
auch so leben möchten.
Interessierte können die einzelnen Redebeiträge der Anhörung
unter http://www.ethikrat.org/veranstaltungen/anhoerungen/intersexualitaet
nachhören und sind eingeladen, auf der Beteiligungsplattform
diskurs.ethikrat.org zu diskutieren und zu kommentieren.