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und Bearbeitet von Nikita Noemi Rothenbächer 2016
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vor, einer Minderheit anzugehören!
Hey Du hast es und brauchst es, deswegen Spende Blut, denn
es fehlt in der ganzen Welt!
Ich habe Ihn, Du auch? Organspenden können andere zum Leben
verhelfen, sei stolz auf dich selbst mache Ihn Dir den Organspende Ausweis!
Hey you
have it and need it, so donating blood, because it is missing in the world!
I had him,
you also? Organ donation can help others to life, be proud of yourself doing
Him Get donor card!
Scham, Angst, Ekel – Einflussfaktoren
im Umgang mit Kindern mit Intersexualität ? Eine medizinethische Überlegung.
Empfindungen wie Angst, Ekel oder Scham verbal oder
nonverbal zum Ausdruck zu bringen ist etwas Alltägliches, etwas zu dem Menschen
fähig sein können. Dabei beschränkt sich die Fähigkeit, etwas zum Ausdruck zu
bringen nicht nur darauf, was gesagt und gezeigt wird. Vielmehr können für
Forschende auch nicht verbalisierte, (mit Absicht) ausgelassene und nicht
gezeigte Empfindungen von großer Bedeutung sein.
In diesem Vortrag soll es eben darum gehen – um Gesagtes und
(bewusst) nicht Gesagtes. Meine Forschung beschäftigt sich mit der Frage, ob
und inwieweit Kinder mit Inter* als moralische Akteure*innen in der
medizinischen Behandlung wahrgenommen werden können, sollen oder müssen. Dabei
geht es in erster Linie um eine ethische Analyse der Frage nach Kindern als
moralisch (verantwortungsbewusst und reflektiert) handelnde Akteure*innen im
Rahmen einer medizinischen Behandlung. Um dieser Frage auf den Grund zu gehen,
habe ich qualitative Leitfadeninterviews mit Kindern mit Inter* im
Altersspektrum von sechs bis sechszehn Jahren geführt. Im Rahmen der Interviews
ergaben sich stets auch Gespräche mit Eltern, Geschwistern und den Kindern
selbst abseits des Aufnahmegerätes. Dabei trat zu Tage, dass bestimmte
Erzählmuster und Erfahrungen immer wieder thematisiert wurden: Angst in und vor
bestimmten Situationen, Erleben von Ekel bei anderen und Schamempfinden.
Angst, Ekel und Scham sollen hier nicht als Trias verstanden
werden, die immer miteinander in Verbindung auftreten bzw. ausnahmslos in
Beziehung zueinander stehen. Vielmehr soll das Augenmerk darauf gerichtet
werden, dass das Empfinden und Erleben von Gefühlen und Affekten etwas ist, was
im Alltäglichen meist unbewusst/unreflektiert passiert. Doch wie erleben Eltern
eines Kindes mit Inter* die Konfrontation mit Angst, Ekel und Scham in der
medizinischen Behandlung, sowohl bei sich selbst als auch bei ihrem Gegenüber?
Im Folgenden möchte ich kurz und blitzlichtartig die drei
Gefühle, Empfindungen und Affekte Angst, Scham und Ekel umreißen. Vorweg sei
gesagt, dass es zu allen drei Themen diverse Forschungen und Theorien gibt, die
ich nicht alle bedienen möchte und kann. Vielmehr habe ich für diesen Beitrag
eine Art Schnittmenge zusammengefügt, die hoffentlich aussagekräftig umreißt,
wie Ekel, Angst und Scham gesehen oder verstanden werden können. Zentral werden
hier eher die Aussagen der Eltern sein, die sich den jeweiligen Empfindungen
zuordnen lassen und so anschaulich das „praktische“ Erleben einer spezifischen
Situation wiedergeben.
Im Anschluss daran werde ich mich der Frage zuwenden, wie
Angst, Scham und Ekel in der Praxis, im Miteinander, der Interaktion zwischen
Ärzten*innen, Angehörigen und Kindern mit Inter* möglichst gering gehalten
werden können. Dabei soll der Aspekt der Aufklärung bzw. das aufklärende Gespräch
eine Rolle spielen, die es den Angehörigen und Kindern ermöglicht, eine
reflektierte, auf Wissen basierende Einwilligung (informed consent) geben zu
können. Hierfür habe ich einige Beispiele zur Aufklärung rund um Inter*
mitgebracht, die Hilfestellung für Eltern, Angehörige und medizinisches
Personal bieten können.
Der Begriff ‚Scham‘ umschreibt ein Gefühl, eine oftmals
kurzfristige Gefühlsregung (Affekt), die nicht selten mit körperlichen
Erscheinungen wie Erröten oder Herzklopfen einhergeht. Würde ich hier vorne
über ein Kabel stolpern und hinfallen, hätte das höchstwahrscheinlich zur
Folge, dass ich mich für mein ungeschicktes Verhalten schäme und es mir
peinlich ist. Vermutlich würde ich erröten und höchstwahrscheinlich auch den
Faden verlieren, was weiter dazu beitrüge, tiefer in einem Schamgefühl zu
versinken, da ich den an mich gerichteten Erwartungen einer souverän
Vortragenden immer weniger gerecht würde. Es kann auch sein, dass bei einigen
von Ihnen nun ebenfalls ein Gefühl des Mitschämens, neudeutsch ‚Fremdschämen‘,
auftritt und Sie peinlich berührt wegschauen. Scham ist also etwas, was
zwischen mindestens zwei Menschen stattfindet und gleichzeitig aber auch einen
Prozess in mir selbst auslöst.
„Das Schamgefühl ist
eine spezifische Erregung, eine Art von Angst, die sich automatisch und
gewohnheitsmäßig bei bestimmten Anlässen in den Einzelnen reproduziert. Es ist,
oberflächlich betrachtet, eine Angst vor der sozialen Degradierung
So umschreibt der Soziologe Norbert Elias in seinem Werk „Über
den Prozeß der Zivilisation“ seine Vorstellung von Scham. Er definiert Scham
als eine Form von Angst, die sich aus der sozialen Umgebung heraus ergibt und
als eine Art Kontrollmechanismus verstanden werden kann, der es ermöglicht,
sich innerhalb soziokultureller Normvorstellungen adäquat bewegen zu können.
Diese Normvorstellungen können auch als eine Form von Schamsozialisation einer
Gesellschaft verstanden werden, wodurch ‚sich schämen‘ erst erlernt wird.
Durch eine solche Sozialisation wird festgelegt, wie
beispielsweise mit Nacktheit umgegangen wird, was als Intimbereich gilt und was
nicht. Im Gegensatz zu Elias‘ Verständnis von Scham als erlerntem Affekt, geht
der Ethnologe Hans Peter Duerr von einem angeborenen Schamvermögen aus, das
jeweils durch soziokulturelle Einflüsse mehr oder weniger ausgeprägt werden
kann. Die Fähigkeit, Scham zu empfinden und individuell eine persönliche
Schamgrenze zu setzen, ist jedem Menschen gegeben. Dabei hat jeder Mensch einen
Komfortbereich, den zu berühren oder zu sehen in Ordnung ist, aber auch einen
Intimbereich, der für anderen Menschen weitestgehend als Tabu gesehen wird. So
gelten hier Genitalbereich, Mund, Nase, Ohren nur unter Zustimmung als
berührbar oder als der Ansicht ausgesetzt. Überhaupt umreißt die Körperscham
nicht nur passive Areale des Körpers, sondern auch aktive Funktionen wie
Verdauungs(geräusche) und Ausscheidungen jeglicher Art. Die Besonderheiten des
Umgangs mit menschlichen Ausscheidungen, eigenen wie auch fremden, werde ich
später bei der Auseinandersetzung mit Ekel noch einmal genauer ins Feld führen.
Wie ich eben bei meinem Stolperbeispiel schon kurz
angerissen habe, kann ich nicht nur mich für mich selbst schämen, sondern Sie
können sich auch als Betrachter*innen des Ganzen schämen. Sie empfinden
möglicherweise Unbehagen ob meiner Ungeschicklichkeit und „können es nicht mit
ansehen“, wie es so schön heißt. Man wird „in Verlegenheit gebracht“ durch das
Verhalten eines anderen Menschen.[5] Nun können Sie natürlich auch aktiv dafür
sorgen, dass ich mich schäme, indem Sie mir ein Bein stellen und ich deswegen
stolpere oder mich anderweitig „beschämen“. Somit sorgen Sie dafür, dass ich
durch Ihre Handlung in einen Zustand des Schämens versetzt werde. Scham wird
erzeugt und kann gleichermaßen reproduziert werden, indem ich nun an eine
beliebige Person weitergebe, dass während eines Vortrags zu stürzen etwas
Peinliches sei.
Um nun den Bogen zu meinem Forschungsthema zurückzuschlagen,
möchte ich Ihnen im Folgenden zwei Zitate vorlesen. Beide Zitate stammen aus
meiner Feldforschung und unterstreichen die eben angeführte These, dass Scham
produziert und auch reproduziert werden kann.
In einem Gespräch vor einem Interview mit einem Kind mit
Inter* habe ich mich mit der Mutter über die Momente im Krankenhaus
unterhalten, nachdem sie entbunden hatte und offensichtlich wurde, dass
irgendetwas nicht stimmte. Die Mutter schilderte mehrere Situationen, in denen
sie von den behandelnden Ärzten*innen auf die vermeintlichen Besonderheiten
ihres Kindes hingewiesen wurde. Dabei blieb der Mutter vor allem im Gedächtnis,
dass immer wieder von ärztlicher Seite her betont wurde, nicht über den Zustand
des Kindes zu sprechen.
„Die Ärztin sagte mir
dann, das sollten Sie besser niemandem erzählen, Sie wissen schon, sonst wird’s
peinlich für Sie und dann auch mal für das Kind.“
Im weiteren Verlauf sprach ich nun mit dem Kind im Rahmen
eines Interviews. Hier wurde anhand der Aussagen des Kindes sichtbar, dass
durch das antrainierte Verhalten der Eltern durch die Ärzte*innen des „nicht
darüber Sprechens“ auf das Kind übertragen hatte.
„Mama und Papa haben
immer gesagt, ich soll es niemandem zeigen oder was sagen. Nachher lachen noch
alle über mich oder zeigen auf mich.“
Im weiteren Gespräch erzählten die Eltern, dass sie und ihr
Kind sich seit Längerem in einem Lernprozess befänden, in Folge dessen sie
zusammen nach einer Möglichkeit suchten, anders mit der ihnen anerzogenen Scham
umzugehen. Dabei liegt hier die Betonung auf der aktiven Handlung des Wollens,
da sich Eltern und Kind darüber klar geworden waren, dass sie das bisherige
Verhalten für sich nicht länger als akzeptabel betrachteten.
Ekel wird ebenfalls zu den Affekten eines Menschen gezählt.
Der Komparatist Winfried Menninghaus sieht Ekel als „[…] Alarm- und
Ausnahmezustand, eine akute Krise der Selbstbehauptung gegen eine
unassimilierbare Andersheit, […]“, die durch bestimmte Reize ausgelöst werden
kann. Nicht selten wird Ekel in Zusammenhang mit Scham gesetzt. Auch bei Ekel
wird eine Unterscheidung in „Eigen-“ und „Fremdekel“ vorgenommen. Der Eigenekel
kann durch den eigenen Körper und seine Funktionen ausgelöst werden, wohingegen
der Fremdekel sich auf andere Körper und deren Funktionen bezieht. Die dabei
ausschlaggebenden Reize können visueller, olfaktorischer, gustatorischer,
haptischer oder taktiler Natur sein.
Genau wie Scham wird davon ausgegangen, dass Menschen die
Fähigkeit, Ekel zu empfinden von Geburt an mitbringen, vor allem aber durch
soziokulturelle Prägung erlernen. Ekel vor Ausscheidungen, Lebensmitteln,
Tieren, Gegenständen oder Gerüchen prägen sich durch negative Erfahrungen oder
Training ein und werden als Abwehrreaktion und Schutzmechanismus in jeweiligen
Situationen aktiviert. Ekel geht nicht selten mit einer kurzweiligen, heftigen
physischen Reaktion einher. So überkommt einen z.B. ein Schütteln, der Ausruf
„igitt“ oder ein Würgereiz, wenn der Körper und seine Sinne mit einem
Ekelstimulus durch ein ‚Abjekt‘ konfrontiert werden.
Besonders der Umgang mit dem eigenen Körper und seinen
Funktionen und Ausscheidungen unterliegen einer Art doppelten Bewertung. Im
Grunde wissen wir, dass in unserem Körper bestimmte Prozesse vonstattengehen
und wir Sekrete wie Schleim, Sputum, Urin etc. in uns tragen. Das wird erstmal
als gegeben hingenommen und nicht weiter beachtet. Sobald jedoch ein Sekret den
Körper verlässt, sichtbar wird und wir damit in Berührung kommen oder es
riechen können, setzt ein Ekel davor ein. Dieser Ekel steigert sich zuweilen
immer mehr, je länger das Objekt des Anstoßes sich außerhalb des Körpers
befindet. Wie im vorherigen Absatz bereits angemerkt, kann Ekelempfinden auch
dem Schutz dienen, um sich vor giftigen, verfaulten oder schädlichen Dingen zu
schützen. Der Geruch von verfaulten Eiern oder verdorbenem Fleisch hindert
meist daran, diese zu essen und somit eine Lebensmittelvergiftung zu umgehen.
Diese Schutzfunktion wird auch als präventive Maßnahme in
der Erziehung von Kindern eingesetzt. Die Aussage „Lass das, das ist eklig“
wird nicht selten herangezogen, um Kinder daran zu hindern, sich etwas in den
Mund zu stecken oder zu essen. Somit sollen die Kinder lernen, z.B. keinen Sand
aus dem Sandkasten zu essen oder Speichel zu verschmieren.
Gerade im Bereich der Medizin gehört der Umgang mit Ekel zum
Tagesgeschäft. Medizinisches Personal arbeitet eng mit Patienten*innen
zusammen, man kommt sich im wahrsten Wort körperlich sehr nah. Deshalb gehört
es zu jeder medizinischen Ausbildung dazu, sich mit Ekel, Scham und Angst
auseinander zu setzen. So soll ein individueller Umgang damit gefunden werden,
aber auch um zu lernen, den Patienten*innen Angst und Scham zu nehmen und ihnen
das Gefühl zu geben, nicht „eklig“ zu sein. Doch gerade im Umgang mit Kindern
mit Inter* ließ sich aus den Erzählungen der Eltern, mit denen ich gesprochen
habe, heraushören, dass sie in der Vergangenheit damit konfrontiert wurden,
dass ihr Kind ‚eklig‘ wäre.
Eine Mutter erzählte, dass die damalige behandelnde Ärztin
direkt nach der Geburt den jungen Eltern in Bezug auf das gerade geborene Kind
mit Inter* auf den Kopf zugesagt hätte: „Sowas ist ja nicht normal!“ Für die
Mutter blieb aus dieser Unterhaltung im Gedächtnis, dass ihr Kind im Grund so
eine Art Monster sein müsste, an dessen Körper groteske Verformungen zu finden
wären. Erst im Laufe der Zeit und in Gesprächen mit anderen Ärzten*innen war
sie in der Lage, ihr Kind nicht mit diesem Hintergedanken zu betrachten und als
‚normal‘ zu sehen.
Für eine andere Mutter blieb die Zeit nach der Geburt
ebenfalls als sehr prägend im Gedächtnis, nachdem bei ihrem Kind eine Form von
Inter* diagnostiziert wurde. Die Ärzte*innen empfahlen den Eltern
nachdrücklich, das Kind möglichst schnell operieren zu lassen und optisch einem
Geschlecht anzugleichen. Ansonsten bestünde die Gefahr aus Sicht der
Ärzt*innen, dass die Eltern ihr Kind niemals richtig akzeptieren könnten.
Dieser Mutter blieb vor allem der Gebrauch des Wortes „Missbildung“ im Kopf,
der wiederholt von Ärzten*innen in Bezug auf den Genitalbereich des Kindes
verwendet wurde.
Als Letztes möchte ich nun kurz auf Angst eingehen. Wie
bereits bei Scham und Ekel gibt es zum Thema Angst diverse und mannigfaltige
Theorien, wie zum Beispiel von Sigmund Freud oder Erwin Guthrie. Deswegen werde
ich jetzt lediglich ganz basal Schnittmengen zusammenfassen, um ein
verständliches Konzept von Angst zu generieren.
Angst empfinden zu können, gehört zu den menschlichen
Gefühlen, die von Geburt an als Disposition vorhanden sind. Angst kann durch
endogene oder exogene Faktoren hervorgerufen werden, die sich meist durch
körperliche Reaktionen äußern. So sind in akuter Angst erhöhte Herzfrequenz,
gesteigerter Muskeltonus und eine gehemmte Verdauung zu verzeichnen – kurz: der
Körper ist in Alarmbereitschaft, im Schutzmodus. Das ist subjektiv spürbar,
kann aber auch von außen, von anderen Menschen wahrgenommen werden. Angst tritt
jedoch nicht nur akut auf, sondern kann auch unterschwellig ständig vorhanden
sein. Angst kann als Verbindung aus spezifischen Hinweisreizen in Ereignissen
und deren schädlichen Konsequenzen verstanden werden. Dabei kann sich Angst
unter anderem durch Konditionierung (z.B. die Zwei-Faktoren-Theorie nach Orval
H. Mowrer), Lernen am Modell oder durch Instruktion/Vorbereitung auf eine
Angstsituation (z.B. die ‚preparedness‘-Theorie nach Seligmann) angeeignet oder
ausgeprägt werden.
Im Fall der Konditionierung lerne ich durch eigene
Erfahrung, kann mir die Höhe Angst einflößen und mich lähmen oder anderweitig
körperlich beeinträchtigen. Wenn z.B. mein Vater auf eine Leiter klettert und
Höhenangst erfährt und nicht mehr von der Leiter herunterkommt, lerne ich die
Höhenangst an seinem Beispiel kennen (und kann sie mir auch selbst aneignen).
Durch Instruktion erfahre ich, dass Leitern hoch sind und oben zu stehen
gefährlich sein kann bzw. zu Stürzen führen kann.
Gerade in einem medizinischen Setting ist es nicht unüblich,
Angst zu verspüren. Als Laie, als Patient*in bin ich mit mir unbekannten, oft
genug unverständlichen Situationen konfrontiert und muss Entscheidungen
treffen, die nicht selten eine gewisse Tragweite in sich bergen. Anders herum
empfindet auch medizinisches Fachpersonal Angst – vor einem Notfall, einer
unbekannten Situation, vor einem Gespräch mit Patienten*innen oder vor
Ratlosigkeit, obwohl man es eigentlich wissen sollte.
In Gesprächen mit Eltern von Kindern mit Inter* wurde nicht
selten eigene Angst vor dem Unbekannten oder vor Ungewissheit thematisiert.
Eine Mutter schildert es folgendermaßen: „Ich wusste ja nichts. Mein Kind war
ja weg. Der Arzt ist auch gleich weggegangen und hat nichts gesagt. Ich musste
da sitzen und warten und bangen um mein Kind.“ Im Weiteren beschreibt die
Mutter diesen damals empfundenen Zustand als eine Art Schweben im leeren Raum,
einen lähmenden Zustand der Angst, der sie daran hinderte, von sich aus nach
ihrem Kind zu suchen oder das Personal zur Rede zur stellen. Diesen lähmenden
Zustand begründet sie damit, dass sie bereits im Kreißsaal nach der Entbindung
die Angst und Unsicherheit ihres Arztes wahrgenommen hatte.
„Keiner hat was gesagt, zumindest nicht so richtig. Die
haben alle nur geguckt, irgendwie so panisch. Wenn ich was fragen wollte, gab
es nur ganz kurz sowas wie ‚Weiß ich nicht, kann ich nicht sagen‘ und dann war
er wieder weg. Hat sich auch nie getraut, mir in die Augen zu sehen.“
Das Spüren der Angst und Unsicherheit der anderen führte bei
der Mutter dazu, dass sie selbst Angst empfand, ohne selbst genau definieren zu
können, warum. Diese Gefühl und die Zeit des Nichtwissens haben sich für die
Mutter sehr stark eingeprägt. Sie bezeichnet es selbst so, dass sie sich im
Grunde nur noch an diese Angst erinnern könne. Alles andere wäre komplett aus
ihrem Gedächtnis gelöscht.
Den nächsten Teil des Vortrages möchte ich mit einem Zitat
beginnen, das das eben Gesagte zu Scham, Ekel und Angst indirekt aufgreift und
den Bogen zu Inter* schlägt. Nämlich mit der Frage, wie wir Angst, Ekel und
Scham in der medizinischen Praxis, im Miteinander und der Interaktion zwischen
Ärzten*innen, Angehörigen und Kindern mit Inter* möglichst gering halten können
und nicht zu einem Hinderungsgrund werden lassen.
„References to shame abound in
the critical and narrative material concerning intersex. And yet, shame has not
been a sustained focus of analysis in this literature. This gap may be due to
the fact that not only is it painful to think about shame, but that reflecting
on shame on this context further requires that we consider the disgust that
provokes it.
Ellen K.
Feder bringt mit ihrer Aussage zur Sprache, dass es nicht nur wichtig ist, sich
des Schames im Umgang mit Inter* bewusst zu sein, sondern sich auch zu fragen,
woher dieses Verhalten und der Ekel vor Anderssein überhaupt kommt. Auf den
letztgenannten Aspekt werde ich hier nicht weiter eingehen, sondern vielmehr
mein Augenmerk auf das Verhalten im Umgang mit Intersexualität richten.
Dafür
brauchen wir den Begriff der Kommunikation. Kommunikation, egal ob nonverbal
oder verbal ist essentiell im menschlichen Miteinander. Gerade in einem
spezifischen Setting wie dem eines Krankenhauses oder einer Arztpraxis ist eine
befriedigende Kommunikation für alle Beteiligten von großer Bedeutung.
Dabei sind
nicht nur Gestik und Mimik wichtig, sondern auch, sich gegenseitig verständlich
auszudrücken. Gerade in einer von Fachsprache geprägten Disziplin wie Medizin
ist es für Laien unabdingbar, dass ihnen Sachverhalte von Fachleuten
verständlich erklärt werden. Dass der Umgang mit einer für alle verständlichen
Sprache kein einfacher ist, habe ich selbst in meiner Forschung erfahren. Nicht
selten bin ich an meine sprachlichen Grenzen gekommen in der Frage, wie führe
ich Interviews mit Kindern, was kann ich fragen, in welcher Komplexität, wie
drücke ich mich aus, dass mich die Kinder auch verstehen? Hilfreich waren hier
Vor- und Nachgespräche mit den Eltern. Dort hatte ich die Möglichkeit,
herauszufinden, wie Intersexualität-Sein in der Familie thematisiert wird, welche Worte
und Bezeichnungen verwendet werden. Nicht selten wurde eine Art eigene
familieninterne Sprache generiert, deren Vokabeln ich für die jeweiligen
Interviews lernen musste.
Doch auch die
Eltern berichteten immer wieder von „Übersetzungsschwierigkeiten“, wenn sie
versuchten, dem eigenen Kind verständlich zu erklären, was die behandelnden
Ärzte*innen den Eltern dargelegt hatten. Die Eltern sahen sich so in einer Art
Übersetzerposition, nicht selten im doppelten Sinne. Zum einen mussten sie
selbst herausarbeiten, was genau im Arztgespräch gezählt wurde und sich oftmals
unbekannte medizinische Zusammenhänge über das Internet oder aus Büchern
erschließen. Zum anderen mussten sie das Gelernte so verstehen und wiedergeben
können, dass sie ihrem Kind entsprechende Erklärungen geben konnten. Hier zeigt
sich die Wichtigkeit von verständlicher Aufklärung von Seiten der
Mediziner*innen. Um einen ‚informed consent‘ der Patienten*innen oder
Erziehungsberechtigten gewährleisten zu können, muss von ärztlicher Seite
sichergestellt werden, dass auch alles Gesagte verstanden wurde.
Auf der
anderen Seite kam in meinen Gesprächen mit Medizinern*innen zu Tage, dass
Fachsprache sehr wohl ein bequemes und gerne genutztes Netz sein kann, in dem
man sich komfortabel bewegen kann, ohne je die eigenen Schamgrenzen berühren zu
müssen. Über bestimmte Themen zu sprechen, die die Intimsphäre eines Menschen
berühren, geht mit neutraler Fachsprache oft einfacher, als einem persönlich
unangenehme Dinge oder Ausdrücke in allgemeinverständlicher Sprache zu sagen.
Für vieles gibt es bereits Arten von Anschauungsmaterial wie Bilderbücher,
Videos oder Sachbücher. Im Bereich Inter* ist dies jedoch noch sehr spärlich
gesät. Fachliteratur gibt es mannigfaltig, eine Art „Was ist Was“-Buch für
Eltern, medizinische Personal oder Lehrer jedoch muss man suchen. Ich habe hier
nun eine Auswahl der Bücher und Videos mitgebracht, die bisher frei zugänglich
auf dem Markt/Internet vorhanden sind. Dabei habe ich einige deutsche wie auch
internationale Beispiele mitgebracht, ohne dass die Liste eine lange geworden
wäre. Dies zeigt leider nur sehr deutlich, welche Lücken in diesem Bereich noch
klaffen und wieviel Potential es gleichzeitig birgt, unbefangen und angst-,
ekel- und schamfrei mit dem Thema Intersexualität umzugehen.